Das Saarland will auch im großen Strukturwandel Industrieland bleiben. Ansiedlungserfolge bestätigen die Strategie. Aber jede Entwicklung bleibt umstritten.
Auf dem Lisdorfer Berg ist bei „Nobilia" mit dem obligatorischen Druck auf den roten Knopf die Produktion angelaufen. Europas größter Küchenhersteller wird bis zu 1.000 Arbeitsplätze anbieten. Investition: Rund 200 Millionen Euro.
In St. Ingbert will Kettler rund 75 Millionen investieren, um dem E-Bike-Boom Rechnung zu tragen. Die Zahl der Beschäftigten im Saarland soll auf 500 anwachsen.
Beim Mega-Projekt SVolt in Überherrn laufen die Planungen auf Hochtouren. Zwei Milliarden Investitionen und bis zu 2.000 Arbeitsplätze stehen in Aussicht.
Die Botschaften der jüngsten Zeit seien „der Beweis, dass wir Industrieland sind", betonte eine sichtlich zufriedene Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) bei der offiziellen Inbetriebnahme von Nobilia in Saarlouis. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ergänzte: „Wir wollen zu den Gewinnern des Strukturwandels gehören." Als Standort für Küchen und Fahrräder war das Saarland bislang nicht im Fokus. Die Batteriefabrik von SVolt liegt dagegen in der Konsequenz der Entwicklung im Automobil-Bereich.
Erfolgreiche Ansiedlungen: Nobilia, Kettler und SVolt
Das Land braucht derart positive Schlagzeilen. Bekanntermaßen steht das Saarland mit seiner stark auf den Automobilbereich – und dort auf den Verbrenner – ausgerichteten Wirtschaftsstruktur samt der Stahlindustrie vor enormen Herausforderungen. Studien zufolge gehört das Land zu den Regionen, in denen der Wandel besonders tiefgreifend sein wird.
Ein Stück weit muss sich das Land, das Stahlkrisen kennt und den Kohleausstieg verkraftet hat, einmal mehr neu erfinden – und will gleichzeitig Industrieland bleiben. Die Wasserstoffstrategie ist dabei ein Baustein, der erst noch zeigen muss, wie tragfähig er ist.
In Sachen Ansiedlung schien es lange Zeit, als sei die Phase der Großinvestitionen vorbei und das Projekt Lisdorfer Berg, Jahrzehnte diskutiert vor der Realisierung, die letzte große Fläche, die auf entsprechend Ansiedlungswillige wartet. Die Investition in die Erschließung trägt sichtbare Früchte. Mehr noch. In einer Befragung haben sich die Saarlouiser mehrheitlich für eine – durchaus auch strittige – Erweiterung ausgesprochen. Und das mit bei einer beachtlich hohen Beteiligung (rund 40 Prozent) und einer eindeutigen Mehrheit. Das Ergebnis dieser Bürgerbefragung hat zwar keine rechtliche Bindung, ist aber gleich in mehrfacher Hinsicht ein Signal. Einmal in Richtung von möglichen Interessenten. Schließlich gibt es eigentlich kein Projekt mehr in dieser Republik, das nicht vor Ort auch heftigen Widerstand auslöst. Wenn nun von einer Bürgerbefragung das Signal ausgeht, dass Ansiedlungen willkommen sind, kann das zu einem nicht zu unterschätzenden Argument werden. Zudem ist eine solche Form von Bürgerbeteiligung über das hinaus, was ohnehin Verfahrenswege ermöglichen, ein Weg, um Fragen zu diskutieren und Meinungsbilder zu gewinnen, somit ein Stück Vertrauensbasis.
Dafür, dass begründete Einwände mögliche Projektträger nochmal zu neuen Überlegungen bringen können, gibt es durchaus. Das war offensichtlich vor drei Jahren der Fall bei Planungen des Logistikkonzerns DB Schenker für Ensheim. Und Globus hat bekanntlich für ein Standbein in Neunkirchen einen anderen als den favorisierten Standort mit einem modifizierten Konzept gefunden.
In Gersweiler ist die Erweiterung der Firma Woll dagegen nach wie vor ein höchst emotionales Thema. Ein „Zukunftsprojekt" (Stadt Saarbrücken) oder ein „völlig falsches Signal" (BUND und Bürgerinitiative Pro Wald)? Selbst da, wo erst einmal nur ausgelotet wird, wo es theoretisch noch Möglichkeiten für Ansiedlungen oder Erweiterungen gäbe, sorgt das vielfach schon für Misstrauen und gelegentlich sogar prophylaktischen Protest.
Kein Vorhaben ohne Widerspruch und Bedenken
Das Land wirbt bei möglichen Investoren mit industriegewohnten und qualifizierten Arbeitskräften, gleichzeitig ist aber auch die Sensibilität erkennbar gestiegen. Mancher Protest vor Ort mag von unmittelbaren Betroffenheiten getragen sein, grundsätzlich aber ist die Sorge um weitere Eingriffe in und mögliche Folgen für die Umwelt weitaus größer als je zuvor.
Diese größere Sensibilität gilt aber nicht nur für betroffene Bürger und Umweltschützer. Die ist längst auch in der Wirtschaftspolitik und bei den Planern angekommen. Der Umgang mit Kritik und Einwänden hat sich deutlich verändert. Was aber nicht bedeutet, dass sich damit das grundsätzliche Konfliktpotenzial auflösen würde.
Das Saarland wirbt schon mal augenzwinkernd mit seiner Kleinheit, genau die aber setzt den Möglichkeiten enge Grenzen. Im Wirtschaftsministerium favorisiert man deshalb auch den Masterplan 2 bei der Auswahl möglicher Industrieflächen und damit so genannte „Brownfields", also Flächen, die zuvor schon genutzt waren. Die Grünen fordern regelmäßig bei Ansiedlungsdebatten zuerst die Nutzung bisheriger Flächen in Betracht zu ziehen. Ein des Öfteren genanntes Beispiel dafür ist der Kraftwerkstandort Ensdorf. Für die Ansiedlung von SVolt ist allerdings ein Feld am Rand des Warndtwalds identifiziert worden.
„Die Flächen sind endlich", sagt auch Neunkirchens Oberbürgermeister Jörg Aumann (SPD). Und weil dem so ist, könne nur ein offener Dialog helfen, damit nicht in verhärteten Fronten Arbeitsplätze und Umwelt gegeneinander ausgespielt werden. „2.000 Arbeitsplätze sind keine Kleinigkeit", sagt Wirtschaftsministerin Rehlinger zur SVolt-Ansiedlung und wirbt für den Masterplan Industrieflächen, damit das Land etwas habe, um anbieten zu können, mahnt aber zugleich, Bedenken und Sorgen „sehr ernst" zu nehmen. Am Ende wird es in jedem Einzelfall, von der Großansiedlung bis zur überschaubaren Erweiterung, nur im „fairen Dialog" gehen.