Noch einen draufsetzen auf das eigene Berufsleben – da spricht vieles für: Schließlich werden wir nicht nur immer älter, sondern bleiben dabei auch immer fitter. Aber wie ist es, wenn man statt dem Ruhestand sogar noch die Unternehmerin in sich entdeckt?
Was heißt hier entdecken? Da hält sich Elke Jensen nicht mit auf. Die Designerin steht kurz vor der allerersten Auslieferung und hat ganz andere Probleme. Denn die Kartons, in denen sie ihr Produkt verschicken will, verspäten sich. Wie so viele Materialien ist auch Pappe gerade Mangelware. Ein bisschen warten kann sie aber noch, denn auch der Inhalt für die Kartons ist schließlich noch unterwegs in ihr Hamburger Büro. Die Ware – das sind farbenfrohe Stahlgestelle mit Rollen, vorne drauf eine große Ledertasche: Elke Jensen hat den City Caddy entwickelt, weil sie so die Lücke schließen wollte „zwischen Hackenporsche und Rollator". Und je mehr sie sich umschaute, desto klarer sah sie die Marktlücke: „Viele ältere Menschen brauchen im Alltag eine Option, um sich mal festzuhalten, ein bisschen zu schieben – aber sie brauchen noch lange keinen Rollator. An dem Punkt habe ich überlegt: Wie kann ich ein nicht-medizinisches Produkt gestalten, das zwar hilft, indem man sich abstützen kann, das aber dabei elegant ist?" Bis aus der ersten Idee das heutige Produkt geworden ist, ist viel passiert. Nicht zuletzt die Unternehmensgründung. Elke Jensen ist 71. Und damit mittendrin in der neuen Gründerzeit.
Gefragt: Gründer mit Erfahrung
Ihren Namen haben sie schon, die Entrepreneure in ihren „seniorigen" Jahren: Wer spät gründet, ist „Seniorpreneur". Was genau spät ist, variiert dabei – tendenziell ist die Zielgruppe jedoch jenseits der 50. Längst ist diese Altersgruppe in den Blick geraten, schließlich braucht Deutschland mehr Unternehmer und wird dabei immer älter. In Deutschland sind die Babyboomer inzwischen die größte Bevölkerungsgruppe: Jahr für Jahr gehen damit mehr Erwachsene in den Ruhestand, die gut ausgebildet sind und im langen Berufsleben einen großen Erfahrungsschatz gesammelt haben. Für diejenigen unter ihnen, die sich vorstellen können, Unternehmer zu werden, gibt es inzwischen einiges an Beratung und Unterstützung. Städte und Gemeinden haben Förderprogramme ins Leben gerufen, Beratungsstellen wenden sich explizit an Gründer ab den mittleren Jahren. Die Hamburger Körber-Stiftung lobt seit 2019 den Zugabe-Preis aus und honoriert damit Entrepreneure, die mit über 60 Jahren ein Sozialunternehmen gegründet haben. Das RKW-Kompetenzzentrum, ein in ganz Deutschland vertretenes Netzwerk, das Gründer und Unternehmer berät, widmet dem Bereich ein eigenes Projekt. Für ihre jüngste Studie zum Thema haben die RKW-Forscher späte Gründer befragt und halten fest: Diese haben sich „innerhalb kurzer Zeit von Not- zu Chancengründern entwickelt. Sie sind gut ausgebildet, bringen nachhaltige regionale Gründungen hervor und zeigen ein großes Interesse an sozialen und ökologischen Belangen." Und sie sind keine Seltenheit: Rund ein Viertel aller Gründungen spielte sich 2017 in dieser Altersgruppe ab. Allerdings: Gründer ab 65 Jahren sind in den meisten Statistiken gar nicht mitaufgeführt.

Zwischen Rollator und Hackenporsche
Auch für Elke Jensen war die 65 etwas Besonderes, wobei – sie präzisiert: Sie war 65 Jahre und 3 Monate alt, als ihre Zeit als Hochschul-Professorin endete. Die Produktdesignerin hat viele Jahre an einer Design-Hochschule gelehrt. Aber nicht nur: Sie war auch Galeristin, hat Produkte gestaltet, Unternehmen beraten – immer an der Schnittstelle von Architektur, Design und Kunst. Über das, was ihr nächstes Standbein werden sollte, hatte sie beim Abschied von der Hochschule längst nachgedacht. Dass die Entwicklung so langwierig war, hat ihr dennoch Geduld abverlangt. Während sie durch ihre dicken Skizzenbücher blättert, erzählt sie, wie sie sich mit jeder Zeichnung weiter vom Rollator wegentwickelt hat. Der Knoten sei geplatzt, als ihr die Idee für den Namen kam: City Caddy. Nicht das Alt- und Kranksein sollte im Vordergrund stehen, sondern das schöne, aktive Freizeitvergnügen.
„Wie kriege ich eine Idee in die Luft?"
Was sich im Rückblick anhört wie ein Sprint, hat dabei jeden Marathon übertroffen. Zwischen den ersten Entwürfen und dem fertigen Produkt lagen rund sechs Jahre. Für eine Produktentwicklung sei das allerdings nicht ungewöhnlich, schließlich liege der Schwerpunkt dabei auf der Entwicklung – und das sei ein ganz langer Prozess. „Erst mal hat man Ideen, dann den Namen – und dann kommt die Realität", resümiert die Designerin und schmunzelt. Zum Beispiel über die ersten Testmodelle: Den allerersten Prototypen für ihren CityCaddy hat ihr Bruder aus Metall gebaut, unten drunter kamen alte Kinderwagenräder. Die Materialien, mit denen sie arbeiten wollte, vor allem Stahl und Leder, standen relativ früh fest, denn das Ergebnis sollte möglichst nachhaltig sein. Aber kaum war der erste Hersteller gefunden, sprang er wegen Personalengpässen wieder ab. Inzwischen sind für alle Teile des City Caddys Manufakturen mit an Bord, das Ergebnis ist „made in Germany".
Braucht es Mut zum Risiko? Natürlich, sagt Elke Jensen. „Aber ich hoffe, dass die Hürden – und die werden kommen – sich überspringen lassen." Zumindest fließt mit der ersten Auslieferung in den nächsten Wochen auch das erste Mal Geld zurück in die Firma. Denn die gibt es inzwischen: Nachdem Elke Jensen die Entwicklung des rollenden Begleiters jahrelang auf eigene Faust vorangetrieben hatte, wollte sie sich für die Produktion finanzielle Unterstützung an Bord holen. Hinter ihrer City Caddy UG stehen jetzt zehn Gesellschafter, alle aus dem Familien- und Freundeskreis. Sie halten insgesamt rund ein Drittel des Unternehmens. „Ich bin einfach lang auf der Welt und habe immer ein gutes Netzwerk gehabt", strahlt die Unternehmerin.
Im Vorteil: gute Netzwerker
Damit hat sie eine der größten Hürden wohl schon genommen: Denn laut RKW-Studie ist das Fehlen eines geeigneten Netzwerks die Herausforderung, mit der Gründer am häufigsten zu kämpfen haben. Fast 70 Prozent von ihnen gaben an, das Knüpfen von Kontakten rund um ihre Gründung oder um die Kundengewinnung sei schwierig. Das Beratungs- und Unterstützungsangebot insgesamt halten späte Gründer dagegen für gut ausgeprägt. Auch Elke Jensen hat sich mal bei der KfW nach einer Finanzierung umgehört, sich für die passende Lösung aber doch auf ihren eigenen Familien- und Freundeskreis besonnen. Die Beratung zu kaufmännischen Themen sei gut, findet die Gründerin. Aber das sei eben noch lange nicht alles. Gerade für Gründer, die Produkte entwickeln wollten, müsse es auch Beratung zu Materialien oder Fertigung geben, zu technischen Aspekten und vor allem auch rund um die IT. Und noch einen Punkt findet Elke Jensen wichtig beim Thema Beratung: „Mein Plädoyer: Man braucht Senioren-Gründer nicht gesondert anzusprechen. Ich bin absolut dafür, das altersmäßig zu mischen – es ist viel, viel wichtiger, dass Gründen ein generationenübergreifendes Thema ist."