Wer in dieser gerade anstrengenden Zeit mal eine Pause braucht, für den empfiehlt sich ein Ausflug zu dem ehemaligen Zisterzienserkloster Chorin in der Uckermark. Das beeindruckende Denkmal frühgotischer Architektur ist von Berlin aus in gut einer Stunde per Regionalbahn leicht zu erreichen.
Warum soll eigentlich immer nur die Sonne scheinen und der Himmel sich im tiefsten Blau über die Landschaft wölben, wenn ein Ausflug geplant wird? Geht es um Postkarten-Erinnerungen? Es gibt doch Gegenden, Orte und Baudenkmäler, die ihre Schönheit erst dann entfalten, wenn Gemüt und Horizont recht schiefergrau gestimmt sind. Dann will man eigentlich für sich sein, irgendwo hinfahren und in dieser Stimmung empfiehlt sich ein Besuch des ehemaligen Zisterzienserklosters Chorin, gelegen am südöstlichen Rand der Uckermark, von Berlin aus in gut einer Stunde per Regionalbahn leicht zu erreichen. Überhaupt hat die umgebende Landschaft dort in der nasskalten Jahreszeit etwas überaus Trübes. Kleine Bäche, sumpfige Niederungen, zahlreiche Seen und dichte Wälder auf seichten Hügeln prägen diese abgelegene, fast menschenleere Gegend, die schon in vorchristlicher Zeit abwechselnd von Slawen und Germanen dünn bevölkert wurde. Was für ein armseliges, karges Leben das gewesen sein muss! Über Jahrhunderte ging der blutige Streit zwischen den verfeindeten Stämmen, bis im 13. Jahrhundert vom herrschenden Adel Siedler aus thüringischen und fränkischen Gebieten gelockt wurden, um die germanischen Eroberungen zu festigen.
Ein Weg führt hinab zu einem kleinen See
Dass die Grafen der Mark Brandenburg im Jahre 1258 dem Zisterzienserkloster im entfernten Lehnin ein umfangreiches Gebiet in der Uckermark übereigneten, geschah wohl kaum ohne Hintersinn. Denn die frommen Brüder hatten einen guten Ruf, sahen sich einem Leben in Abgeschiedenheit von der Welt verpflichtet, einem Alltag, der durch Gebete, vor allem aber durch eigene Hände Arbeit bestimmt war. Unter härtesten Bedingungen die Kultivierung jeglicher Wüstenei voranzutreiben, gehörte zur kontemplativen Lebensweise der Mönche. „Du wirst in den Wäldern mehr finden als in den Büchern. Stein und Holz werden Dich lehren, was Du von den Menschen nie zu hören bekommst." So soll es der Ordensvater Bernhard von Clairvaux gepredigt haben. Die Gründung neuer Klöster war also gemäß der Regel stets nur in abgelegenen Gegenden vorgesehen. Das passte recht gut in die Pläne der weltlichen Macht, denn es waren die Zisterzienser, die das Land wirtschaftlich voranbrachten. Die Mönche bauten nicht nur Wassermühlen und bewirtschafteten die umliegenden Seen, sondern sie besaßen schon bald zahlreiche Ackerhöfe und Dörfer, in denen sie Vögten und Dorfschulzen die Gerichtsbarkeit übertrugen. Kirchliche und weltliche Macht ergänzten sich und profitierten voneinander.
Das lässt sich besonders gut an der Westfassade der Klosterkirche erkennen. Wer den stillen, gut ausgeschilderten Waldweg vom kleinen Bahnhof Chorin aus nimmt, wird auf Anhieb überwältigt sein von dem Bau, der alles andere als einen bescheidenen Eindruck macht. Schon aus der Ferne erblickt man den Schaugiebel des Mittelschiffs, beeindruckend gestaltet und dafür berühmt in der europäischen Klosterarchitektur. Spitzbogenfenster werden von mächtigen Strebepfeilern eingerahmt und führen den Blick hinauf in die Mitte der Wand, die von einer Maßwerkrose bestimmt wird. Das ist schlicht und streng und doch repräsentativ, denn das Kloster Chorin war als Grabstätte der Markgrafen auch architektonischer Ausdruck landesherrlicher Macht. Umkreist man nun das weitläufige Anwesen des Klosters, führt der Weg über den nördlich gelegenen Friedhof hinab zu einem kleinen See, von dessen Ufer aus sich ein wunderschöner Blick auf die Klosterkirche, den Chor und das Querhaus ergibt. Ein beeindruckendes Denkmal frühgotischer deutscher Backsteinarchitektur. Aber gerade an einem grauen Tag versteht man Theodor Fontane, der in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" treffend schrieb: „Kloster Chorin ist keine jener lieblichen Ruinen, darin sich’s träumt wie auf einem Frühlingsfriedhof ... Wer hier in der Dämmerstunde des Weges kommt und plötzlich zwischen den Pappeln hindurch diesen stillen Prachtbau halb märchenhaft, halb gespenstisch auftauchen sieht, dem ist das Beste zuteil geworden, das diese Trümmer, die kaum Trümmer sind, ihm bieten können." Auch durch das Innere der Ruine sollte man schlendern. Gerade das lang gestreckte, schmucklose, in die Höhe ragende Mittelschiff und der Kreuzgang lassen erahnen, wie abgeschieden, gottesfürchtig und entbehrungsreich die Mönche gelebt haben. Zisterzienserklöster waren aus Stein, zugig, hart und kalt. Nur nach der anstrengenden Arbeit durften die Männer die Wärmestube betreten. Es ist still, es wird geschwiegen, nichts soll die Andacht stören.
Mönche schliefen auf Strohsäcken
Gegessen wird im Winter nur einmal, im Sommer zweimal am Tag, Brei, Brot und Hülsenfrüchte zumeist. Geschlafen wird auf Strohsäcken, gemeinsam und kurz, Habit und Gürtel werden nicht abgelegt, um jederzeit bereit zu sein für das Gebet, welches morgens um 2 Uhr beginnt und siebenmal am Tag die Arbeit unterbricht. Und die Mönche aus Chorin tun Gutes. Sie kümmern sich um Arme und Kranke, die sie in ihren Hospitälern außerhalb des Klosters pflegen. Doch bereits im 14. Jahrhundert beginnt der Niedergang, langsam aber unaufhaltsam. Der Streit auswärtiger Fürsten um die Herrschaft in Brandenburg, Krieg, Hungersnöte und die Pest untergraben die Wirtschaftskraft des Klosters und seiner dazugehörenden Dörfer, die Zahl der Laienbrüder, die die Hauptlast der Arbeit tragen, schwindet. Die Reformation wirft ihre Schatten voraus, 1543 verpfändet Kurfürst Johann II. das Kloster, der letzte Abt schnürt sein Bündel und zieht zwei Jahre später nach Böhmen. Der Dreißigjährige Krieg gibt der Anlage den Rest, die Kirche ist baufällig, sie wird als Stall und Lager genutzt. Karl Friedrich Schinkel, unter anderem verantwortlich für den Denkmalschutz in Preußen, schlägt 1817 Alarm. Es dauert noch elf weitere Jahre, bis die landwirtschaftliche Nutzung der Ruine eingestellt wird. Ende des 19. Jh. wird endlich damit begonnen, zu restaurieren und zu retten, was noch zu retten ist. Informativ wird durch eine Medieninstallation im ehemaligen Brauhaus die Denkmalgeschichte geschildert, und im Museumshop gibt es reichlich einschlägige Literatur und anderes. Im Sommer verwandelt sich das Kirchenschiff in eine Bühne für Opern, Theater und Konzerte. Die Klosteranlage, die mächtige Kirche, die Ruine, der kleine Friedhof symbolisieren zum einen den Verfall, sind Zeugnis einer längst versunkenen Welt. Zum anderen erinnern sie aber auch an die Kraft eines Glaubens, der einst über alles Irdische erhaben schien.