Rund 5.000 Kilometer durch zehn Bundesländer beträgt die Tour, auf der Michael Bauer gerade mit seinem Fahrrad unterwegs ist. Der 65-Jährige sammelt mit seiner ungewöhnlichen Reise Spenden für die Hilfsorganisation „World Bicycle Relief", die Menschen in Entwicklungsländern Räder zur Verfügung stellt.
Mir geht’s blendend", versichert Michael Bauer am Telefon. Er meldet sich vom nördlichsten Zipfel Deutschlands. Entspannt erzählt der Saarländer von seinem Tagesausflug. Am Morgen packte er das E-Bike in die Bahn, und ab ging’s Richtung Sylt. Allerdings über einen kleinen Umweg. Kurz nach der Abfahrt informierte ihn der Schaffner, dass er im falschen Zug sitze. Die Verzögerung störte den Radwanderer wenig. Die Insel läuft ja nicht weg. Und billiger wird sie auch nicht. Die Kugel Eis koste dort mittlerweile zwei Euro, berichtet Bauer. Eine tolle Landschaft entschädigt für die saftigen Preise. „Sylt ist ein Traum", schwärmt der Besucher. Der Ausflug nach Westerland war nur eine Etappe auf einer langen Fahrradreise. Sie begann am 4. Juni in Bauers Heimatstadt Völklingen. Rund 1.500 Kilometer hat er schon in den Beinen. Die tickende Uhr auf seiner Homepage zeigt, wie lange der Radler bereits unterwegs ist: 38 Tage, 23 Stunden, 55 Minuten. Etwa 3.500 Kilometer Strecke hat er noch vor sich – immer entlang der Grenze. „In 80 Tagen rund um Deutschland", lautet das Motto der Tour. Wenn alles glatt läuft, rollt der 65-Jährige am 25. August wieder in der Heimat ein. Hauptsächlich auf Radwegen und ruhigen Nebenstraßen fährt er 60 bis 100 Kilometer am Tag. „Ich bin genau im Zeitplan", versichert der Biker im Gespräch mit FORUM.
Seine Fitness hat sich bereits verbessert. Neben dem Menschen zeigt auch die Maschine keinerlei Ermüdungserscheinungen. Rahmen, Kette und Felgen sind intakt, nicht mal ein platter Reifen musste geflickt werden. Ein Missgeschick gab es allerdings, Bauer hat den Bordcomputer fallen lassen. Das gerissene Glas des Displays ist nicht mehr wasserdicht. Ersatz konnte auf die Schnelle nicht aufgetrieben werden. Also wurde improvisiert: Ein Gummihandschuh hält jetzt den Regen ab. Den Schutz musste Bauer dem Steuergerät aber erst zweimal überstülpen. „Das Wetter spielt mit", freut sich der Reisende. Einen Ruhetag pro Woche gönnt er sich und dem Rad. Regelmäßig wird der Drahtesel gewaschen, geölt und gewartet. Schließlich soll er seinen Fahrer und die schweren Satteltaschen noch lange pannenfrei tragen. „Ich habe viel zu viele Klamotten mitgenommen", sagt Michael Bauer mit einem Schmunzeln. Auf einen Großteil der 14 Unterhosen hätte er sicher verzichten können.
Eine Frau bot an, seine Wäsche zu machen
Neben Kleidung, Ersatzteilen und Werkzeug hat er Medikamente eingepackt. Sieben Tabletten täglich muss der Völklinger wegen seiner Herzerkrankung einnehmen. Am 12. September 2020 hätte ihm das Schicksal beinahe einen Strich durch die Reisepläne gemacht. Nach dem gemütlichen Frühstück mit der Familie hatte Bauer einen Herzinfarkt. Aus heiterem Himmel. Zum Glück war er nicht alleine. Seine Ehefrau und seine Tochter alarmierten den Rettungsdienst, im Krankenhaus wurde ein Stent eingesetzt. Mit der Reise will Michael Bauer allen Herzpatienten Mut machen. Die Botschaft: Nach einem Infarkt muss niemand auf der Couch versauern. Sport kann und soll man weiter treiben. Seine Ärzte gaben grünes Licht für die Tour. Mit einer Einschränkung: Um Anstrengungsspitzen –
etwa bei Bergfahrten – zu vermeiden, sollte Bauer vom normalen Rad auf ein Bike mit Elektroantrieb umsteigen.
Mittlerweile hat er sich an die Motorunterstützung gewöhnt, eine Stromladung reicht locker für den Tag. Am Abend gibt es dann Energienachschub für Ross und Reiter: Der Akku wird aufgeladen, und Bauer gönnt sich ein Weizenbier. Nach der Stärkung packt er den Computer aus und widmet sich dem Reiseblog. Täglich berichtet er im Internet über seine Erlebnisse. In der Nähe von Glückstadt traf er Ute aus Hamburg. Sie läuft nach Sylt – rund 50 Kilometer am Tag. Immer wieder begegnet Bauer netten Menschen. Etwa dem Fahrradmechaniker, der ihm trotz voller Auftragsbücher einen kurzfristigen Wartungstermin gab. Oder die Dame, die er nach dem Weg zum Waschsalon fragte. „Brauchst du nicht, gib her, ich mache das", sagte sie. Am nächsten Morgen konnte er die saubere Wäsche bei ihr abholen. Einmal bog der Saarländer falsch ab. Die Fahrt über einen Truppenübungsplatz überstand er aber ebenso unverletzt wie die Blechlawinen, die in Aachen und Bochum an ihm vorbeirauschten. „Die beste Stadt zum Radfahren ist Münster", betont der Biker. Dort haben die Radler Vorfahrt. Sein Eindruck: Je weiter man nach Norden kommt, umso rücksichtsvoller werden die Autofahrer. Doch nicht auf jeder Etappe herrschte viel Verkehr. „Kein Dorf, kein Mensch an der Strecke", schrieb der Reisende, nachdem er den ganzen Tag an Kartoffeläckern und Getreidefeldern entlanggerollt war.
Ursprünglich wollte Michael Bauer einfach losfahren und spontan entscheiden, wo er schläft. Wegen der Pandemie hat er dann aber doch alle Übernachtungen im Voraus gebucht. Trotz niedriger Inzidenz radelt Corona immer mit. Gerne hätte sich der Radtourist bei der Fußball-Fernsehübertragung zu einer Gruppe Fans hinzugesellt. Das ließen die Abstands- und Hygieneregeln der Gaststätte aber nicht zu. Und auf einen Ausflug in die Niederlande verzichtete er wegen der Quarantänepflicht. Michael Bauer ist ein weltoffener Mensch. Immer wieder hat er fremde Länder und Kulturen erkundet – per Anhalter, mit dem Flugzeug, dem Kleinbus, der Vespa, dem Wohnmobil. Und natürlich mit dem Fahrrad. Mit Freunden strampelte er über die Alpen, von Füssen bis an den Gardasee. Er liebt das entschleunigte Reisen. Während die Landschaft im Auto am Fenster vorbeifliegt, ist der Pedaleur immer mittendrin im Geschehen. Er riecht die Blumen, hört die zwitschernden Vögel, spürt den Gegenwind.
Vermisst seine Frau und Tochter
Im Ruhestand wollte Bauer mal wieder länger verreisen. Aber wohin? „Ich habe schon fast jeden Kontinent besucht", erzählt der Globetrotter. Das Heimatland kam dabei etwas zu kurz. Vor allem im Osten gibt es noch einige weiße Flecken auf seiner Landkarte. Also entschloss er sich, Deutschland zu umrunden. Schon zu Beginn der Planung wusste Michael Bauer, dass er auch für den guten Zweck in die Pedale treten möchte. Bekannte erzählten ihm von der Hilfsorganisation „World Bicycle Relief". Sie stellt Menschen in Entwicklungsländern Räder zu Verfügung. Mit ihnen fahren Kinder in die Schule, Händler zum Markt und Krankenschwestern zur Arbeit. Die einfachen, robusten Drahtesel werden vor Ort produziert und gewartet. „Das passt prima zu meinem Projekt", dachte sich Bauer. Sein Motto: Ich radele – ihr spendet. Die Unterstützer geben einen festen Betrag pro gefahrenen Kilometer, die Höhe legt jeder selbst fest. Nach der 20. Etappe hatte Bauer 2.624 Euro erradelt. „Schon 19 Fahrräder!", verkündete er auf seiner Homepage.
Offiziell ist der stellvertretende Direktor der Volkshochschule Völklingen noch nicht im Ruhestand. Dank einer Altersteilzeitregelung konnte er sein Büro im Alten Rathaus aber bereits räumen. Michael Bauer ist gelernter Textil-Einzelhandelskaufmann und studierter Betriebswirt. Einige Semester klassische Archäologie gehören ebenso zu seinem Lebenslauf wie ein Ausflug in die Gastronomie. Gemeinsam mit drei Mitstreitern führte er die Völklinger Musikkneipe „Zum Weißen Rössel". Dort spielte die Band BAP ihr erstes Konzert im Saarland. „Das war eine schöne Zeit", erinnert sich der ehemalige Wirt. Nachdem er den Gaststätten-Job aufgegeben hatte, lebte er acht Monate auf Kreta. „Um nachzudenken, wie das Leben weitergeht", erinnert er sich. 1986 heuerte Bauer bei der Volkshochschule Völklingen an, dem Bildungsträger hielt er 35 Jahre die Treue. Als EDV-Experte zeigte er sich immer offen für Innovationen in der Erwachsenenbildung. Sein Steckenpferd waren die Webinare, schon früh setzte er sich für den Online-Unterricht ein.
Zurück zur Deutschland-Tour. Trotz der vielen positiven Eindrücke und Erlebnisse ist Bauer nicht wunschlos glücklich. Gern würde er seine Ehefrau Astrid und seine Tochter Zarah wieder in die Arme schließen. „Ich vermisse meine beiden Mädels", sagt er. Seine Frau sieht er schon vor dem Ende der Reise wieder. Sie kommt mit dem Zug nach Salzburg. Von dort radeln die beiden die letzten 1.000 Kilometer gemeinsam zurück in die Heimat.