André Rieu gilt als Künstler der Superlative – nicht nur, weil er mehr Platten und Konzertkarten verkauft als jeder andere klassische Musiker auf der Welt. Wir erfuhren vom krisenerprobten Geiger und Dirigenten aus Maastricht, wie er trotz Pandemie optimistisch bleibt.
Herr Rieu, aufgrund der Pandemie durften Sie 17 Monate lang keine Konzerte geben. Ist das Live-Spielen durch irgendetwas zu ersetzen?
Nein, absolut nicht! Deswegen habe ich mich auch immer geweigert, Konzerte im Internet zu geben. Im Gegensatz zu vielen anderen Musikern klappt das bei uns leider nicht. Ich brauche unbedingt den Kontakt zum Publikum. Ich will, dass die Leute lachen, singen, tanzen, knutschen – alles. In meinen Konzerten ist alles erlaubt. Deswegen war die Pandemie für uns echt schrecklich, denn alles, was meine Konzerte so fröhlich und romantisch macht, war plötzlich verboten. Ich kann und will nicht mit Abstand spielen. Meine Konzerte sind eine große Party. Aber zum Glück sieht es jetzt wieder besser aus, und wir freuen uns sehr auf Deutschland!
Hat die Corona-Krise Ihnen viele schlaflose Nächte bereitet?
Nein, das nicht. Ich habe, als das Ganze losging, mich in die Geschichte der Pandemien vertieft und entdeckt, dass sie durchschnittlich ungefähr zwei Jahre gedauert haben. Also habe ich mich von Anfang an auf eine Pause von dieser Länge eingestellt. Als Unternehmen bekam ich vom niederländischen Staat finanzielle Unterstützung und musste niemanden entlassen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe 120 Mitarbeiter, inklusive meines Orchesters.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie nachts nichts einschlafen können?
Ich kann immer und überall schlafen! Meine Frau Marjorie vergleicht mich immer mit einem Lipizzaner. Sie sagt: „Entweder du rennst oder du schläfst". Der einzige Moment, an dem ich erst mal nicht einschlafen kann, ist nach einem Konzert. Da bin ich noch zu voll von Adrenalin.
Während der Corona-Zeit haben Sie jeden Tag eine große Torte für die ganze Straße gebacken. Gehen Sie dabei genauso kreativ vor wie beim Musikmachen?
Backen und Musik haben zwei Dinge gemeinsam: Beides macht Spaß und beides gibt Genugtuung, wenn es gelingt. Wenn ich nach einem Konzert nicht einschlafen kann, schaue ich mir auf Youtube Kochfilmchen an. Ich habe schon immer gerne und viel gekocht. Und ich habe während der letzten Monate auch das Backen für mich entdeckt. Ich kann einfach nicht still sitzen. Ich brauchte für den Tag eine Struktur, also habe ich morgens alles vorbereitet, war dann in meinem Studio und habe an neuen Programmen, CDs und Konzertmitschnitten gearbeitet und am Nachmittag die Torten gebacken. Die Leute haben das geliebt, auch mein Sohn Pierre und seine Familie, die nebenan wohnen.
Sie haben auch Spanisch gelernt mit den Comics von „Tim und Struppi", die Sie als Kind schon faszinierten. Tim ist ja ein Reporter und
Hobby-Detektiv, der viel herumreist. Können Sie sich ein bisschen mit ihm identifizieren?
Mit den vielen Reisen ja. (lacht) Aber ich bin weder Reporter, noch Hobby-Detektiv. Den Job überlasse ich sehr gerne anderen!
Auch wenn es manchmal brenzlig wird – Tim und sein Foxterrier Struppi sind furchtlos und schlau und lassen sich nicht unterkriegen. Braucht man auch für Ihren Beruf eine gewisse Furchtlosigkeit?
Jeder, der auf die Bühne geht, braucht eine gewisse Furchtlosigkeit. Ich bin noch immer schrecklich nervös vor jedem Auftritt. Aber das hört sofort auf, wenn das Konzert beginnt.
Wovor haben Sie am meisten Angst?
Angst habe ich gar keine. Angst würde mich zu viel Energie kosten und bringt einen nicht weiter, im Gegenteil. Ich bin da ziemlich pragmatisch und versuche immer, optimistisch zu sein.
Sie haben für Ihr Orchester staatliche Unterstützung von der niederländischen Regierung erhalten. Wenn die Unterstützung aufgehört hätte, hätten Sie dann wirklich Ihre Stradivari aus dem Jahr 1732 verkauft, um das Orchester zu halten?
Ja, absolut. Wenn die staatliche Unterstützung aufgehört hätte, hätte ich meine Stradivari verkauft, um meine Musiker zu halten. Ein Orchester entsteht nicht mal eben so. Viele Musiker sind bereits seit 30 Jahren bei mir, wir sind eine große Familie. Wir kennen uns, wir reisen zusammen um die Welt, wir verstehen uns. Es gibt bei uns 13 Musikerpaare, die sich im Orchester kennengelernt haben! Ich kenne auch die Kinder meiner Musiker. Das ist wirklich schön. Der Spaß, den wir auf der Bühne haben, ist echt. Und das merkt auch unser Publikum.
Sie wollten so bald wie möglich auf die Bühne zurückkehren. Und im neuen Jahr starten Sie dann eine richtige Deutschlandtour. Sind jetzt die Sorgen weg?
Wir freuen uns alle wirklich sehr darauf, wieder in Deutschland zu spielen, es ist unsere zweite Heimat, wir kommen jedes Jahr. Das Publikum kennt uns so gut.
Es ist nicht ganz einfach mit den unterschiedlichen Regelungen pro Bundesland, aber mein Team macht das echt fantastisch, sodass wir unseren Fans wirklich fröhliche Abende bereiten können, da bin ich ganz optimistisch! Das Motto ist ja „Happy Together" – und genauso soll es werden!
Insgesamt 500.000 bereits verkaufte Tickets müssen Sie aufgrund der Pandemie noch abspielen. Weltweit?
Ja, sogar noch mehr. Nur vier Prozent haben ihre Karten zurückgegeben, alle anderen haben sie behalten und gesagt: „André, wir warten auf dich!" Das hat mich sehr berührt, und deshalb möchte ich mich beim Publikum wirklich für die Loyalität und Treue bedanken. Nach Deutschland spielen wir in den USA, Großbritannien, Nord- und Osteuropa, den Niederlanden, Chile, Uruguay und Israel.
Im Juni haben Sie die Orchesterproben im Studio endlich wieder aufgenommen. Wie hat sich das angefühlt?
Unglaublich und sehr emotional. Wir hatten uns 17 Monate lang nicht gesehen, so lange wie noch nie. Und dann war es sofort wie immer!
Wie viele Musikstücke, die Sie im Lauf Ihres Lebens gelernt haben, sind jetzt Teil von Ihnen?
Jedes Stück, das ich spiele, ist in dem Moment ein Teil von mir. Ich wähle ein Musikstück nur danach aus, ob die Melodie mein Herz berührt. Für mich ist nicht wichtig, ob es von Giuseppe Verdi oder Abba komponiert wurde, ob es fröhlich oder traurig ist, solange es mich wirklich berührt. Denn dann weiß ich, dass es auch die Herzen meines Publikums berührt. Das können so unterschiedliche Stücke sein wie die Liebesarie „Caro Nome" aus Verdis Oper „Rigoletto" oder „Macarena" von Los del Rio. Ich habe über die Jahre wirklich gelernt, wie ich Programme zusammenstelle, die mein Publikum fröhlich nach Hause gehen lassen. Die Leute wissen vorher nie, was ich spiele, aber sie wissen, wir haben einen unvergesslichen Abend miteinander, mit viel Humor und viel Romantik.
Welches Musikstück haben Sie bislang am häufigsten gespielt?
„An der schönen blauen Donau" von Johann Strauss. Das Stück spiele ich jeden Abend, und das Publikum tanzt dazu auf der ganzen Welt.
Ein Musiker muss sich einiges einfallen lassen, um das Interesse des Hörers zu wecken und es bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Wird das immer schwerer, weil Sie schon so viele Platten gemacht haben?
Bei meinen Konzerten wird es nicht schwerer, denn wir haben so ein großes Repertoire, dass ich immer neue Programme zusammenstellen kann. Dann gibt es natürlich auch Stücke wie „Nessun dorma", die lieben die Menschen sehr und freuen sich darauf, so dass ich sie öfter spiele. Für mein neues Album „Happy Together" haben wir gerade viele Stücke zum ersten Mal aufgenommen, zum Beispiel „Berliner Luft", den „Estudiantina-Walzer", „Donauwellen", „Semper Fidelis" oder auch ein in Australien sehr bekanntes und wunderschönes Lied namens „Wiyathul". Ein besonderes Highlight war für mich die Zusammenarbeit mit den Höhnern! Mit ihnen zusammen habe ich „E Levve lang" als Walzer eingespielt, denn sie wünschten sich eine Version, zu der Hochzeitspaare tanzen können.
Welche neuen Erkenntnisse haben sich Ihnen offenbart, als Sie Ihr neues Album „Happy Together" gemacht haben?
Dass ich mein Orchester in der Zeit davor unglaublich vermisst habe! Aber eine neue Erkenntnis war das nicht. (lacht)
Musik ist ja immer auch ein Spiegel ihrer Zeit. Was erzählt Ihr Album „Happy Together" über uns und unsere Zeit?
Es ist ein sehr fröhliches Album. Eine Erinnerung daran, wie es vor der Pandemie einmal war und bald wieder sein wird!