Mit der Xbox Series X und S hat Microsoft am 12. November 2020 gleich zwei Modelle auf den Markt gebracht. Sony veröffentlichte mit der Playstation 5 eine Woche später seine neue Generation der beliebten Spielekonsole. Doch noch nie war es so schwierig, an eines der begehrten Geräte heranzukommen.
Die Auto- und die Gaming-Industrie haben ein gemeinsames Problem: Ihre Produktion ist wegen des Halbleitermangels ins Stocken geraten. Der führende Webdienst für professionelle Elektronik, elektroniknet.de, der über die prekäre Entwicklung der Liefersituation speziell bei Halbleitern seit Monaten berichtet, konstatierte bereits im Januar, dass weder Sony die Markteinführung seiner neuen Playstation 5, noch Microsoft seine X-Box im Weihnachtsgeschäft wie geplant umsetzen konnte, weil es Probleme bei der Halbleiterversorgung gegeben hat. Während man in Deutschland in den großen Elektromärkten rein gar nichts von der Xbox Series S/X mitbekam, lieferte Sony bereits eine Woche vor Verkaufsstart der Playstation 5 Spiele und das Zubehör an den stationären Handel aus.
Die Konsole selbst wurde ausschließlich online über die großen Anbieter verkauft. Der Vorverkauf fand ohne Ankündigung in einem engen Zeitfenster statt, sodass viele Kunden das Gerät nicht bestellen konnten. Wer es aber schaffte, eine Bestellung bei einem großen Händler wie Media Markt oder Saturn aufzugeben, hat das Gerät trotzdem nicht am Erscheinungstag geliefert bekommen. Viele Kunden beschwerten sich, dass die Konsolen nur in einer sehr kurzen Zeit überhaupt bestellbar waren und ein großer Teil davon über sogenannte Scalper durch Kauf-Bots ergattert wurde.
Scalping, zu Deutsch skalpieren, bezeichnet eine Börsen- oder Handelsstrategie. Der Scalper hält Positionen nur für eine kurze Zeit, um diese dann gleich wieder zu verkaufen. Hierdurch ist es möglich, selbst bei geringem Einsatz ordentliche Gewinne zu erreichen. Bedeutet das im konkreten Fall der Konsolen Folgendes: flüssiges 4K-Gaming für die unverbindliche Preisempfehlung der Hersteller für 500 Euro? Wohl eher zu Mondpreisen von 800 Euro via Ebay oder andere Plattformen mangels Nachschub.
Chip-Knappheit trifft die gesamte Branche
Aufgrund des Technologie-Banns der Administration von Ex-US-Präsident Donald Trump durften internationale Halbleiterhersteller seit dem Herbst vergangenen Jahres unter anderem chinesische Produktionsstätten (Foundries) wie SMIC nicht mehr nutzen. Das führte zu Verlagerungen von Foundries in andere asiatische Länder. Vor dem Hintergrund der raschen wirtschaftlichen Erholung Asiens vom Corona-Schock und den Folgen der erzwungenen Produktionsverlagerungen in außerchinesische Foundries verschärften sich die Probleme der weltweiten Lieferketten.
Noch vor der Krise zählten die großen Player der Videospiel-Industrie zu den Gewinnern der Pandemie. Man wähnte Gamer im Homeoffice oder in Kurzarbeit, mit mehr Zeit für Computer- oder Videospiele. Das Problem, dass Chipfabriken voll ausgelastet sein müssen, damit sie Profit abwerfen, hat sich durch die gestörten Außenhandelsbeziehungen zwischen China und den USA während der Pandemie verschärft, da diese sowohl die Lieferketten unterbrochen, als auch die Produktion beeinflusst und gleichzeitig die Nachfrage nach Elektronik für zu Hause erhöht hat. Normalerweise würde man Engpässe ausgleichen, indem man Produktionskapazitäten erhöht. Aber Chip-Fabriken wie die von TSMC sind Hightech-Werke, die viele Milliarden kosten und nicht einfach mal in ein paar Wochen hochgezogen werden können. Es braucht eine sehr exakte Planung, damit es nicht zu Lieferengpässen kommt. Und weil die existierenden Fabriken schon immer fast an 100 Prozent Auslastung kratzen, konnten erst einmal keine Kapazitäten erhöht werden.
Hinzu kommt, dass Grafikkarten ebenfalls von der Chip-Knappheit sehr stark betroffen sind – und das nicht nur, weil Gamer ihre Peripherie upgraden wollen. Der Boom bei den Preisen von Kryptowährungen hat viele Miner dazu veranlasst, eine ASIC – das ist eine bestimmte Art von Grafikkarte, die für das Mining von Proof-of-Work-Kryptowährungen wie Bitcoin besonders geeignet ist – zu kaufen. Nvidia und AMD, die größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen für Personal Computer, Server und Spielkonsolen, halten die Produktion nicht knapper als bei früheren Markteinführungen. Man hat schlicht und einfach die Nachfrage unterschätzt. Jim Ryan, CEO von Sony Interactive Entertainment, gibt an, dass in den ersten zwölf Stunden der PS5-Markteinführung genauso viele Einheiten vorbestellt wurden wie in den ersten zwölf Wochen beim Vorgängermodell. Bis Ende 2020 bedeutete dies ein Absatz von 4,5 Millionen Stück.
Zwei Jahre bis zum Gleichgewicht
Trotz der weiter steigenden Nachfrage würden laut den Marktforschern die großen Kapazitätserweiterungen der Halbleiterhersteller ab Ende 2022 im Markt spürbar werden. Schon im vierten Quartal dieses Jahres könnte sich die Knappheit leicht entspannen. Mario Morales, Group Vice President Enabling Technologies and Semiconductors von IDC, prognostiziert einen Wachstum des Halbleitermarktes. Die Nachfrage aus dem Consumer-Markt bleibe trotz der vierten Covid-19-Welle hoch. Die Foundries seien deshalb für den Rest des Jahres ausgebucht, die Auslastung läge bei fast 100 Prozent. Während die Front-End-Fabs den Bedarf im dritten Quartal 2021 decken könnten, gebe es in der sogenannten Back-End-Fertigung (Assembly und Test) und auf der Materialseite weiterhin Engpässe.
Die Meinungen darüber, wann der Mangel enden wird, gehen bei Experten auseinander. Doch zwei Jahre sind wahrscheinlich, so lautet die Kernaussage. Der CEO des Chipherstellers STMicro schätzt, dass der Engpass Anfang 2023 enden wird. Der CEO des Autoherstellers Stellantis glaubt, dass sich der Mangel leicht bis in das Jahr 2022 ziehen wird. Auch Intel-CEO Patrick Gelsinger ist der Meinung, der Notstand könnte noch zwei Jahre andauern.
Professor David B. Yoffie, Professor of International Business Administration an der Harvard Business School, erwartet, dass sich ein Teil der Nachfrage in den nächsten sechs bis zwölf Monaten verlangsamen wird. Er schätzt jedoch, dass es wahrscheinlich zwei Jahre dauern wird, bis das Angebot die Nachfrage einholt und ein Gleichgewicht erreicht ist. Bis dahin warte, wer es sich leisten kann, zu warten.