Der Förderstopp für energieeffizientes Bauen hat zuletzt viele verunsichert, die ein Haus planen. Doch die Aussetzung kam zum richtigen Zeitpunkt, sagt Dr. Anna Braune von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Wo liegen die Potenziale und Herausforderungen einer nachhaltigen Bauweise?
Frau Dr. Braune, wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für die Transformation der Bauwelt?
Wir haben mittlerweile viele wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gewonnen, dass das Betreiben und Bauen von Gebäuden, wie wir es heute tun, überhaupt nicht gut ist und unsere Möglichkeiten einschränkt. Ich empfinde es als eine Herausforderung, wenn ein „Spiegel"-Titel über zukunftsfähige Gebäude vermittelt, dass diese teuer und unschön sein sollen. So wird uns schwerfallen, auf freiwilliger Ebene darauf hinzuarbeiten, dass zukunftsfähiges Bauen erstrebenswert ist. Wenn aber die Erkenntnis nicht reicht, müssen wir uns überlegen, wie wir diese Transformation erreichen, wenn zum Beispiel Energiepreise immer noch zu billig sind oder man nicht für umweltschädigendes und sozialunverträgliches Bauen belangt wird. Genau das ist der Punkt, an dem Regulationen kommen müssten. Wir als DGNB sind sehr froh über den Regierungswechsel in Berlin, weil er unheimlich viele Möglichkeiten eröffnet, dieses elementar wichtige Thema voranzutreiben.
Woran machen sie die Aufbruchsstimmung in Berlin fest?
Wir haben zuletzt das große Aufregerthema des Förderstopps für effizientes Bauen erlebt. Wenn man genau hinschaut, kam die Aussetzung der Fördermittel genau zum richtigen Zeitpunkt. Die alte Regierung hat sozusagen einen Standard gefördert, der nicht zukunftsfähig ist. Seit vergangenem Jahr hat die Große Koalition eine Förderung für Gebäude, den sogenannten EH 55-Standard, aufgelegt. Ich kann Ihnen sagen, dass die nach diesem Standard gebauten Häuser in zehn bis 15 Jahren wieder ein Sanierungsfall werden. Man hat Steuergeld in die Hand genommen, um zukünftige Sanierungsfälle zu fördern. Dazu kommt, dass dieser Effizienzhausstandard nicht besonders klimafreundlich ist – 55 Prozent unter dem gesetzlichen Standard ist immer noch weit davon entfernt, was uns die Wissenschaftler mitgeben. Im Koalitionsvertrag finden sich außerdem viele Punkte zum Thema Bauen.
Wirft der Förderstopp den nachhaltigen Hausbau insgesamt zurück?
Zwei Drittel der Anträge waren Mitnahmeeffekte, denn EH 55 ist der marktübliche Standard. Die früher eingereichten Anträge waren oft sehr ambitionierte Gebäudeprojekte. Aber es wurde nie so viel beantragt wie im vergangenem halben Jahr. Die bei der KfW-Bank beantragten Fördermittel sollten für ohnehin geplante Gebäude verwendet werden. Die Bundesregierung hat angekündigt, den bestehenden Marktstandard zu verbessern, statt ihn weiter zu fördern. Ich gehe davon aus, dass man künftig auch die Art und Menge der Baustoffe sowie den CO2-Ausstoß mit in die Betrachtung von Häusern einbeziehen wird. Dadurch wird es gegebenenfalls komplizierter, aber es ist der Sache dienlich. Schon jetzt gibt es eine Nachhaltigkeitsklasse bei der Förderung des effizienten Bauens. Das DGNB-System ist ein hierfür registriertes Zertifizierungssystem und unsere Organisation eine zugelassene Zertifizierungsstelle. Wir hoffen nun, dass die Nachfrage nach dieser Förderung zunehmen wird.
Was ist eigentlich unter nachhaltigem Hausbau zu verstehen?
Für uns ist es absolut wichtig, dass die planetaren Grenzen akzeptiert und nicht überschritten werden. Das ist schlicht unsere Lebensgrundlage und die unserer Kinder und Kindeskinder. Der Bausektor ist ein riesiger Wirtschaftsmotor, und wir tragen für ihn eine große Verantwortung. Denn über 40 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland werden durch den Betrieb und Bau von Gebäuden verursacht. Wir müssen nachhaltigen Hausbau sozialverträglich hinbekommen – das heißt Gesundheitsschäden, Vereinzelung und prekäre Situationen vermeiden. Das Ganze muss natürlich wirtschaftlich sinnvoll sein – im Sinne der drei Säulen der Nachhaltigkeit, also Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Welchen aktuellen politischen Bestimmungen unterliegt hierzulande der nachhaltige Hausbau?
Wir sehen aktuell, dass aus den Bundesländern teilweise sehr mutige Vorschläge kommen. In Baden-Württemberg hat man sich vor einigen Jahren beispielsweise für den Holzbau eingesetzt. Landesverordnungen wurden dahingehend geändert, dass künftig mehrstöckiger Holzbau erlaubt ist. Auch in Berlin und anderen Ländern wurden die Verordnungen entsprechend geändert. Die Bundesregierung hat sich unlängst dazu positioniert, sie will das in der Breite voranbringen.
Peu à peu sieht man diese Elemente in den Bundesländern – Bauverordnungen sind nach wie vor Ländersache – nach oben diffundieren – bis sie auf Bundesebene angekommen sind. Das ist aber ein sehr langwieriger Prozess. Aus unserer Sicht sind jedoch die elementarsten Herausforderungen in dieser Legislaturperiode die Änderung des Gebäudeenergiegesetzes (reguliert den Einsatz von Energie für Heizung, Beleuchtung und Kühlung, Anm. d. Red.) in Richtung Energieeinsparung und Klimaschutz und die Förderung des zirkulären Bauens.
Mit welchem finanziellen Aufwand sind diese gesetzlichen Regularien verbunden?
Mit einer deutlichen finanziellen Belastung müssen Wohneigentümer im Bereich Sanierung rechnen. Die EU-Gebäuderichtlinie, die über dem deutschen Gebäudeenergiegesetz steht, wird aktuell überarbeitet. Vorgeschlagen wird, dass in der EU alle Eigentümer von älteren, sehr energieintensiven Gebäuden zur Sanierung verpflichtet werden sollen. Auf der anderen Seite würde diese Regelung für viele ein Geschäftsmodell bedeuten. Die Bundesregierung hat bereits signalisiert, in der Förderung einen stärkeren Fokus auf Sanierung zu legen. Wir haben gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe und der Bundesarchitektenkammer im März 2021 in einer Stellungnahme die „Formel 1-1-100-100" vorgestellt. Danach streben wir eine Million klimaneutrale Sanierungen pro Jahr an, eine Million Sanierungsfahrpläne, 100 Prozent Transparenz in Bezug auf die Erfassung des energetischen Zustands des gesamten Gebäudebestandes in Bedarfsausweisen und 100 Tage Zeit, um die Weichen dafür zu stellen. Nach unseren Schätzungen wären allein für klimaneutrale Gebäudesanierungen zwischen 150 und 250 Milliarden Euro pro Jahr an Investitionen notwendig.
Wie müssen Gebäude an die Bedürfnisse künftiger Generationen angepasst werden?
Wenn wir uns heute Gebäude aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren ansehen, würde man sich häufig am liebsten wieder von ihnen trennen. Was macht Gründerzeit-Bauten so langlebig? Die Grundrisse und Angebote zeichnen sie aus. Die Zimmer sind flexibel, in verschiedenen Lebensphasen nutzbar. Einfamilienhäuser mit einem großen Essbereich, kleinen Schlafzimmern, je zwei Kinder- und Elternzimmer und einem Bügelraum kann ich im Alter schlecht aufteilen und anders nutzen. Genauso wenig sind die Grundrisse von Mehrfamiliengebäuden auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, weil sie nicht an die Bedürfnisse späterer Bewohner angepasst sind.
Welche Materialien kommen vornehmlich bei der nachhaltigen Bauweise zum Einsatz?
Das oberste Prinzip ist, angelehnt an die Abfallhierarchie, einfach Dinge wegzulassen. Ich brauche vielleicht nicht unbedingt eine Gipskartonplatte, die beispielsweise meine Dachkonstruktion versteckt. Zudem sollte das Material für eine gewisse Lebensdauer optimiert sein. Eine weitere Strategie ist, zu fragen, was ich wie einsetze und wie ressourcenintensiv das Material sein muss. Die naturbasierten Baustoffe sind ökologisch vorteilhafter als die industriell hergestellten. Doch dazu zählt nicht nur Holz, sondern auch Stroh, Lehm, ferner Papier und Pilze als Dämmmaterial oder Algen als Baumaterial.
Bei welchen Materialien herrscht derzeit Knappheit?
Das ist eine Vielzahl an Globalisierungsthemen, die gerade auf den Baubereich einprasseln. Mit Blick auf Holz verzeichnen wir gerade eine starke Nachfrage aus China und den USA. Es wird lieber zu dem Kunden geliefert, der mehr zahlt. Ebenso wie der Automobilindustrie fehlt es derzeit dem Bereich Haustechnik an Chips und speziellen Materialien. Wir kommen allmählich im Bereich Gips in eine Materialknappheit, denn Gips, der in Form von Putz oder Decken verbaut wird, ist ein Abfallprodukt der Kohleproduktion. Die Branche ist sehr nervös, zumal es momentan wenig Alternativen für den Baustoff gibt. Im Zuge des Kohleausstiegs muss aber ein anderer Umgang mit Gips gefunden werden. Insgesamt ist der Markt für Baumaterialien überhitzt. Ich kenne kaum jemanden, der mit den Preisen wieder runtergehen wird, wenn sich die Situation entspannt hat, denn der Kunde hat sich ja daran gewöhnt, zu zahlen.
Können Sie uns Beispiele geben für intelligente Gebäude, die zum Beispiel mithilfe von Digitalisierung auf Extremwettereignisse reagieren?
Es gibt natürlich etliche smarte Ansätze für Digitalisierung im nachhaltigen Hausbau. Beispielsweise wird in einem Büroraum erst um 9.30 Uhr die Heizung hochgefahren, weil der Kollege erst um 10 Uhr zu arbeiten beginnt. Das ist wirklich eine sinnvolle Technik, auch wenn man natürlich Aufwand und Nutzen abwägen muss. Teilweise werden Technologien in Gebäuden eingebaut, die etwas langsamer heizen und kühlen. Dazu sind natürlich Wetterdaten enorm wichtig und können eine auf Energieeffizienz ausgerichtete Steuerung unterstützen.
Wenn wir an die Klimaveränderung denken, wie etwa an die Hochwasserkatastrophe hierzulande im letzten Jahr, muss man eines sehen: Die Baugenehmigungen wurden tatsächlich über Verfahren erteilt, in denen nur retrospektiv das Wetter betrachtet wurde.
In den vergangenen zwei Jahren haben sich aber die Wettermodelle derart geändert, dass Versicherer und Planende mithilfe einer Klimaprojektion vorhersagen können, dass an einem bestimmten Standort mit mehr Wind und Starkregen zu rechnen ist. Einem Hausbauer könnte man zum Beispiel daher empfehlen von einem Ziegeldach an diesem Standort Abstand zu nehmen und eine Rigole (Wasserspeicher zum Versickern von Regenwasser, Anm. d. Red.) im Garten anzulegen. Auch beim Bauprozess hilft die Digitalisierung enorm, weil die Daten zu Umwelt- oder Schadstoffbelastung zusammengeführt werden können und den Menschen bei Entscheidungsprozessen helfen.
Schließt nachhaltiger Hausbau auch den Bauprozess, den dabei entstehenden Energieaufwand und die Materialbeschaffung mit ein?
Wenn man das ökologisch betrachtet, spielt die Baustelle eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Materialien. Der Transport von Materialien spielt hierbei eine größere Rolle. Aber: Auf der Baustelle gibt es unheimlich viel Verbesserungspotenzial. Viel wesentlicher für den Prozess ist, dass die größten Potenziale ganz am Anfang, in der sogenannten Phase null oder Bedarfsfindung liegen. Daher ist es so wichtig, Nachhaltigkeit als integralen Prozess vom ersten Gedanken an zu begreifen.