Das Saarland befindet sich mitten im Strukturwandel, Automotive und Stahl stehen vor enormen Umbrüchen. Die Corona-Krise tut ihr Übriges. Doch Ansiedlungen wie SVolt und Nobilia zeigen, dass die Region als Industriestandort attraktiv bleibt, sagt Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger.
Frau Ministerin, zwei dicke Fische in der Ansiedlungspolitik, einer längst an Land und der andere so gut wie in trockenen Tüchern. Wie schafft das kleine Saarland, sich im Konzert der Großen bei Ansiedlungen erfolgreich zu behaupten?
Wir sehen das Saarland als Industrieland und heißen ansiedlungswillige Unternehmen willkommen. Die Vorzüge des Standorts liegen klar auf der Hand: Wir verfügen über jahrzehntelange industriepolitische Kompetenz, wir haben eine gut ausgebildete Arbeitnehmerschaft, eine Forschungslandschaft auf Spitzenniveau wie Künstliche Intelligenz und IT-Sicherheit und liegen an der Schnittstelle der beiden größten Volkswirtschaften der EU. Darüber hinaus sind wir flexibel und können ansiedlungswilligen Unternehmen maßgeschneidert das anbieten, was sie suchen. Natürlich braucht man neben diesen Erfolgsfaktoren am Ende des Tages auch das Glück des Tüchtigen.
Das scheint das Saarland ja in diesem Punkt zu haben. Doch wie sicher ist letztendlich die Ansiedlung von SVolt?
Das Unternehmen hat eine Grundsatzentscheidung getroffen, im Saarland eine hochmoderne Zellfabrik und eine Modul- und Packfabrik zu bauen. Wie bei jeder anderen Industrieansiedlung nimmt das Verfahren seinen gewohnten Gang, beispielsweise beim Planungs- und Baurecht, bei der Beauftragung von Gutachten und Anhörungen in den kommunalen Parlamenten. Rechtmäßigkeit, saubere Planung und Transparenz sind oberstes Gebot. Die formalen Hürden zu nehmen gehört zu den klassischen Risiken im Ansiedlungsgeschäft. Eine wichtige Entscheidung ist mit der Unterstützung durch die Räte in Überherrn bereits gefallen – dank SPD und Grünen. Allerdings ist für mich nicht nachvollziehbar, warum sich die CDU im Gemeinderat Überherrn bei der Abstimmung enthalten hat. Man muss auch den Mut haben, sich klar zu so einer Schlüsselansiedlung zu bekennen. Die Begründung, nicht alle Antworten auf offene Fragen vorliegen zu haben, ist haltlos, denn gerade dafür ist ja das nun folgende Verfahren mit allen Gutachten da. Alle offenen Punkte werden da beantwortet.
Das sehen die Bürgerinitiativen aber anders. Der Vorwurf, SVolt würde bei den Zahlen zum Beispiel beim Wasserverbrauch nicht mit offenen Karten spielen, steht im Raum, zumal die Zellfabrik in Überherrn im Wasserschutzgebiet gebaut werden soll. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass große Industrieansiedlungen an Bürgerprotest scheitern?
Wir nehmen die Sorgen und Bedenken der Menschen sehr ernst. Transparenz und fairer Umgang sind wichtig und zwar bei allen Ansiedlungen. Die Ergebnisse von Gesprächen mit Bürgerinitiativen und den Menschen vor Ort fließen in die Planungen mit ein. Doch am Ende des Tages gilt es insgesamt abzuwägen, und es steht eine Entscheidung. Es soll alles besser werden, aber so bleiben wie es ist, funktioniert in der Praxis nicht.
Die Ansiedlung von SVolt gilt als Leitinvestition. Welche Signalwirkung erwarten Sie für das Saarland?
Das ist eine unternehmerische Leitinvestition von europaweiter Strahlkraft. Bis zu 2.000 Arbeitsplätze sollen in den beiden Werken entstehen. Das Saarland ist drittgrößer Automotive-Standort in Deutschland, vieles ist im Wandel und der wird immer spürbarer. Wir wollen, dass auch das Auto von morgen eine saarländische Seele hat. Mit SVolt haben wir die große Chance, bei der E-Mobilität in der ersten Liga zu spielen. Es wird neue Erkenntnisse für die hier vorhandene Automotive-Industrie geben, neue Geschäftsmodelle entstehen, Startups und Zulieferer kommen hinzu, das ganze Saarland kann Teil dieser Erfolgsgeschichte werden. Ich habe die begründete Hoffnung, dass Industrieunternehmen nicht abwandern, sondern sich vielmehr hier ansiedeln. Das alles wird weitere neue Arbeitsplätze schaffen, der Effekt geht also über SVolt hinaus. Mit der E-Mobilität stellt sich das Saarland noch breiter auf neben den bestehenden Antriebstechnologien und der geplanten Wasserstofftechnologie. Wir sind im Saarland gut aufgestellt und verfügen über gute Instrumente wie die Transformationsmanagementgesellschaft für Personal oder die Eigenkapital-Beteiligungsgesellschaft. Wir können Zukunft im Saarland, dürfen aber nicht die Hände in den Schoß legen. Corona hat die Entwicklungen eher noch beschleunigt.
Eine der größten Herausforderungen im Ansiedlungsgeschäft ist das Bereitstellen von Industrieflächen. Nach Masterplan 1 folgte Anfang des Jahres Masterplan 2 mit elf Flächen und insgesamt 333 Hektar. Was ist genau geplant?
Masterplan 1, mit vier Industriegebieten, 45 Unternehmen, unter ihnen auch Verlagerungen beziehungsweise Erweiterungen, und 3.350 Arbeitsplätzen, ist eine Erfolgsgeschichte. Masterplan 2 ist eine Blaupause für künftige Industrieansiedlungen. So schaffen wir Zukunft im Saarland. Mit einer Idee davon, wie unser Land in zehn, fünfzehn Jahren dastehen kann, dann einem Plan, wie man da hinkommt. Wenn ich Unternehmen ansiedeln will, die Arbeitsplätze schaffen, brauchen die Platz. Dafür haben wir im Saarland Flächen identifiziert nach bestimmten Kriterien wie Verkehrsanbindung, Entwicklungspotenzial, Erschließungs- und/oder Sanierungskosten. Neben Flächen, die neu erschlossen werden, den Greenfields, sind erstmals auch Brownfields dabei, also Flächen, auf denen schon einmal etwas stand. Von den identifizierten Flächen in saarländischen Kommunen werden im ersten Schritt drei bis vier als besonders geeignet übrigbleiben, da investieren wir 65 Millionen Euro in die Erschließung. Die Entscheidung treffen letztendlich die Kommunen. Das Land liefert die Vorlage, ob die Städte und Gemeinden Teil des Zukunftsplans werden wollen. Flächenpolitik ist immer auch Vorratspolitik für die Zukunft. Übrigens muss auch gar nicht aus jeder ehemaligen Industriefläche wieder Industrie werden. Manchmal passt eine Integration in ein städtebauliches Konzept sogar besser.
Bei der positiv ausgefallenen Abstimmung der Bürger aus Saarlouis über die Erweiterung des Industriegebiets Lisdorfer Berg dürfte Ihnen sicher ein Stein vom Herzen gefallen sein. Könnte das Modellcharakter annehmen?
Das Ergebnis ist ein deutliches Bekenntnis der Bürgerinnen und Bürger zum Industrieland Saarland. Es ist eine klare Richtungsentscheidung. Dennoch finde ich es richtig, dass es gewählte Räte gibt, denen die Bürger bei Wahlen das Vertrauen ausgesprochen haben. Diese Abwägung ist im Einzelfall natürlich schwer. Ich habe daher großen Respekt vor den Orts- und Gemeinderäten, zum Beispiel in Überherrn, die sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sich am Ende aber zu einer Gesamtabwägung und einer Haltung durchgerungen haben. Sie müssen vor Ort ihre Entscheidungen vertreten, ob nun in der Familie, bei Freunden, in der Öffentlichkeit oder bei Kritikern.
Das Saarland spricht viel von der partnerschaftlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Wie sieht das im Ansiedlungsgeschäft aus?
Wir arbeiten in vielen Bereichen zusammen und das ist gut so. Speziell im Ansiedlungsgeschäft gibt es naturgemäß einen gesunden Wettbewerb, schließlich kann immer nur ein Standort den Zuschlag bekommen. In der Praxis ist es aber so, dass mal der eine, mal der andere gewinnt. Beim Thema Wasserstoff haben wir aber zum Beispiel gerade ein grenzüberschreitendes Projekt beim Bundeswirtschaftsministerium und der EU-Kommission eingereicht. Durch den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt profitieren sowieso immer beide Seiten.