Inter- und Transgeschlechtlichkeit – Leistungsvorteil im Frauensport?
Diversität ist heute kein Fremdwort mehr. Sexuelle, kulturelle und ethnische Vielfalt werden gefördert und gefeiert. Allerdings tut sich der Sport schwer, so weit es sich um geschlechtliche Identität handelt.
Biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern wie Muskelmasse und Sauerstofftransportkapazität erfordern eine Trennung der Geschlechter in vielen leistungssportlich betriebenen Sportarten. Andernfalls wären Frauen chancenlos.
Störungen der Geschlechtsentwicklung oder andere Ursachen können zur Intersexualität führen. Körperliche Geschlechtsmerkmale beim dritten Geschlecht entsprechen häufig nicht dem chromosomalen Geschlecht. Frauen, die nicht eindeutig ihrem Geschlecht zuzuordnen sind, können Wettbewerbsvorteile haben. Prominentes Beispiel ist die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin.
Medizinisch gehört sie in die Gruppe der XY-Frauen, also Frauen mit männlichen Geschlechtschromosomen. Die Liste erfolgreicher intersexueller Sportlerinnen enthält weitere bekannte Namen. Die „Neue Zürcher Zeitung" titelte den 800-Meter-Lauf der Frauen bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio „Der Endlauf der Kontroverse". Drei intersexuelle Frauen gewannen Gold, Silber und Bronze.
Diskriminierung versus Gerechtigkeit. Bleibt intergeschlechtlichen Frauen der Weg in den Spitzensport zukünftig versperrt? Eine dritte Kategorie für das dritte Geschlecht wäre möglich, aber wegen der wahrscheinlich geringen Teilnehmerzahl nicht praktikabel. Würde sich der Sport von der tradierten biologischen Klassifizierung lösen, verlöre der Frauensport viel von seiner insbesondere in den letzten Jahrzehnten erlebten Faszination.
Die gängige Praxis orientiert sich an Testosteron-Grenzwerten, wenn Zweifel am biologischen Geschlecht bestehen. Die Teilnahme an Wettkämpfen erfordert die dauerhafte Senkung überhöhter Testosteronspiegel beispielsweise durch entsprechende Medikamente.
Die Regelung ist umstritten, manche bezeichnen sie als diskriminierend. Aus medizinischer Sicht ist unter anderem zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Rezeptorempfindlichkeiten bis hin zur Androgenresistenz bestehen können, was die Wirkung von Testosteron beeinflusst.
Unbestritten ist die Bedeutung von Testosteron für die physiologischen Leistungsunterschiede zwischen Frauen und Männern. In diesem Kontext ist es jedoch unverständlich, die Testosteron-Regel auf die Laufstrecken zwischen 400 Meter und einer Meile zu beschränken, gestützt durch eine einzige Studie. Anabole Hormone wie Testosteron beeinflussen nahezu alle leichtathletischen Disziplinen (und auch andere Sportarten), ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten einzugehen. So durfte die bis dahin weltjahresbeste 400-Meter-Läuferin Christine Mboma aus Namibia wegen zu hoher Testosteronwerte nicht am olympischen 400-Meter-Lauf in Tokio teilnehmen.
Die Regel erlaubte aber die Teilnahme am 200-Meter-Lauf. Sie gewann die Silbermedaille mit neuem Afrikarekord.
Die medizinische Situation bei Transgender-Athletinnen oder kurz Transfrauen ist etwas anders gelagert, die leistungssportliche Problematik aber vergleichbar. Wenn Frauen, die in einem biologisch männlichen Körper geboren werden, eine Geschlechtsangleichung vornehmen lassen, bleibt nach Ansicht von Wissenschaftlern ein Leistungsvorteil gegenüber biologischen Frauen. Auch die Absenkung des Testosteronspiegels unterhalb des Grenzwertes ändere daran nichts.
Zum ersten Mal startete eine Transfrau bei den Olympischen Spielen in Tokio. Heftig und teilweise emotional diskutiert wurde in diesem Zusammenhang der Widerspruch zwischen Inklusion und Fairness. Einige verglichen die erstmalige olympische Zulassung einer Transfrau mit dem Öffnen der Büchse der Pandora.
Noch einmal Diskriminierung versus Gerechtigkeit. Was hat Priorität? Die Geschlechtertrennung im Leistungssport ist eine biologische Notwendigkeit, nimmt man die Fairness ernst. Die aktuelle Testosteron-Regel gibt allen Frauen die Möglichkeit, an sportlichen Wettbewerben teilzunehmen. Diskutabel bleibt, ob diese Regel den Frauensport in jedem Fall gerechter macht.