Das neue „Oukan Dining" verbindet unter der Regie von Küchendirektor Martin Müller pflanzenbasierte elegante japanische Shˉojin-Ryˉori-Küche mit ausgewählten Getränken.

Selten wurde die Verbindung von Thema und Interieur, in diesem Fall Tempel und Küche, besser hergestellt als im „Oukan Dining". Das Ambiente ist in Schwarztönen gehalten, Licht modelliert den Raum und setzt Akzente auf den Tischen. Auf einen schmalen Gang hinter einer unspektakulären Tür im Hinterhof folgt ein Empfangsraum, in dem ein Gebinde aus Zweigen und roter Amaryllis vor einem großen, runden Spiegel Blicke fängt. Wer auf Begleitung wartet, kann auf lichtgerahmten Bänken Platz nehmen. Abgehängte schwarze Schindeln erinnern an Akustikdecken im Konzertsaal.
Nach dem Durchspielen der Formalien von Reservierung über Impfnachweis bis zum Abgeben der Garderobe geht es einige Stufen hinauf in den hallenartigen Gastraum. Bar, Sitzgruppen in Kojen, Separees und eine lange Tafel nahe einem übermannshohen Bonsai-Ficus sind so angeordnet, dass kein Gefühl von Verlorenheit sondern von Aufgehobensein am richtigen Platz entsteht.
Form und Arrangement unterstreichen: Japan, Minimalismus und Klarheit sind im „Oukan Dining" zu Hause. Wir fühlen uns willkommen geheißen und auf unserer Reise in Richtung Shōjin-Ryōri-Küche, der buddhistisch-japanischen Tempelküche, bestens aufgehoben. Küchendirektor und „Oukan Dining"-Mitgründer Martin Müller und sein vierköpfiges Team kochen pflanzenbasiert, vegan und produktfokussiert.
„Wie schön, euch wiederzusehen!", ist schon beim Hereinkommen hinter uns zu vernehmen. Mitgründer Tran Mai Huy Thong, bekannt für seine Restaurants „Ryong", „Ryong 2" und „Con Tho", kommt mit seinem offiziellen Abend-Outfit – selbstredend ebenfalls in Schwarz – über dem Arm herein. Nicht umsonst lautet sein zweiter offizieller Titel im „Oukan Dining" Kreativdirektor. Vom Licht über Räume, von Mode bis Essen – was der studierte Modedesigner Tran Mai Huy Thong gestaltet, präsentiert sich immer geschmackvoll, durchdacht und ausgewogen.

Kommt die Küchen- und Getränke-Philosophie im „Oukan Dining" auf den ersten Blick anspruchsvoll und womöglich für manchen mit Tempelküche und Tee-Pairing verkopft daher, gilt dennoch die alte Fußballweisheit: „Was zählt, ist auf’m Platz." In unserem Fall heißt das: auf Tisch und Teller und im Glas. Wir sitzen in einem seitlichen Abteil mit drei Tischen inmitten von tiefschwarzen Wänden. Flutlicht, pardon, punktgenau helles Licht aus einem schwarzen Stab, fällt auf unser Drei-Gänge-Menü. Bereits nach dem Gruß aus der Küche weiß ich: Hier will ich sein. Das ist genau mein Ding und wird es auch das ganze Menü hindurch bleiben.
Wir heben den salatigen Mix aus dreierlei Algen, angebratenen und in Sojasauce eingelegten Kräuterseitlingen sowie Miso-Dressing mit unseren Stäbchen aus Steinzeug-Schälchen. Zitronengel und „gelbe Krümel" on top akzentuieren die Bissen säuerlich und leicht rauchig. „Das ist getrockneter Kürbis, der die Rauchnoten reinbringt", verrät Martin Müller.
Tee-Begleitung zum Menü möglich
Von der Rettung des Broilers im „Tisk" zur pflanzenbasierten Tempelküche? „Das ‚Tisk‘ ist doch schon wieder eine Weile her", sagt Müller. „Du musst dich weiterentwickeln, sonst bleibt alles stehen." Die Leidenschaft für das „Oukan"-Konzept führte dazu, dass Müller ernst machte und nicht nur als Küchendirektor anheuerte, sondern gleich als Gesellschafter mit einstieg. „Ich habe eine Idee, schreibe das Rezept auf und schicke es an die Pagode." In dem buddhistischen Kloster in Frankfurt am Main, mit dem das „Oukan Dining" eng zusammenarbeitet, prüfen die Nonnen, ob alles nach den übergeordneten Prinzipien von Ausgewogenheit und Einfachheit funktioniert. „Ich habe das Shōjin-Prinzip für mich entdeckt und weiterentwickelt", sagt Müller. „Wenn du es original haben willst, musst du ins Kloster gehen."

Für neugierige Genießerinnen wie uns spielt es keine Rolle, wie viele Elemente, Geschmacksrichtungen, Zubereitungsarten und Farben im Einzelnen in Balance gebracht wurden: Sie sollen einfach da sein und gelebt werden. Regionalität, Saisonalität und möglichst viele Bio-Produkte sind ohnehin selbstverständlich. Grundlagen-Produkte wie eine Dashi, üblicherweise mit Bonito-Thunfisch hergestellt, setzt Müller in veganer Version mit eingelegten Seitlingen und Pilzabschnitten an. So schließt sich zudem der Nachhaltigkeits-Kreislauf – der Respekt für die Lebensmittel manifestiert sich auch in verschwendungsfreier Nutzung.
Im ersten Gang mit „Rettich und Yuba" probieren wir die Scheiben der fein säuerlich eingelegten Wurzel und Happen vom sanften, weichen Yuba-Block einzeln und miteinander. „Das ist mal kein Wirtshausrettich", stellt die kulinarische Freundin fest. „Der Rettich gab sein Aroma sehr schön an den Sud ab." Und Yuba? Das ist Tofuhaut, die äußere, vom Tofu abgeschnittene Schicht, die anschließend gepresst und verdichtet wird. Das ist köstlich und ein Gaumenschmeichler.
Ich habe mich an die Tee-Begleitung herangewagt, die Tee-Sommelière Kwok Ying von Beuningen entwickelt hat. Ein guter Fingerbreit Sencha-Cold-Brew wartet zum ersten Gang in einem Weinglas auf mich. Die Blend aus den fünf besten Sorten von Fukamushi, „einem Pionier des biologischen Teeanbaus in Japan", präsentiert sich mit viel Umami, einer fruchtigen Note, aber auch mit einer rauen Unsüße. Ich verstehe das Konzept, beneide aber heimlich meine Freundin um ihren Wein.

Ein Eindruck, der mich leider auch beim Genmaicha zum zweiten Gang nicht verlässt. Japanischer Grüntee mit geröstetem Reis wurde ebenfalls kalt gezogen. „Dadurch ist der Koffeingehalt niedriger", sagt Kwok Ying von Beuningen, die sich seit zehn Jahren in der Welt der Tees bewegt. Tee ist im „Oukan Dining" von Hause aus verankert: Mitgründer Erik Spickschen war mit einer eigenen japanischen Teestube Nachbar des „Con Tho" an der Hasenheide. Daraus entstand eine Freundschaft und Geschäftspartnerschaft mit Tran Mai Huy Thong, die im „Oukan Dining" konkrete Gestalt annahm. Ab dem Frühjahr sind sogar eigene Teezeremonien im „Oukan Dining" geplant.
Der zweite Gang „Kuzu und Paprika" zum „Gar nicht mein Ding"-Tee gefällt mir dagegen umso besser. Ein roter Taler badet in einem nicht minder roten Sud. Es gibt Neues zu lernen: Kuzu ist eine japanische Stärke, die aus den Wurzeln der Bohnenpflanze gewonnen wird. Die Paprika wurde zunächst schwarz geröstet, dann gehäutet, püriert, dehydriert und mit der Stärke gebunden. Eine leicht ingwerscharfe Ponzu-Sauce mit Soja-Zitronen-Noten bekommt zusätzlichen eigenwilligen Drive durch pikante Noten von Chili, japanischem Pfeffer und Ingwer aus einer Togarashi-Gewürzmischung. Molto Umami und durch Schärfe und Säure angespitzt – Paprika in einer ungewohnten und sehr schmackhaften Darreichungsform.
Wir benutzen nun lieber Messer und Gabel anstelle von Stäbchen. Gibt’s Regeln zur korrekten Besteckverwendung? „Nein, das kann jeder so machen wie er möchte", lässt uns der Service wissen. Ich bin beruhigt, denn mangelnde Fingerfertigkeit könnte sich sonst nachdrücklich auf der Kleidung bemerkbar machen.
Bei den Hauptgängen können wir aufs Zutaten-Raten verzichten. Sie kommen uns bereits beim Anblick optisch bekannter vor. Die Freundin erhält „Seitan und Beetroot" auf einem leuchtend orangefarbenen Teller. Süßkartoffelpüree verbirgt sich unter Kapuzinerkresse-Schirmchen; die Rote Bete ist mit Zimt und Essig mariniert. Der Seitan aus Weizen- und Dinkelmehl wurde von den Nonnen gefertigt. Mir wird „Celery und Cashew Nut" auf einem etwas matteren Steinzeug-Pendant serviert.

Ein in Salz gebackener Knollensellerie wurde nach dem Auspacken im eigenen Saft weitergegart und als Scheibe mit Nori-Algen bedeckt. Eine reduzierte Karottenjus und fermentiertes Cashew-Püree sind Grundlage für grün-weiße, frittierte „Flower Sprouts": „Eine Kreuzung aus Rosen- und Grünkohl." Überraschend! Während die Beten die Geschmacksknospen mit süßsauren Noten kitzeln, geht der Sellerie in eine gemütlichere winterliche Richtung. Beides ist schön, aber ich bin tatsächlich noch einen Tick glücklicher mit Knolle und exaltiertem Gemüse.
Außergewöhnliches Casual Dining
Beim Dessert, einem schlicht als „Cheesecake" bezeichneten Törtchen, schwingen sich pürierte und gewürfelte Quitten als Ragout auf eine Frischkäsecreme-Auflage. Sie wurde mit veganer Sahne, Kokosfett und „ein bisschen Avocado" auf pflanzliche Linie gebracht. Der Spekulatiusboden aus Keks-Crunch und Kokosfett grundiert aromatisch-wohlfühlig, gewährt aber Quitten-Frische sowie einem Topping aus geröstetem Buchweizen und Blutampfer eigenen Spielraum. Alles wird übrigens ohne Industriezucker zubereitet. Ich grüße Patissier Bernhard Stamp an dieser Stelle und freue mich auf weitere Kreationen auf den schillernd blaublumig glasierten Tellern.
Das Drei-Gänge-Menü kommt für 49 Euro, ein siebengängiges für 79 Euro auf die schwarzen Tische. Die meisten Gerichte sind ebenfalls einzeln bestellbar – ideal für einen kurzen Abend mit besonderem Essen nach einem Bürotag in Mitte. Wein- oder Teebegleitungen können hinzugeordert werden. Auch die Sake-Karte ist mehr als ordentlich bestückt. Die ganze Wein- und Drinks-Karte unter den Fittichen von Barchef Junya Arino animiert zu weiteren Besuchen. Es gibt im fein illuminierten Dunkel des „Oukan Dining" zweifellos noch vieles zu entdecken. Der vormalige Ballsaal und nunmehrige Genusstempel wird sich mit seinem außergewöhnlichen Casual Dining und spannenden Getränke-Pairings gewiss sehr schnell einen herausragenden Namen in der Stadt machen.