Gut und kontrovers zu diskutieren ist eine Kunst. Ob Geburtenkontrolle, Polizei oder Elon Musk als Präsident – Nicola Speer und Timo Stockhorst zeigen in ihrem Podcast „Hab ich das Laut gesagt?!", wie man miteinander streiten und voneinander lernen kann.
Frau Speer, Herr Stockhorst, Ihr Podcast „Hab ich das laut gesagt?!" läuft seit Juni 2020. Wie haben sich Ihre Gespräche entwickelt? Hat sich die Diskussion verändert?
Nicola Speer: Wir haben noch verstärkt schätzen gelernt, dass wir so unterschiedlich sind. Timo und ich haben einen Altersunterschied von 15 Jahren. Als wir beispielweise das Thema der deutschen Einheit besprochen haben, konnte ich mich an diese Tage und Wochen noch ganz genau erinnern. Zum damaligen Zeitpunkt war ich bereits ein Teenager. Timo wurde dagegen erst geboren und hatte somit auch eine ganz andere Sichtweise auf dieses Ereignis. Darüber hinaus kommen wir aus unterschiedlichen Fachrichtungen und haben verschiedene soziale und familiäre Backgrounds. Mein Sohn ist schon erwachsen. Timo hat dagegen noch keine Kinder. Alle diese Aspekte formen direkt und indirekt unsere Sichtweisen und bringen uns dazu, Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.
Ich für meinen Teil merke immer wieder, wie gut ich es finde, das ich jemanden habe, der mich anregt und mir Fragen während der Diskussion stellt, über die ich so in dieser Form nicht nachgedacht hätte. Oder wenn er mir eine Antwort gibt, die ich im ersten Moment vielleicht gar nicht so gut finde und erstmal kurz schlucken beziehungsweise diese aushalten muss. Das macht das Gespräch noch spannender.
Apropos eine scheinbar unangenehme Antwort auch aushalten können: Wie diskutiert man richtig, ohne abwertend zu werden?
Nicola Speer: Zunächst einmal sollte das eigene Zuhörverhalten reflektiert werden. Und zwar nicht mit der Haltung: Ich höre zwar zu, habe aber gleich schon eine Entgegnung oder eine andere Meinung parat. Vielmehr sollte man sich die Zeit nehmen und richtig hin- und zuhören. Damit wird gleich ein bisschen Tempo – der Drag, zu reagieren – rausgenommen. Außerdem spielt das auch eine entscheidende Rolle für die eigene Wahrnehmung: Was macht das Gesagte mit mir? Stimme ich der Aussage zu oder bin ich davon irritiert? Oder gar geschockt?
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die grundlegende Gesprächshaltung. Ein Grundvertrauen muss vorhanden sein: Mein Gegenüber, mit dem ich gerade diskutiere, will mir nichts Böses. Wenn man sich öffentliche Diskurse anschaut oder manche Kommentare im Netz anguckt, finde ich, dass diese offene, wertschätzende Haltung bei vielen Menschen abhandengekommen ist. Sie verfallen vielmehr in eine Verteidigungshaltung und sind gleich im Reaktionsmodus drin. Es gibt die Formel beziehungsweise Empfehlung: Trenne den Inhalt von der Person. Das ist sicherlich ein sehr, sehr wichtiger Hinweis. Ich persönlich finde diese Formulierung für den Alltag oft ein bisschen schwer umzusetzen. Für mich wird es klarer, wenn ich von mir ausgehe und meiner eigenen Haltung anderen Menschen, den Gesprächspartnern, gegenüber.
Timo Stockhorst: Heute wird sehr viel auf sozialen Medien diskutiert. Durch die Pandemie wurde die Online-Diskussion durch das Schreiben noch verstärkt. Gefühlt findet dort wenig Reflexion statt; man haut gerne mal etwas raus. Dabei will man vielleicht gar nicht diskutieren, also senden und empfangen, sondern nur senden. Das ist ein großes Problem mit Blick auf das „richtige" Diskutieren. Auf das Gesagte eingehen, nachfragen, wenn etwas unklar ist, ist einfacher gesagt als getan. Ohne das funktioniert es aber leider nicht.
Und wie schaut das privat aus? Müssen sie drauf achten, die Gesprächsgrundregeln einzuhalten? Oder haben sie das schon im Blut?
Nicola Speer: Mein Beruf hat mich natürlich sehr geprägt. Die Sprechwissenschaft hat für mich eine solide und sehr breitgefächerte Ausbildung und einen Blick auf die menschliche Kommunikation ermöglicht. Da ich den Beruf seit 20 Jahren ausübe, habe ich schon viel verinnerlicht und bin in der Reflexion des eigenen Kommunikationsverhaltens geschult. Aber ich merke auch, sobald ein Gespräch emotionaler wird – mich etwas stark berührt – dass Gespräche gut zu führen ein dauerhafter, lebenslanger Lernprozess ist. Sei es als Bürgerin, im Familienkreis oder wenn ich als politische Bildnerin mit Seminargruppen unterwegs bin. Eine richtige Diskussion ist immer wieder auch eine Herausforderung, bei der es um die Reflektion und den Austausch geht. Mit Reflexion meine ich die Wahrnehmung der Situation. Was passiert gerade? Warum werde ich gerade getriggert? Was ist hier der Trigger? Damit sollte man beginnen. Und wenn man in den Bereich von Falschaussagen oder Verschwörungserzählungen kommt, dann gehört neben der Grundhaltung und der Fähigkeit zuzuhören – die wir eben besprochen haben – auch ein Stück weit das Vertrauen in die eigene Analysefähigkeit. Dass ich sagen kann: Moment mal, das klingt gerade komisch und dann aber vielleicht nicht gleich mit einer Rechtfertigung – so nach dem Motto das stimmt ja gar nicht – einsteige, sondern eher versuche in eine Fragehaltung zu kommen und das Gegenüber so zu hinterfragen: Woran machst du das fest? Woher hast du diese Information?
Wenn man viele dieser Fragen zurückgibt, versucht man, weiterhin im Gespräch zu bleiben. Natürlich nur, solange dieses Gespräch mit demokratischen Grundwerten und Menschenrechten in Einklang zu bringen ist.
Timo Stockhorst: Seit Beginn des Podcasts führe ich Gespräche viel bewusster. Das war interessant zu beobachten. Ich dachte eigentlich, ich wüsste, wie man „richtig" miteinander spricht. Offensichtlich habe auch ich hauptsächlich „gesendet". Das liegt vermutlich an meiner politischen und zivilgesellschaftlichen Arbeit, bei der man viel überzeugen, erklären und auch aufklären muss. Aber sicherlich auch durch die Schule und das Studium. Referate und Vorträge halten ist definitiv etwas anderes als eine Diskussion zu führen.
Frau Speer, wie Sie eben schon erwähnt haben, blicken Sie auf eine Berufserfahrung von über 20 Jahren zurück. Hat sich die Diskussionskultur während dieser Zeit verändert?
Ja und zwar dahingehend, dass der Reaktionsdrang viel schneller geworden ist. Das ist sicherlich – was ja schon oft geschrieben und analysiert wurde – durch die Technisierung unserer menschlichen Kommunikation vorangetrieben und auch manifestiert worden. Wenn ich an meine früheren Seminare vor rund 15 Jahren denke – das ist mein subjektives Erleben – war häufiger ein schnelleres und unkompliziertes Miteinander möglich. Man hat sich im Informellen mehr miteinander ausgetauscht und hatte viel mehr Vielfalt in der Begegnung. Viele Jahre war das dann eher nicht mehr so: Seminarteilnehmende sind beispielweise kaum nach dem Abendessen geblieben, um sich im großen Kreis auszutauschen. Jetzt dagegen kommt wieder eine Generation, die es wertschätzt. Vor allem junge Erwachsene setzen sich nach dem Abendessen – ein Beispiel aus der Zeit noch vor der Pandemie – zu uns an den Tisch, um zu reden. Es wird viel mehr geredet. Vielleicht liegt es daran, weil in der Gesellschaft auch so viel über die Kommunikation gesprochen wird und auch die Gefahren einer fehlenden Kommunikations- und Diskussionskultur immer mehr erkannt werden. Und so findet eine Art Gegenbewegung statt. Zumindest in manchen Kreisen.