Distelsamen, Orchideen und Erbsenschoten – die Berliner Alfred-Ehrhardt-Stiftung zeigt Arbeiten des Naturfotografen Fred Koch aus den 1920er- und 30er-Jahren.

Filigrane Gebilde, die aus Dutzenden, nein Hunderten feinster Härchen zusammengesetzt scheinen, labyrinthartig anmutende Konstruktionen. Nur bei genauerem Hinschauen erkennt der Betrachter auf vielen von Fred Kochs Naturaufnahmen, um was es sich eigentlich handelt. Sieht dann, dass die oft dramatisch vor dunklem Hintergrund platzierten und minutiös ausgeleuchteten Objekte Pflanzenteile, Meeresschnecken oder auch Mineralien sind. Die auf den Schwarz-Weiß-Fotos eine geheimnisvolle Aura bekommen.
Fred Koch, der 1904 geboren wurde, zählt heute zu den wichtigsten Fotografen der Weimarer Republik. Und gehört doch zu den Künstlern, die jahrzehntelang in Vergessenheit geraten waren. Wie gut, dass sich die in Berlin ansässige Alfred-Ehrhardt-Stiftung (die sich der Erschließung des Werks von Fotograf und Kulturfilmer Alfred Ehrhardt widmet) bereits seit Jahren mit den Werken von Fred Koch beschäftigt. 2004 wurde eine Ausstellung mit dem Titel „Lebendiger Kristall" realisiert, der Ausgangspunkt für aufwendige Recherchen zu Aufnahmen Fred Kochs, die auf verschiedene Archive und Sammlungen verteilt sind.
Jugend in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe
Oft sei die Zuordnung bei den teilweise über 90 Jahre alten Fotos nicht ganz unproblematisch gewesen, erzählt Dr. Christiane Stahl, die Direktorin der Alfred-Ehrhardt-Stiftung. Das hänge auch mit dem Werdegang Kochs zusammen, der als junger Fotograf zunächst eng mit dem Verleger Ernst Fuhrmann zusammenarbeitete. Koch wuchs, nachdem seine Eltern auf die Darmstädter Mathildenhöhe gezogen waren, in einem „lebensreformerischen Umfeld" auf, die Künstlerkolonie war zu dieser Zeit das Zentrum des deutschen Jugendstils. Koch lernte hier den Schriftsteller, Fotografen und Philosophen Ernst Fuhrmann kennen.

Der begründete nicht nur die sogenannte „Biosophie", eine organisch-ökologische Denkweise, nach der auch Pflanzen als Lebewesen betrachtet wurden. Er galt außerdem als wichtiger Vertreter der botanischen Fotografie, wobei er eine ganze Reihe namhafter Kollegen für sich arbeiten ließ, so auch Albert Renger-Patzsch. Mit diesem wiederum arbeitete Fred Koch als junger Mann zusammen, habe sicher auf diesem Weg einiges über Fotografie und speziell über die von Pflanzen gelernt, sagt Dr. Christiane Stahl von der Alfred-Ehrhardt-Stiftung. Als Renger-Patzsch nach Berlin ging, suchte Verleger Fuhrmann nach einem Leiter für sein Bildarchiv – die Wahl fiel auf Fred Koch. Eine Fotografen-Ausbildung hatte er zu dieser Zeit noch nicht gemacht, aber viel von seinem Vorbild Renger-Patzsch gelernt. So begann Fred Koch, die Lehre der „Biosophie" in eine Bildsprache umzusetzen, Pflanzen als lebendige Wesen darzustellen. Dazu entwickelte er einen eigenen Stil, der sich bald von dem seines Mentors unterscheiden sollte. Koch konzentrierte sich auf kleinste Details, vergrößerte Blütenblätter oder Pflanzenteile bis hin zur Abstraktion. Er leuchtet seine Fotoobjekte so gekonnt aus, dass Blütenfäden scheinbar zu tanzen beginnen, dabei ihre Schatten auf die Blätter des Kelchs werfen.
Überhaupt, der Vergleich mit dem Tanz, insbesondere dem Ausdruckstanz sei kein abwegiger, sagt Dr. Christiane Stahl von der Alfred-Ehrhardt-Stiftung. Zu der Zeit, als Koch die Aufnahmen für das 1930 erscheinende Buch von Ernst Fuhrmann „Die Pflanze als Lebewesen" machte, sorgten Tänzerinnen und Tänzer wie Mary Wigman, Gret Palucca oder Harald Kreutzberg für Furore, möglicherweise ließ sich Koch auch von ihren choreografischen Arbeiten inspirieren. Wichtig waren ihm nicht nur die florale Schönheit und die Vielfältigkeit der Pflanzenwelt, sondern auch – als lebenden Wesen – ihre Sexualität. So wecken Makroaufnahmen von Lilien- oder Orchideenblüten erotische Assoziationen, und ein zusammengerolltes Rhabarberblatt erinnert nicht von ungefähr an einen riesigen Phallus. Andere Aufnahmen, beispielsweise von Kakteen, assoziieren bauliche Strukturen, ein Wirrwarr von Stacheln mutet wie ein Geflecht von Pfeilern an. Mit diesen und ähnlichen Aufnahmen nimmt die Fotografie der Neuen Sachlichkeit ihren Anfang.

Koch entwickelte auch Spezialkameras
Als 1930 jedoch das Buch Ernst Fuhrmanns „Die Pflanze als Lebewesen" erscheint, wird Koch nicht namentlich als Fotograf erwähnt. Ob das für ihn der Grund gewesen sei, sich beruflich von Fuhrmann erst einmal zu distanzieren? Schwer, das im Nachhinein einzuschätzen, sagt Dr. Christiane Stahl. Fest steht: Koch bildete sich weiter, besuchte die renommierte Fotografen-Schule von Walter Hege in Weimar. Und begann sich dort für Mineralien zu interessieren. Dabei verfeinert er den Einsatz von Licht und Schatten, leuchtet Kristalle so geschickt aus, dass sie wie Skulpturen erscheinen. Faszinierende Objekte findet er im Mineralogischen Institut in Freiberg und endlich erscheinen nun die entstandenen Aufnahmen unter seinem Namen. Als begeisterter Tüftler entwickelt Fred Koch sogar selbst mehrere Spezialkameras, darunter 1936 das sogenannte „Leicagewehr". Koch arbeitete damit als Fotograf bei den Olympischen Spielen. Zu Beginn der 1930er-Jahre kam es noch einige Male zur Zusammenarbeit Kochs mit dem Verleger Ernst Fuhrmann. Dabei bestand der Fotograf darauf – die schriftlichen Vereinbarungen sind noch erhalten –, dass er auch als Urheber der Werke genannt werden sollte. In den folgenden Jahren wird Koch zum Pressefotografen, später zum Bildberichterstatter. Und gerät im Rahmen dieser Tätigkeit 1944 in Rumänien in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Drei Jahre später stirbt er, während seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft. Seine meisterhaften Aufnahmen von Pflanzen, Korallen, Meeresschnecken oder Kristallen stehen auch heute für eine zeitlose Ästhetik. Für Bildkompositionen, die mit technischer Raffinesse, aber auch mit viel Liebe fürs Sujet entstanden sind.