Um Wetterereignisse zukünftig berechenbarer zu machen, braucht es Rechenleistung – und zwar nicht wenig. Am Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg stellt man sich der Herausforderung mit einem Supercomputer allein für die Klimaforschung.
Die Flutkatastrophe in Ahrweiler, riesige Waldbrände in den USA, Stürme in kaum gekannter Stärke. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels werden zunehmend sichtbar. Aber was steht uns eigentlich noch bevor, wenn wir unser Verhalten auf der globalen Ebene nicht ändern? Macht es einen Unterschied, ob wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens einhalten, also den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad halten? Oder sind vier Grad mehr auch noch akzeptabel? Das sind keine rein philosophischen Fragen, sie können sehr wohl real beantwortet werden – und überall auf der Erde setzen sich Klimaforscher genau dafür ein. Es gibt nur ein Problem: Klimamodelle mit all ihren Eventualitäten global für einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten zu berechnen, ist nur für die stärksten Supercomputer möglich. Dabei wird ein möglichst engmaschiges Gitter, mit Millionen von einzelnen Segmenten, über die Erde gelegt. Für jedes Segment müssen der Niederschlag, die Wolkenbildung und die Interaktion mit den benachbarten Zellen berechnet werden. So kommt man immer schnell an die Grenzen des technisch Möglichen: Schon die Seitenlängen eines Segments zu halbieren, um immer präzisere Aussagen zu treffen, erfordert das Vierfache an Rechenpower, da aus einem Gitterstück vier werden. Zusätzlich müssen die Klimaveränderungen immer in möglichst kleinen Zeiteinheiten prognostiziert werden, was die Anzahl der nötigen Berechnungen ebenfalls rapide steigen lässt.
„Dezidiert für die Klimaforschung"
In Hamburg gibt es deswegen seit 1988 das Deutsche Klimarechenzentrum, kurz DKRZ, dessen erster wissenschaftlicher Direktor Prof. Dr. Klaus Hasselmann erst kürzlich den Nobelpreis für Physik für seine Arbeit und Forschung zum Thema Klimawandel erhalten hat. Die Gesellschafter des Projekts, die Max-Planck-Gesellschaft, die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Universität, das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und das Helmholtz-Zentrum Hereon, wollten einen Raum schaffen, in dem Klimaforschung bestmöglich betrieben werden kann. Für Deutschland ist das ein absolutes Vorzeigeprojekt, ähnlich zugeschnittene Einrichtungen sucht man im internationalen Vergleich lange. „Wir sind eine Serviceeinrichtung dezidiert für die Klimaforschung mit einem Hochleistungsrechner und einem Datenarchiv", erklärt Pressereferentin Jana Meyer, „durch unseren engen Zuschnitt haben wir die Möglichkeit, die bei uns forschenden Wissenschaftler mit einem Team sehr gut bei ihren individuellen Aufgaben zu begleiten. So haben wir mittlerweile ein zwanzigköpfiges Team, das ganz eng mit den Forschern zusammenarbeitet und ihnen hilft, ihre Modelle effizienter zu programmieren, berechnen zu lassen und danach entsprechend zu visualisieren."
Dass das DKRZ ganz besonders für seinen Zweck eingerichtet ist, bemerkt man auch an den einzelnen Bereichen, die vor Ort zusammenspielen. Zunächst ist da natürlich das Herzstück, der Supercomputer. Zurzeit arbeitet der Computer mit dem Namen HLRE-3 Mistral, der 2015 eingerichtet wurde, noch ohne Unterlass mit seinen mehr als 100.000 Prozessorkernen und einer Spitzenrechenleistung von 3,6 Petaflops, an Was-wäre-wenn-Klimaszenarien. Mit seinen sechs Jahren steht er aber schon kurz vor dem Ruhestand: Derzeit wird schon sein Nachfolger Levante getestet, der mit dem Fünffachen an Leistung ab November stückweise übernehmen soll. Meyer: „Levante ist bereits aufgebaut und wird von der Rechnerfirma eingerichtet und getestet. Nach einer Übergabephase, in der auch die tatsächliche Rechenleistung durch sogenannte Benchmarks gemessen wird, soll das System zum Ende des Jahres für die Forschung zur Verfügung stehen." Das heißt aber nicht, dass das alte System direkt abgeschaltet wird. Da viele Forschende ihre Arbeiten im Rahmen von Projekten oder Dissertationen zu einer bestimmten Zeit fertiggestellt haben müssen, sei es keine Option, den alten Supercomputer einfach abzuschalten, bevor das neue System zur Verfügung steht, sagt Jana Meyer: „Die Nutzerinnen und Nutzer müssen vielmehr Zeit haben, ihre Programme und Daten auf das neue System zu übertragen, bevor das alte abgeschaltet wird." Daneben gehört die Visualisierung der errechneten Daten zu einer Hauptaufgabe des Klimarechenzentrums. Dafür stehen spezielle Rechenknoten mit ausreichender Grafikpower zur Verfügung, um nachher exakte Klimakarten und Animationen für Forschungsberichte zu erstellen. Solche Bilder gehen dann um die Welt, wie zuletzt beim Klimabericht IPCC, und verdeutlichen uns viel eher die Dringlichkeit zu handeln als eine schlichte Tabelle.
Ein weiterer integraler Bestandteil ist das Datenarchiv: Hier sind 130 Petabyte Klimadaten gespeichert. Zum Vergleich: Eine moderne Festplatte hat eine Handvoll Terabyte, 1.024 Terabyte sind ein Petabyte. Die Daten stehen so auch in Zukunft der Forschung zur Verfügung und müssen im Zweifelsfall nicht erneut berechnet werden. Da Festplatten für eine langanhaltende Datenspeicherung nicht ausreichend sind, verfügt das DKRZ über Magnetbandbibliotheken, die automatisiert von Roboterarmen betreut und gepflegt werden. Allein dieser Teil des Datenarchivs verfügt derzeit über die Speichermöglichkeit von 200 Petabyte an Daten.
Um Rechenzeit von Mistral oder Levante zu bekommen, kann sich jeder Klimaforscher oder jedes Forschungsprojekt zu dem Thema aus Deutschland bemühen. „50 Prozent unserer Rechenzeit stehen unseren Gesellschaftern zur Verfügung, auf die restliche Zeit können sich Wissenschaftler aus Deutschland mit ihren Forschungsprojekten bewerben. Zweimal im Jahr entscheidet dann ein Gremium über die eingegangenen Anträge", so Jana Meyer. Faktoren, die überprüft werden, sind unter anderem, ob es die Berechnungen in der Vergangenheit schon gegeben hat und wie sinnvoll das Projekt für die Klimaforschung ist. Schließlich kann eine Modellberechnung den Rechner über mehrere Tage beanspruchen. Als gemeinnützige Einrichtung kostet die Nutzung des Computers für die Forschenden nichts.
Abwärme heizt im Winter Labore
Natürlich ist es etwas paradox, dass es diesen Energiefresser in Hamburg braucht, um mittelfristig bei der Bekämpfung des Klimawandels zu helfen. So sind sich die Angestellten ihrer besonderen Rolle bewusst und versuchen stets, durch effizientere Teile oder intelligentere Kühlungssysteme einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Meyer: „Was unsere eigene Klimabilanz angeht, sind wir uns unserer Rolle als Klimarechenzentrum bewusst. Wir sind bemüht, das Rechenzentrum so energieeffizient wie möglich zu betreiben. Ein Beispiel: Im Winterhalbjahr werden benachbarte Labore der Universität mit der vom Rechner erzeugten Abwärme beheizt, sodass dort die entsprechende Menge Heizenergie eingespart wird. Zudem beziehen wir zertifizierten Strom. Es ist aber auch klar, dass wir die benötigte Energie für unser Rechenzentrum auch nicht einfach durch Solarpaneele auf dem Dach selbst erzeugen können." Auch der neue Computer Levante wird trotz deutlich größerer Power um einiges energieeffizienter als der HLRE-3 Mistral sein.
Sollten sich die Schätzungen mit den Benchmarks bewahrheiten, wäre der neue Klima-Hochleistungsrechner mit mehr als 15 Petaflops einer der 30 potentesten Computer der Welt. Für die Klimaforschung, die in Zukunft wohl eher noch an Relevanz gewinnen wird und die Menschen zum Umdenken anhalten muss, sind das ausgezeichnete Voraussetzungen für die kommenden fünf bis sechs Jahre. Dann wird vermutlich auch Levante in Rente geschickt, um erneut einem deutlich besseren Rechner für noch genauere Klimamodellierungen Platz zu machen.