Die Chef-Etagen der deutschen Wirtschaft sind noch immer männlich dominiert, und die Gleichstellung von Frauen in Unternehmensführungen kommt nur im Schneckentempo voran. Deswegen wurde jüngst ein Gesetz zur Mindestbeteiligung weiblicher Führungskräfte in Vorständen verabschiedet.
Am 1. Mai 2021 könnte eine neue Ära in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte eingeläutet worden sein. Denn mit der 60-jährigen gebürtigen Spanierin Belén Garijo beim Pharma-Riesen Merck übernahm erstmals eine Frau den alleinigen Vorsitz eines Dax-Konzerns. Die nur wenige Monate dauernde Episode der Amerikanerin Jennifer Morgan als Co-Chefin von SAP 2019 kann hier vernachlässigt werden. Wobei es keineswegs ein Zufall ist, dass Garijo wie Morgan keine deutsche Staatsbürgerin ist – fast die Hälfte der noch ziemlich überschaubaren Zahl weiblicher Vorstandsmitglieder in Dax-Unternehmen stammt aus dem Ausland. Mit einem Fixum von 6,3 Millionen Euro, das natürlich durch erfolgsabhängige Boni aufgestockt werden kann, stieg Garijo zwar zur bestbezahlten Top-Managerin Deutschlands auf, bleibt mit ihrem Verdienst dennoch ein ganzes Stück unterhalb des bei etwas über acht Millionen Euro angesiedelten Durchschnittssalärs ihrer männlichen Kollegen. Das könnte automatisch Assoziationen an den Gender-Pay-Gap wecken, der zu Ungunsten der Frauen ausfallenden Lohnlücke.
Der Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern gilt als Indiz für mangelnde Gleichbehandlung und lag im Jahr 2020 laut dem Statistischen Bundesamt bei rund 18 Prozent. Damit belegte Deutschland im EU-Ranking einen unrühmlichen hinteren Platz. Vermutlich wird auch deswegen hierzulande lieber auf den sogenannten bereinigten Gender-Pay-Gap, bei dem der Verdienstunterschied nur zwischen Männern und Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien ermittelt wird, Bezug genommen, statt auf den international gebräuchlichen unbereinigten Wert. Der bereinigte Wert lag für das Jahr 2020 bei sechs Prozent.
Selbstverpflichtung alleine nicht ausreichend
Das Salär von Garijo tanzt allerdings etwas aus der Reihe, weil laut einer Studie des Unternehmensberaternetzwerks Ernst & Young Ladys in den Top-Etagen deutscher börsennotierter Unternehmen im Schnitt sogar mehr verdienen als ihre männlichen Kollegen – weil die Zahl der entsprechend hoch qualifizierten Kandidatinnen klein sei, was direkte Auswirkungen auf deren Marktwert habe.
Offenbar scheint es inzwischen am Wirtschaftsstandort Deutschland entgegen der Einschätzung von Ernst & Young doch weitaus mehr herausragende Top-Managerinnen zu geben. Denn allein im Laufe dieses Jahres wurden bislang bei mindestens sieben börsennotierten Konzernen Frauen neu in den Vorstand aufgenommen. Die Britin Amanda Rajkumar (Jahrgang 1972) bei Adidas, Sarena Lin (Jahrgang 1971) bei der Bayer AG, Victoria Ossadnik (Jahrgang 1968) bei Eon, die Schwäbin Constanze Hufenbecher (Jahrgang 1970) bei Infineon, Katja Groß (Jahrgang 1977) bei Fielmann, Ingrid-Helen Arnold (Jahrgang 1968) bei Südzucker und Claudia Mayfeld (Jahrgang 1964) bei Knorr-Bremse.
Dabei hatte die 2006 gegründete Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte" (FidAR) noch im April 2021 das ernüchternde Fazit ziehen müssen, dass bei über der Hälfte der börsennotierten deutschen Konzerne keine einzige Frau im Vorstand zu finden war und dass 62 hiesige Großunternehmen auch für die nahe Zukunft mit frauenfreien Führungsetagen planen. Im gleichen Index wurde der Frauenanteil in den Führungsgremien der deutschen Top-Unternehmen auf aktuell gerade mal 13 Prozent taxiert, womit Deutschland im internationalen Vergleich noch immer weit hinter anderen westlichen Demokratien wie Norwegen, Schweden, Großbritannien oder den USA hinterherhinkt. Das mutet völlig unverständlich an, weil diverse Untersuchungen längst gezeigt hatten, dass sich Diversität für Unternehmen auszahlt. Laut einer Studie der Boston Consulting Group lässt sich die Gewinnmarge in Konzernen mit hoher Geschlechtervielfalt um bis zu neun Prozent steigern.
Konkreter Anlass zum Start der behutsamen Frauen-Offensive in einigen börsennotierten Konzernen war die Ankündigung eines Gesetzentwurfs, der im Juni 2021 durch Bundestag und Bundesrat trotz kritischer Einwände von Unternehmerseite verabschiedet wurde. Auch gegen seinen im März 2015 beschlossenen Vorgänger, dem „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst" (FüPoG), mit dem eine Quote von mindestens 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten voll mitbestimmungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen festgeschrieben worden war, war die Wirtschaft lange Zeit Sturm gelaufen. Doch das Ergebnis hatte der Bundesregierung Recht gegeben. Denn was durch die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen nicht erreicht werden konnte – vor der gesetzlichen Regelung lag der Frauenanteil in den Aufsichtsräten bei knapp 22 Prozent – wurde dank FüPoG in die gesellschaftlich erwünschte Richtung gelenkt: Mit einer Frauenquote von aktuell 33,2 Prozent in den Aufsichtsräten der 186 derzeit im Dax, M-Dax, S-Dax sowie im regulierten Markt notierten, paritätisch mitbestimmten Unternehmen. Bei den aktuell 106 der Quote unterliegenden Unternehmen liegt der Frauenanteil im Aufsichtsrat sogar bei 36 Prozent.
Einen ähnlich positiven Effekt verspricht sich die Bundesregierung vom „Zweiten Führungspositionengesetz – FüPoG II" für die künftige Zusammensetzung der Vorstandsetagen. Denn ohne Druck des Gesetzgebers wird sich der Frauenanteil in den 200 umsatzstärksten deutschen Unternehmen von derzeit laut Institut für Wirtschaftsforschung gerade mal 11,5 Prozent kaum schnell erhöhen lassen. Betroffen sind von dem Gesetz aktuell 66 Unternehmen mit in der Regel mehr als 2.000 Beschäftigten. Sie müssen künftig mindestens eine Frau im Vorstand aufweisen, wenn dieser mehr als drei Mitglieder hat. Für Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes soll bereits bei mehr als zwei Mitgliedern in der Geschäftsführung mindestens eine Frau vertreten sein. Unternehmen, die nicht unter die gesetzliche Vorgabe fallen, müssen künftig einen etwaigen Verzicht auf eine Frauenbeteiligung im Vorstand detailliert begründen.
„Das ist ein Meilenstein für die Frauen in Deutschland und bietet gleichzeitig eine große Chance sowohl für die Gesellschaft als auch für die Unternehmen selbst", so Bundesgleichstellungsministerin Christine Lambrecht. „Hochqualifizierte Frauen stoßen bisher noch immer viel zu häufig an gläserne Decken. Es gibt in den Vorständen immer noch reine Männerclubs, die gern unter sich bleiben. Damit wird zukünftig Schluss sein." Ins gleiche Horn blies die FidAR-Präsidentin Monika Schulz-Strelow: „Viele Konzerne haben keine Frauen in Führungspositionen und verfolgen offensichtlich auch keine Strategie, das zu ändern. Dann ist es konsequent, dass sie mit mehr Nachdruck zu gleichberechtigter Teilhabe aufgefordert werden." Die neue Bayer-Vorstandsfrau Sarena Lin hält die Zeit für Frauenpower im Interview mit der „Welt" für mehr als überfällig: „Wer heute noch ernsthaft glaubt, dass er am Status quo festhalten kann, mit wenig Frauen in Führungspositionen, der wird in der sich veränderten Welt nicht mithalten." Allerdings dürfte es notwendig und sinnvoll sein, als begleitende Maßnahme auch die Unternehmenskultur künftig auf mehr Familienfreundlichkeit auszurichten. Auch die Digitalisierung könnte ehrgeizigen Frauen helfen, Familie und Karriere dank mehr Flexibilität von Arbeitszeit und -ort besser miteinander vereinbaren zu können.