Sechs Jahre ist es her, dass das Saarland sich eine Frankreichstrategie verordnet hat. Noch 20 Jahre, bis das Land zweisprachig sein soll. Die Pandemie hat die Beziehungen belastet. Doch es gibt Fortschritte – und gelegentlich Nadelstiche aus Paris.
Mit dem Start der Frankreichstrategie 2015 machte das Saarland Schlagzeilen. Das ambitionierte Ziel, Französisch bis 2043 als Verkehrssprache im kleinsten Flächenstaat zu etablieren, ließ deutschland- und frankreichweit aufhorchen. Neben den üblichen Protesten wie beispielsweise die Vernachlässigung des Englischen gab es durchaus einen Motivationsschub in den grenzüberschreitenden Beziehungen beider Länder. Doch inzwischen scheint es um die Frankreichstrategie etwas ruhiger geworden zu sein, zumal die Corona-Pandemie seit über einem Jahr alles andere in den Schatten stellt und den Alltag der Menschen durch strikte Einschränkungen an der Grenze arg strapaziert.
Trotz der coronabedingten Umstände komme die Strategie weiter voran, sagt Karl Terrollion. Er ist seit 2019 Leiter des Pariser Büros des Saarlandes und gibt sich überzeugt, dass die Frankreichstrategie des Saarlandes in ihren Grundfesten nicht erschüttert sei. Die Strategie befindet sich zurzeit in der dritten Phase des Umsetzungsprogramms, der sogenannten feuille de route. „Wir bekommen derzeit täglich 60 bis 70 Anfragen rund um das Thema Einreisebeschränkungen und Testungen, aber keine Anfragen und Kommentare, die die deutsch-französische Freundschaft generell infrage stellen." Terrollion war virtueller Gast beim Club des Affaires SaarLorraine, zog Bilanz und gab einen Ausblick auf die kommenden Jahre.
Saarland ist Teil der Gemeinschaft „Frankophonie"
Das Saarland gehört inzwischen offiziell zum Kreis der französischsprachigen Gemeinschaft „Frankophonie". Zwar nur mit Beobachtungsstatus, aber es ist eine Würdigung Frankreichs für die Bemühungen des Saarlandes. In der frankophonen Welt gibt es rund 30 Länder mit 80 Millionen Muttersprachlern und circa 200 Millionen Menschen, die Französisch sprechen und als Verkehrssprache nutzen. Bereits zuvor wurde das Saarland von den Franzosen im Dachverband der Départements zum Ehrenmitglied ernannt und selbst auf EU-Ebene gilt das Saarland seit 2017 als Referenzregion.
Doch wie sieht die Lust aufs Französischlernen in den Kitas und Schulen tatsächlich aus? Schließlich soll künftig vor allem die Generation ab 2013 von der Mehrsprachigkeit profitieren? Noch bleiben den Saarländern gut 20 Jahre Zeit, die Sprache des Nachbarn zu beherrschen. Von den 480 Kitas im Saarland hat mittlerweile gut die Hälfte ein zweisprachiges Konzept; an allen 161 saarländischen Grundschulen ist Französisch ab Klasse 3 verbindlich; an 44 wird sogar ab der 1. Klasse Französischunterricht gegeben; vier Gymnasien bieten bereits das deutsche und französische Abitur an; hinzu kommt das Deutsch-Französische Gymnasium; in der beruflichen Bildung gibt es in den Bereichen Kfz, Hotellerie, Gastronomie und Tourismus deutsch-französische Berufsschulzweige sowie eine Fachstelle für grenzüberschreitende Ausbildung. Und das Studienangebot im Saarland ist eh in hohem Maße deutsch-französisch und grenzüberschreitend geprägt und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Trotz dieser unbestrittenen Fortschritte kommt es immer wieder zu unliebsamen Nadelstichen aus Paris. Wie der Erlass der französischen Regierung im vergangenen Jahr für den Nachweis eines Fremdsprachenzertifikats über englische und damit eben nicht über deutsche Sprachkenntnisse der Studenten. Oder die stockende Finanzierung seitens Frankreichs von Französischkursen.
Start-up-Austausch mit „Station F"
Besonderes Augenmerk gilt in der saarländischen Frankreichstrategie der Wirtschaft, Forschung und Entwicklung sowie den Themen Nachhaltigkeit, Mobilität und Gesundheit. Als Erfolg versprechende Anknüpfungspunkte gelten die Bereiche Künstliche Intelligenz (KI) und Cyber Security. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sowie das Cispa Helmholtz-Institut arbeiten bereits seit einiger Zeit intensiv zusammen. Ziel ist es, technologieorientierte Start-ups und Gründerökosysteme voranzubringen und zu internationalisieren. Das Saarland könnte als europäischer Einstiegsmarkt für ausländische Start-ups fungieren. Um saarländische Strukturen mit international erfolgreichen Inkubatoren zu verbinden, wurden bereits Kontakte mit dem weltgrößten Start-up-Campus „Station F" in Paris geknüpft mit der Absicht eines Start-up-Austauschs zwischen dem Saarland und der Region Île-de-France um Paris. Als erstes echtes deutsch-französisches Startup im Saarland gilt zum Beispiel natif.ai, das KI-Technologien in der Dokumentenverarbeitung einsetzt. Die größte Start-up- und Technologiekonferenz Europas wurde 2020 coronabedingt abgesagt. Sie soll aber vom 17. bis 19. Juni dieses Jahres in Paris mit neuen virtuellen Formaten nachgeholt werden.
Vom im September 2019 neu eröffneten Pariser Büro des Saarlandes im Haus der Region Grand Est verspricht sich die Landesregierung eine stärkere Präsenz in Frankreich. So besteht die Möglichkeit im Rahmen einer „Tour de France", bessere Kontakte zu den wirtschaftsstarken Regionen Frankreichs wie Auvergne-Rhône-Alpes oder Bourgogne-Franche-Comté zu knüpfen. Delegationsreisen mit Wirtschaftsbeteiligung sind bis 2022 geplant. Im Gegenzug bietet übrigens das Saarland Grand Est in der landeseigenen Vertretung in Berlin Räumlichkeiten an.
Entscheidend für den Erfolg der Frankreichstrategie aber bleibt die Beteiligung der Menschen, glaubt auch Karl Terrollion: Auf dem Mitmachportal www.frankreichstrategie.saarland.de können sich alle Interessenten mit ihren Ideen einbringen, sich informieren und austauschen, zum Beispiel in den regelmäßig stattfindenden Gesprächsrunden wie dem Partnertalk mit der Deutschen Botschaft in Frankreich. Frankreichstrategie zum Anfassen und Mitreden.