Das Experiment mit Ronald Koeman als Trainer des FC Barcelona ist grandios gescheitert. Doch für den Niederländer übernahm eine noch viel größere Vereins-Ikone und ein noch größerer Name im Weltfußball: Xavi. Dennoch steht Barca vor schweren Zeiten.
Vor etwa einem Jahrzehnt war der FC Barcelona ein Verein zum Verlieben. Nahezu jeder neutrale Fußball-Fan auf diesem Planeten schwärmte entweder vom Fußball der Katalanen oder respektierte ihn wenigstens. Auf dem Platz wirbelte das magische zentrale Dreieck: Xavi, der Kopf der spanischen Mannschaft bei den drei Titelgewinnen bei der EM 2008, der WM 2010 und der EM 2012. Andres Iniesta, ebenfalls bei allen Titeln dabei, 2010 im WM-Finale der Siegtorschütze und 2012 Europas Fußballer der Jahres. Und natürlich Lionel Messi, der gemeinsam mit Cristiano Ronaldo beste Spieler auf diesem Planeten in den vergangenen 20 Jahren, vielleicht aller Zeiten.
Gemeinsam mit eisenharten Stars wie Carles Puyol, Gerard Piqué, Sergio Busquets und Javier Mascherano zelebrierten sie den „Tiki Taka"-Fußball des noch jungen Trainers Pep Guardiola. Der sich in dieser Zeit einen solchen Ruf erarbeitete, das künftig schon die Nennung seines Namens reichte, damit selbst die besten Spieler der Welt allein schon deshalb gern zu seinem jeweiligen Verein wechseln wollten. Das 5:0 im November 2010 gegen ein Real Madrid um Trainer José Mourinho mit Stars wie Iker Casillas, Sergio Ramos, Mesut Özil, Xabi Alonso, Angel di Maria, Sami Khedira, Karim Benzema und auch Cristiano Ronaldo war das vielleicht perfekte Fußball-Spiel. Die perfekte Leistung einer einzelnen Mannschaft. Dargeboten von einem glorreichen Traditionsverein, in einem der ehrwürdigsten Fußball-Tempel der Welt, in einer der schönsten Städte Europas – und obendrein mit dem Schriftzug „Unicef" auf dem Trikot. Für das Kinderhilfswerk warb der Verein kostenlos. Was für eine Mischung! Der Slogan „Més que un club", mehr als ein Verein, hatte durchaus seine Berechtigung.
Und heute? Geblieben sind die Stadt, das Stadion und die Tradition. Ansonsten hat das Barça von 2021 mit dem, das 2011 eine überragende Saison mit einem 3:1 gegen Manchester United im Champions-League-Finale krönte, wenig bis nichts mehr gemein. Mit Messi, der sich unter Tränen im Sommer zu Paris Saint-Germain verabschiedete, ging das Gesicht des Vereins. Iniesta und Xavi hatten ihrer Karrieren längst beendet. Guardiola trainiert nach drei Jahren beim FC Bayern inzwischen Manchester City. Auf den Shirts löste 2011 nach 111 Jahren ohne Einnahmen aus Trikot-Werbung die „Qatar Foundation" die „Unicef" ab, für rund 30 Millionen Euro im Jahr. Inzwischen prangt der Schriftzug von „Rakuten", dem japanischen „Amazon"-Rivalen von der blau-roten Brust.
Überhaupt kein Vorbild mehr für Bayern
Und diese neuen Einnahmenquellen sorgten nicht etwa für besseren Fußball. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen beiden Jahren wurde der Meistertitel verpasst, die Champions League gewannen die Katalanen zuletzt 2015. In dieser Saison belegte Barça nach zwölf Spielen mit nur vier Siegen und 17 Punkten Rang neun. Drei Punkte hinter Aufsteiger Rayo Vallecano und elf hinter Spitzenreiter Real Sociedad San Sebastian. In der Champions League war das Überstehen der Gruppenphase nach zwei 0:3-Niederlagen gegen den FC Bayern und bei Benfica Lissabon sowie zwei 1:0-Siegen gegen Dynamo Kiew unsicher. Und als Krönung soll sich der Schuldenberg auf über eine Milliarde Euro türmen. „Wenn Barcelona in Deutschland wäre, wäre das ein Fall für den Insolvenzrichter", sagte Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß. Barça sei „eigentlich pleite" und „für uns überhaupt kein Vorbild mehr". Als der inzwischen ausgerechnet für Real Madrid spielende Alaba ihm erzählt habe, es sei ein Traum, in Barcelona zu spielen, habe Hoeneß gefragt: „Willst du dann mit dem Präsidenten oder dem Insolvenzverwalter verhandeln?"
Plötzlich gilt der Verein als unseriös, bemitleidenswert oder ist das Ziel von Spott und Häme. Selbst sportlich wird der Club kaum noch gefürchtet. Das stolze Barça. Was für eine Entwicklung. In nur einem Jahrzehnt.
Die zuletzt wohl verschärft wurde, weil der Verein beim Trainer auf das völlig falsche Pferd setzte. Der Niederländer Ronald Koeman hatte zwar 20 Jahre Erfahrung als Profi-Coach, hatte die drei großen Vereine seiner Heimat – Ajax, Eindhoven und Feyenoord – trainiert, den FC Valencia, den FC Everton und zuletzt die niederländische Nationalmannschaft. Dazu kannte er den Verein und war beliebt, weil er als Abwehr-Kante zwischen 1989 und 1995 im Barça-Trikot alles weggrätschte und zudem noch in jedem dritten Spiel traf. 1992 schoss er beim erstmaligen Gewinn des Europapokals der Landesmeister das einzige Tor im Finale gegen Sampdoria Genua.
Doch Koeman ist auch streitbar, und Barça war für ihn als Trainer ganz augenscheinlich eine Nummer zu groß. Vor allem dieses taumelnde Barça. Platz drei in der Liga hinter den beiden Madrider Clubs war in der Vorsaison eine Enttäuschung, das Aus im Achtelfinale der Königsklasse gegen Paris St. Germain mit insgesamt 2:5 Toren sowieso, der nationale Pokal nur ein schwacher Trost. Zumal Messi damals noch dabei war. Als Koeman nach einem 1:2 im Clasico gegen Real und dem schlechtesten Saisonstart seit 34 Jahren Ende Oktober mit dem Auto das Stadion verließ, sollen ihm Fans den Weg versperrt, auf das Auto geschlagen und gespuckt und Dinge wie „Hau endlich ab" nachgerufen haben.
Sein Nachfolger wurde dann eine noch viel größere Vereins- und Fußball-Ikone: Xavi. Der hat als Trainer zwar sehr wenig Erfahrung. Er trainierte nur zwei Jahre den al-Sadd Sport Club in Katar. Mit dem erreichte er das Halbfinale der asiatischen Champions League und holte in der Vorsaison das Double. Wenigstens diese beiden Lehrjahre wollte er sich gönnen, denn Barça hatte ihn eigentlich schon im Januar 2020 verpflichten wollen. Damals erklärte Xavi, da noch nicht mal 40, dass es sein Traum wäre, einmal die Barça-Profis zu trainieren, er das aber für zu früh erachte. Nun sah er sich offenbar gezwungen, dem Verein in der schwersten Krise zu helfen.
Präsident sieht das Ende der Krise
Und seine Verpflichtung löste erst mal Euphorie mitten in der Tristesse aus. Bei seiner Unterschrift unter den Vertrag bis 2024 jubelten die Fans. Dass Xavis Frau, seine Eltern und mehrere andere Familienmitglieder bei der Vorstellung dabei waren, steht symbolisch für eine Rückkehr in eine Familie. „Wir brauchen euch alle, es lebe Barça!", rief er pathetisch. Und erzählte, er habe auch das Angebot gehabt, Assistenz-Trainer in Brasilien zu werden – mit der Zusage, nach der WM 2022 in Katar zum Chef aufzusteigen. „Aber mein einziger Traum war es, zu Barça zu kommen." Da kamen bei vielen Barça-Anhängern wohlige Gefühle hoch. Denn bei ihnen steht Xavi für alles Positive: Für die guten alten Zeiten, für Erfolg und Titel – er gewann mit Barça deren 25 – für Zauber-Fußball, für Uneitelkeit und für Vereinstreue. Inklusive Jugend spielte er 24 Jahre für seinen Verein. Und im Gegensatz zu Koeman, der den Verein 1995 verließ, ging er erst 2015. Er kennt also noch wesentlich mehr Menschen in diesem Verein, seine Erfahrungen, auch mit den Befindlichkeiten, sind wesentlich frischer.
Und Präsident Joan Laporta tat so, als seien mit diesem einen Coup alle Probleme weggewischt. „Ich möchte euch sagen, dass dieser Tag die Geschichte des Clubs prägen wird", tönte er. Xavi versicherte, er komme „mit einer sehr klaren Vorstellung: Es geht um Leistung, Normen, arbeiten bis zum Anschlag und darum, die Spieler vom Erfolg zu überzeugen." Dass man selbst ihn wegschicken würde, wenn der Misserfolg anhalten würde, ist ihm bei aller Umschwärmung bewusst. „Man wird uns an den Ergebnissen messen, und wir werden versuchen, gut zu spielen und Ergebnisse zu liefern."
Dass dies nicht auf Knopfdruck geht, ist ihm klar. Deshalb sehe er seine Aufgabe als „mittel- und langfristiges Projekt". Heißt übersetzt wohl: In dieser Saison irgendwie den Schaden begrenzen und dann – auch mit einer Kader-Runderneuerung – wieder Stück für Stück an alte Zeiten anknüpfen.
Vielleicht nutzt Xavi diese fast schon verlorene Saison auch, um den vielen jungen Talenten noch mehr Spielpraxis und Erfahrung zu verschaffen. Koeman hatte dies durchaus auch schon hier und da getan. Es bleibt sein einziges kleines Vermächtnis.