Corona macht das Thema Lüftung drängend. Einfache Lösungen könnten helfen. Aber schon lange vor Corona war schlechte Luft im Klassenzimmer ein Thema, wurde aber von der Schulverwaltung ignoriert. Nun läuft die Zeit weg.
Fenster auf, lautet die Devise in Corona-Zeiten. Frische Luft reduziert das Ansteckungsrisiko, diese altbekannte Erfahrung vertritt nun auch das Robert Koch-Institut, das seine AHA-Regel daher um ein „plus L" ergänzt hat. Notorisch schlecht ist die Luft gerade in Klassenzimmern, weswegen nun in Schulen ständig die Fenster geöffnet werden (sollen). Alle 20 Minuten Stoßlüften, empfiehlt die Kultusministerkonferenz. „Es muss ein kompletter Austausch der im Raum befindlichen Luft erreicht werden, um die Aerosole zu entfernen", so fordert der Musterhygieneplan des Berliner Senats. Einfaches Lüften reiche hierfür nicht aus. Daher sollte mehrmals täglich – vor dem Unterricht und mindestens einmal in der Mitte jeder Unterrichtsstunde eine Durchlüftung durch vollständig geöffnete Fenster, bevorzugt mit einer Luftabzugsmöglichkeit, über mehrere Minuten vorgenommen werden. Kipplüftung reiche nicht, es müsse eine Stoß- oder Querlüftung sein. Ähnliche Regeln dürfte es im ganzen Land geben.
Lüften hilft zwar gegen die Ansteckung, dürfte allerdings in der kalten Jahreszeit nicht strikt durchzuhalten sein: „Schülerinnen und Schüler müssen das wollen, und in vielen Schulen lassen sich die Fenster ohnehin nicht öffnen", so Wissenschaftler des Instituts für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Bundeswehr-Universität München. Das entspricht der allgemeinen Erfahrung überall da, wo mehrere Menschen zusammen lernen oder arbeiten.
Eine Alternative sind Luftreinigungsgeräte, deren Wirkung allerdings umstritten ist. Das Land Berlin hält sie für sinnvoll: Schulsenatorin Sandra Scheeres stellt 4,5 Millionen Euro für 1.200 mobile Luftreinigungsgeräte bereit. Diese könnten die Infektionsgefahr von Covid-19 stark verringern, wenn es keine Möglichkeit zur Lüftung gebe, glaubt die Schulverwaltung. Tests mit solchen Geräten hätten bereits positive Resonanz gehabt.
Dennoch ist das kein Rezept für alle. In Berlin gibt es 874 Schulen. Bei einem Preis von rund 3.700 Euro pro Stück bekäme also jede Schule 1,5 Geräte. Die reichen daher nur für wenige, spezielle Räume, in denen man gar nicht lüften kann. Für jedes Klassenzimmer wäre wohl etwa die zehnfache Menge dieser Geräte nötig. Rechnet man das hoch auf Deutschland müssten die Länder für die etwa 32.000 Schulen mehrere Hunderttausend solcher Geräte anschaffen. Das erscheint kaum machbar.
Dabei hat die Schulverwaltung nicht nur in Berlin einiges verschlafen. Hätte man sich des Themas schon früher angenommen, wäre die Situation nun nicht so kritisch. Dass die Luft in vollen Klassenräumen nicht von bester Qualität ist, ist seit vielen Jahren bekannt und wissenschaftlich untersucht, schon lange vor Corona-Zeiten. Schlechte Luft lässt sich sehr gut am CO2-Gehalt messen: CO2 entsteht beim Ausatmen, zu viel CO2 in der Raumluft ist also ein Zeichen für verbrauchte Luft. In Corona-Zeiten ist das doppelt interessant: Je höher der CO2-Gehalt in einem Zimmer, desto verbrauchter ist die Luft und desto höher die Menge an Aerosolen, potenziell mit Corona-Viren – und damit die Ansteckungsgefahr.

Die Messung der Luftqualität in Innenräumen ist, seit es bezahlbare handliche Analysegeräte gibt, ein neuer Trend. Viele Schadstoffe sowie das an sich gesundheitlich eher harmlose CO2 lassen sich damit gut messen. Das wird inzwischen in Büroräumen und auch in privaten Haushalten zunehmend genutzt. So ist eine ganz neue Aufmerksamkeit für das Thema entstanden. Schlechte Luft ist heute objektiv messbar.
In Berlin und vielen anderen Bundesländern schaffen sich Schulen daher mehr und mehr „Luftgüteampeln" an, die einfach den CO2-Gehalt in der Luft messen. Sie schalten auf Gelb oder Rot, je höher die Konzentration von CO2 im Raum ist. Draußen beträgt die Konzentration fast 0,4 Promille. In geschlossenen Räumen steigt sie deutlich darüber. Allgemein anerkannt ist, dass ein Wert über einer Promille schlecht ist, ein anerkannter Schwellenwert: Steigt die Konzentration darüber, fällt es Menschen schwerer, sich zu konzentrieren. Das ist nicht nur in der Schule von Nachteil. Studien, die in Berlin gemacht worden sind, aber von der Senatsverwaltung unter der Decke gehalten werden, zeigen, dass in Schulklassenzimmern die CO2-Konzentration ohne Lüften leicht auf zwei Promille steigen kann, in Extremfällen sogar bis auf vier oder fünf Promille.
Keine Hausmeister mehr vor Ort
Darüber herrscht seit Langem Konsens. So schrieb das Berliner Landesgesundheitsamt, kurz Lageso, in einer Studie schon vor vier Jahren: „Bei Planung, Bau und Nutzung moderner energieeffizienter Schulgebäude wird ein wirksames Lüftungskonzept mit dem Zielwert von 0,1 Prozent Kohlendioxid (das heißt 1 Promille) für dringend notwendig erachtet." Dieser Wert werde aber systematisch übertroffen. In einer Studie kam das Lageso darauf, dass in 82 Prozent der Unterrichtsstunden die Werte übertroffen wurden, bei sieben Prozent der Fälle sogar inakzeptabel deutlich, nämlich über zwei Prozent. „Damit trotzdem ‚gute Luft‘ in Klassenzimmern und anderen Räumen, in denen sich viele Personen über Stunden aufhalten, herrscht, ist die Nutzung von Lüftungsanlagen gegebenenfalls unterstützt durch Fensterlüftung notwendig."
Bereits 2014 hat eine Studie der Berliner Hochschule HTW ergeben: „Bei Neubau und Sanierung ist es notwendig, maschinelle Lüftung einzusetzen." Das steigere die geistige Leistungsfähigkeit und entspreche den gesundheitlich-hygienischen Anforderungen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Investitionskosten sich amortisieren, wenn man die höhere Leistungsfähigkeit und geringere Krankheitsausfälle bei den Lehrern in Rechnung stellt.
Auch die Selbstdarstellungen der Berliner Schulbauoffensive sind voll von wohlklingenden Formulierungen: Lüftungstechnische Anlagen seien „erforderlich" und Unterrichtsräume seien „mechanisch zu be- und entlüften", um den CO2-Gehalt zu begrenzen.
So weit die Erkenntnis, lange vor Corona. Passiert ist wenig. Lüftungsanlagen sind noch immer die große Ausnahme. Die Regel ist, dass nur über die Fenster gelüftet werden kann – wenn überhaupt: Viele Fenster lassen sich gar nicht öffnen, wie Landeselternsprecher Norman Heise festgestellt hat. Die Bezirke hätten keinen Überblick darüber, ob und wie sich die Fenster in den Schulgebäuden öffnen ließen. „Das Problem ist, dass viele Schulen die Fenster aus Sicherheitsgründen verriegelt haben", sagt Peter Schrage-Aden, Klimaschutzbeauftragter vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Allein diese wieder abzuschrauben, stößt auf Widerstand, denn keiner will die Verantwortung übernehmen, falls doch mal ein Schüler aus dem Fenster fallen sollte. Vorschrift ist Vorschrift.
Am Ende, so Schrage-Aden, sei es ein Grundfehler, dass es kaum noch ständig vor Ort lebende Hausmeister gibt, die morgens und abends nach dem Rechten sehen. Das sei etwa dann wichtig, um im Winter nachts offengelassene Fenster zu finden. Bei offenen Fenstern droht den Heizungen im Winter echte Gefahr.
Außerdem gibt es einen Konflikt zwischen Energiesparen und Lüftung. Lüftung ist in solchen Zeiten wichtiger, aber klar ist auch, dass die Heizungskosten für die Schulen in diesem Winter deutlich höher ausfallen werden als früher. Als einfachste Lösung sollte man die Fenster wenigstens mit Sturmhaken versehen, so Schrage-Aden. Diese machen es möglich, die Fenster auch unbeaufsichtigt einige Zeit offenzulassen. Sturmhaken sind deutlich preiswerter als Luftreinigungsgeräte, müssen aber auch erst mal angebracht werden. So bleibt es auf absehbare Zeit Schülern und Lehrern selbst überlassen, ans Lüften zu denken.