Die Richter rügten, die Bundesregierung reagierte: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden, damit die Erderwärmung gestoppt werden kann. Eine Herkulesaufgabe, die Milliarden kostet.
Erst schien monatelang kaum etwas voranzukommen beim Klimaschutz, dann machte die Bundesregierung mächtig Tempo. Zwei Wochen nach dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Bundeskabinett ein geändertes Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht.
Das neue Gesetz, das vergangene Woche vorgestellt wurde, sieht vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird –
und somit fünf Jahre früher als es das Gesetz bislang vorsah. Das bedeutet, dass in 24 Jahren nur noch so viele klimaschädliche Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen wie von der Umwelt oder durch technologische Verfahren gebunden werden können. Das neue Klimagesetz legt zudem neue Jahresziele fest und beinhaltet auch einen Reduktionsfahrplan für die Zeit zwischen 2031 und 2040, so wie es die Richter in Karlsruhe Ende April gefordert hatten.
Die Gesetzesnovelle war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht die Freiheitsrechte der jungen Generation wegen zu großer Lasten durch den Klimawandel gefährdet sah. Die Klimaschutzanstrengungen sollen so bis 2045 fairer zwischen den jetzigen und künftigen Generationen verteilt werden.
Mit dem überarbeiteten Klimaschutzgesetz legte die Bundesregierung erstmals Ziele für die Zeit nach 2030 vor. Das Zwischenziel für 2030 wird von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 erhöht. Der Gesetzentwurf enthält auch neue Jahresemissionsmengen für die Jahre 2023 bis 2030 in den einzelnen Wirtschaftssektoren wie Verkehr oder Industrie. Den Löwenanteil der zusätzlichen Minderung bis 2030 werden dem neuen Gesetz zufolge die Energiewirtschaft und die Industrie tragen müssen.
„Mit diesem Gesetz schaffen wir mehr Generationengerechtigkeit, mehr Planungssicherheit und einen entschlossenen Klimaschutz, der die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern umbaut und modernisiert", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) anlässlich der Vorstellung des geänderten Klimaschutzgesetzes.
Ehrgeizige Einsparziele
Wie die geänderten Ziele und Sparvorgaben erreicht werden sollen, mit welchen konkreten Maßnahmen, das lässt die Bundesregierung weitgehend offen. An dieser Aufgabe wird sich voraussichtlich die nächste Bundesregierung die Zähne ausbeißen müssen. In einem Punkt herrscht im politischen Berlin aber Einigkeit: Es muss sich schnell eine Menge ändern, um die ehrgeizigen Einsparziele zu erreichen.
Zwei große Stellschrauben sind der CO₂-Preis und der Ausbau der Sonnen- und Windenergie. Die bisherigen Pläne der Bundesregierung sehen vor, den CO₂-Preis schrittweise bis 2025 auf 55 Euro pro Tonne steigen zu lassen. Derzeit liegt der Preis bei 25 Euro pro Tonne CO₂. Er wird seit Anfang des Jahres etwa beim Tanken oder Heizen fällig. Ein höherer CO₂-Preis würde fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas teurer machen.
Von dieser Maßnahme verspricht man sich eine positive Verhaltensänderung: Um höhere Kosten zu vermeiden, werden Verbraucher und die Industrie die Ausstoßmenge an CO₂ freiwillig reduzieren, zum Beispiel weniger Auto fahren oder auf eine energieeffiziente Produktion umrüsten.
Eine weitere Erhöhung des CO₂-Preises ist jedoch umstritten. Die SPD befürchtet eine übermäßige Belastung von einkommensschwachen Menschen. Grüne und Union dagegen fordern einen noch stärkeren Anstieg. Um Verbraucher finanziell zu entlasten sind verschiedene Vorschläge im Gespräch, wie zum Beispiel eine Senkung der Stromkosten durch eine Reduktion der Stromsteuer und Abschaffung der EEG-Umlage.
Doch eine Erhöhung des CO₂-Preises allein genügt nicht, um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Es braucht einen massiven Ausbau der Sonnen- und Windenergie, um den Strombedarf komplett mit „grünem Strom" abzudecken, zumal der Stromverbrauch insgesamt steigen wird, weil sich der Trend der Elektrifizierung sektorübergreifend beschleunigt, zum Beispiel beim Verkehr: In neun Jahren sollen bereits 14 Millionen Elektro-Pkw zugelassen sein, prognostiziert Agora Energiewende, ein auf Klimaschutz spezialisiertes Forschungsinstitut mit Sitz in Berlin. 2032 sollen keine Pkw mit Verbrennungsmotor neu zugelassenen werden dürfen.
Das Problem: Der Ausbau der Infrastruktur zur Produktion von Windenergie ist ins Stocken geraten. Experten aus der Windbranche kritisieren vor allem die erschwerten Genehmigungsverfahren. Dabei sorgen in erster Linie die Abstandsregeln für Diskussionen. Strittig ist vor allem, in welchem Abstand die Windturbinen zu Wohngebäuden aufgestellt werden dürfen. Deutschlandweit wurden 2020 rund 770 Windräder genehmigt, rund 40 Prozent weniger als 2015. Um die Klimaziele zu erreichen, seien jedoch 2.000 neue Windräder pro Jahr notwendig, rechnen Experten vor. Ein vorzeitiger Kohleausstieg würde den Druck, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen, zusätzlich erhöhen. Bisher ist geplant, dass die letzten Meiler spätestens 2038 vom Netz gehen.
Kosten von acht Milliarden Extra
Auch wenn mit den genannten Maßnahmen der Ausstoß von Treibhausgasen gesenkt werden könnte, bräuchte es nach Berechnungen von Agora Energiewende zusätzlich technologische Innovationen wie Wasserstoff, um das Ziel der Klimaneutralität 2045 zu erreichen. Wasserstoffbasierte Brennstoffe sind zwar vielseitige CO₂-freie Energieträger. Vor allem für die Luftfahrt im Bereich der Langstreckenflüge sowie in Teilen der chemischen Industrie und in der Stahlerzeugung sind sie eine sinnvolle Alternative zu fossilen Energieträgern.
Doch als universelle Lösung gegen die Erderwärmung sind sie ein falsches Versprechen. Zu diesem Schluss kamen laut „Tagesspiegel" Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Herstellung von Brennstoff auf Basis von Wasserstoff sei zu ineffizient, zu kostspielig und die Verfügbarkeit sei zu unsicher, um damit fossile Brennstoffe auf breiter Front ersetzen zu können. Dennoch bleibe die langfristige Vision von wasserstoffbasierten Brennstoffen vielversprechend.
Auch die sogenannte CCS-Technik spielt für die Erreichung der Klimaziele eine wichtige Rolle. Bei diesem Verfahren wird CO₂ aus der Atmosphäre entnommen und langfristig geologisch eingelagert. Dazu wird das Gas unter hohem Druck tief in die Erde gepresst und dort in Hohlräumen gelagert. Doch das CCS-Verfahren ist in Deutschland hoch umstritten. Umweltschützer sprechen von einer Mogelpackung, weil nicht erwiesen sei, dass das CO₂ nicht doch in die Atmosphäre entweicht.
Die Bundesregierung will in den kommenden zwei Jahren acht Milliarden Euro zusätzlich bereitstellen, um Klimaschutzmaßnahmen voranzubringen, zum Beispiel um die Produktion von grünem Wasserstoff zu beschleunigen. Derzeit stehen bereits 80 Milliarden Euro für Klimaschutzmaßnahmen bereit. Ein Sofortprogramm mit ersten Maßnahmen zur Umsetzung der Klimaziele soll demnächst auf den Weg gebracht werden. Es ist laut Bundesregierung als „fundierte To-do-Liste" zu verstehen und als „Brücke in die nächste Legislaturperiode".
Kritik am neuen Klimaschutzgesetz kommt vor allem aus der Industrie. Die Klimapolitik der Bundesregierung wird als überhastet und unrealistisch kritisiert, mit gravierenden Konsequenzen für den Industriestandort und die Beschäftigten, ließ der Verband der Automobilindustrie (VDA) verlauten. Andere Stimmen weisen darauf hin, dass die Wind- und Sonnenenergie allein für eine CO₂-freie Elektrifizierung von Industrie und Verkehr nicht ausreichen würde.