Präsenz, hybrid oder alles digital. Prüfungen unter Sonderbedingungen. Schulen sind bemüht, durch den weiter verlängerten Lockdown zu kommen. Für Lennart-Elias Seimetz, Landesschülersprecher im Saarland, stellen sich Fragen nach den Lehren aus der Pandemie und der Zukunft der Schule danach.
Herr Seimetz, als Landesschülersprecher repräsentieren Sie die Meinung aller saarländischen Schülerinnen und Schüler. Nun gibt es aber nicht „die" Schülerschaft, mit „der" Meinung. Welche differenzierten Ansichten bekommen Sie mit?
Momentan gibt es zwei Themenschwerpunkte, die die saarländischen Schülerinnen und Schüler bewegen. Zum einen geht es um den Präsenzunterricht, der für die Abiturientinnen und Abiturienten wieder gestartet ist. Zum anderen stellt sich die Frage nach den Prüfungen: Wird das Abitur nun stattfinden oder nicht und wenn ja, in welcher Form?
Bei der Frage nach dem Präsenzunterricht unterteilen sich die Schülerinnen und Schüler in zwei Gruppen. Die einen sind der Meinung, dass es im Hinblick auf das Infektionsgeschehen nicht verantwortlich ist, die Schulen schon so früh wieder zu öffnen und mit dem Präsenzunterricht zu beginnen. Die anderen wiederum freuen sich über die Möglichkeit, die Schule wieder besuchen zu können, vor allem, weil der Online-Unterricht nicht richtig funktioniert hat und sie sich wesentlich besser in Präsenz auf Klausuren und Prüfungen vorbereiten können.
Auch bei der Frage nach der Durchführung des Abiturs gibt es zwei unterschiedliche Ansichten. Die eine Seite möchte das Abitur ganz normal schreiben. Die andere fordert eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Durchschnittsabitur und dem normalen Abitur.
Abgesehen von den Prüfungen, gibt es weitere Themen, die der Schülerschaft wichtig sind?
Natürlich. Dazu zählt der allgemeine digitale Unterricht. Wir haben im Saarland sehr unterschiedliche Voraussetzungen, was die Infrastruktur in den dörflichen Regionen betrifft, was die soziale Situation bei den Schülerinnen und Schüler zu Hause angeht, was die Ausstattung mit digitalen Endgeräten angeht und wie gut die Fähigkeiten der Lehrkräfte sind, mit den digitalen Lernplattformen umzugehen. An einer Schule hatten wir zum Beispiel den Fall, dass die Lehrkräfte zunächst überhaupt nicht bereit waren, Videokonferenzen mit den Schülerinnen und Schülern durchzuführen. Dann mussten wir als Landesschülervertretung einschreiten und den Kontakt zur Schulaufsichtsbehörde suchen, um den betroffen Schülerinnen und Schülern zu helfen. Von der Lehrerseite wurde öfters das Thema Datenschutz angesprochen. Weder Lehrkräfte noch Schülerinnen und Schüler möchten während des Unterrichts in ihrem privaten Umfeld oder als Person selbst gefilmt oder fotografiert werden. Was auch nachvollziehbar ist. Jedoch ist keiner verpflichtet, seine Kamera einzuschalten. Zudem befinden sich die Server der Lernplattform „Online-Schule Saarland" im Saarland. Die ganzen Informationen bleiben somit auch in unserem Bundesland. Es ist wichtig, dass in diesem Bereich mehr Aufklärung betrieben wird und auch Schülerinnen und Schüler vonseiten der Schule dorthin gehend sensibilisiert werden. Wenn das geschieht, kann man dort viele Sorgen nehmen und allen Schülerinnen und Schülern einen angemessenen Online-Unterricht gewährleisten.
Auf Ihrer Agenda steht auch das Thema der sozialen Ungleichheit. Aufgrund der Pandemie sind sehr viele Betreuungsangebote, auf die viele Schülerinnen und Schüler angewiesen sind, plötzlich weggebrochen …
Das Thema Kindeswohl darf natürlich auch im Lockdown nicht untergehen. Deshalb war es auch eines der Themen auf der kürzlich stattgefundenen digitalen Bundeschülerkonferenz. Es muss definitiv eine Verstärkung der Schulsozialarbeit geben, damit auch Schülerinnen und Schüler, die schwierige familiäre Umstände haben, weiter Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen finden. In diesem Zuge sollen auch die Träger, die soziale Hilfe leisten, ihre Angebote verstärkt digital umsetzen. Zudem wären eine Möglichkeit anonyme Kontaktformulare, die unter anderem auch auf schuleigenen Internetseiten implementiert werden. Dringend erforderlich ist auch weitere Bekanntmachung von zum Beispiel zentralen Hotlines und E-Mail-Adressen wie der „Nummer gegen Kummer". Es wäre auch sinnvoll, den Lehrkräften eine Art Leitfaden mit an die Hand zu geben. Wenn sie das Gefühl haben, dass bei ihren Schülerinnen und Schülern etwas nicht stimmt, sollten die Lehrkräfte auch die Möglichkeit haben, entsprechend zu reagieren, damit sie die Schülerinnen und Schüler an die entsprechenden zuständigen Ansprechpartner weiterleiten können und diese somit psychisch unterstützt werden können.
Wenn schon so vieles überholt werden muss. Muss dann nicht auch Schule neu gedacht werden?
Ich glaube, es muss eine stufenweise Veränderung in der Schule geben. Wenn ich mir jetzt die Overheadprojektoren anschaue, die gefühlt irgendwann zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Mauerfall geschaffen wurden und noch immer in den Schulen eingesetzt werden, ist das aktuell leider der Istzustand. Und plötzlich spricht man von Digitalisierung. Dabei wissen dann manche Lehrkräfte gar nicht, wie sie die Folien jetzt in den Scanner bekommen, geschweige denn in den Computer. Da besteht ein dringender Nachholbedarf, damit die Digitalisierung – die wir jetzt aufgrund der Pandemie für den Online-Unterricht gewinnen – keine kurzfristige Verbesserung bleibt. Vielmehr ist es etwas, was uns die kommenden Jahre begleiten und erleichtern wird. Um mal einen kleinen Vergleich zu ziehen: Digitalisierung ist wie Wasser, um es metaphorisch auszudrücken. Weder gut noch schlecht. Sie ist einfach da. Die Frage ist, wie wir diese Ressource nutzen wollen: Gehen wir darin unter oder segeln wir um die Welt?
Auch die Schülerschaft muss im Bereich der Digitalisierung aufgeklärt werden. Wir werden zwar immer so beschrieben, dass wir mit Smartphones aufgewachsen sind und somit auch alles können sollten. Aber noch wichtiger ist es, sich richtig informieren zu können und die nötigen Kompetenzen dazu zu entwickeln, mit den sozialen Medien und dem Internet umzugehen und zum Beispiel zu lernen, wie Datenschutz richtig funktioniert. Vor allem in Zeiten, die von Fake News geprägt sind.
Wie sieht Ihre persönliche Vision einer Schule der Zukunft aus?
Ich bin auf eine Schule gekommen, die meiner persönlichen Vision ziemlich nahekommt. Dabei spreche ich vom WWG, dem Wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium in Saarbrücken. Die Schule wurde schon vor Jahren digitalisiert mit Microsoft-Teams als festem Bestandteil. Es gibt zudem auch iPad-Klassen. Das gibt den Lehrkräften die Möglichkeit, den Unterricht wesentlich freier, kreativer und interaktiver zu gestalten, der die Schülerinnen und Schüler richtig begeistert. Heutzutage kann jeder Schüler schon an jegliche Basis-Informationen herankommen, sich über Lernplattformen informieren, auf Wikipedia nachschlagen oder sich Erklärungsvideos anschauen. Doch über Informationen zu verfügen, heißt nicht, gleichzeitig zu wissen, wie man damit umgeht.
An diesem Punkt haben die Lehrkräfte die Möglichkeit, weniger auf die reine Informationsvermittlung zu gehen, sondern vielmehr eine Art Lernbegleiter zu werden mit Raum für kreativen und interaktiven Unterricht. Das würde schlussendlich auch eine größere Lernbereitschaft auslösen.