Die Liberalen an der Saar wollen nach zehn Jahren zurück ins Parlament und die ebenso lange regierende Große Koalition beenden. Das Land wird unter Wert regiert, sagen die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, und Julien François Simons, der Landesvorsitzende.
Frau Brandmann, wie wichtig ist für Sie als Bundesvorsitzende dieser Wahlkampf im Saarland?
Franziska Brandmann: Für die FDP geht es hier um alles, die Partei will nach zehn Jahren zurück in den Landtag, und das unterstützen wir natürlich sehr. Ich bin jetzt seit einigen Tagen hier im Saarland und mein Eindruck ist, dass viele junge Menschen sich was Neues für das Saarland wünschen, einen Wechsel. Die haben das Gefühl, dass das Saarland unter Wert regiert wird. Die haben den Eindruck: Da geht noch was im Saarland.
Die FDP hat bei der Bundestagswahl auch im Saarland für viele erstaunlich gute Ergebnisse erzielt. Worauf führen Sie das zurück – und hat Sie das auch überrascht?
Brandmann: Mich hat das gar nicht überrascht. Wir haben im Moment Rekordmitgliederzahlen, und zwar mit Abstand. Wenn man sich viele Reportagen und Berichte anschaut, dann hatten viele eine Zeit lang den Eindruck, dass junge Menschen nichts anderes machen als freitags zu demonstrieren. Das ist aber nicht repräsentativ für die junge Generation. Es gibt ganz viele, denen es total wichtig ist, dass sie etwas aufbauen können für die Zukunft, dass der Staat einen Fokus auf das Thema Bildung legt, dass wir bei der Digitalisierung vorankommen und der Staat einfach für seine Bürgerinnen und Bürger funktioniert. Das hat man im Ergebnis der Bundestagswahl gesehen, und ich bin mir sicher, dass man das auch bei dem Ergebnis der Landtagswahl sehen wird.
Julien François Simons: Corona hat noch mal einen Blick wie mit einer Brennlupe darauf geworfen, was alles falsch läuft: In der Schule, im studentischen Leben, in einem Staat, der die Digitalisierung viel zu lange verschlafen hat. Die Leute wollen keinen Stillstand mehr, die wollen Veränderung, die wollen was Neues. Das spüren wir auch im Wahlkampf. 2017 sah das noch etwas anders aus, aber die vielen Gespräche, die wir momentan führen, zeigen ganz klar: Hier hat sich etwas geändert. Die Wählerinnen und Wähler im Saarland wollen ein Ende des Stillstands.
In Berlin ist die FDP nun wieder in Regierungsverantwortung. Gibt das Rückenwind?
Brandmann: Das kann schon sein, aber was ich in Gesprächen mit jungen Menschen hier im Saarland vor allem wahrnehme, ist Unzufriedenheit mit der Landesregierung. Da wird über die Untätigkeit der Großen Koalition hier vor Ort geschimpft, weniger über Bundesthemen gesprochen. Und ein Blick auf aktuelle Umfragen zeigt ja, dass die reale Gefahr besteht, dass es mit der Großen Koalition weitergeht. Ob da am Ende die CDU oder die SPD vorne liegt – geschenkt. Wenn die Große Koalition weiter regiert, wird sich hier wenig ändern.
Simons: Das betrifft vor allem die Bildungspolitik.
Da hat sich aber einiges bewegt, vor allem bei der CDU.
Simons: Auf einmal im Wahlkampf! Das hat mich eher geärgert. Wir sprechen über G9, aber nicht über Sanierung von Schulen oder qualitative Verbesserung. Es wird eine Scheindebatte über G9 aufgemacht, ohne zu wissen, wo die Lehrer dafür herkommen. Wir sind ja nicht dagegen, wir sind auch für ein Wahlrecht, aber was die CDU da macht, ist Wahlkampfgetöse, um von dem eigentlichen Problem in der Bildungspolitik abzulenken.
Die Erfahrung lehrt: Wenn es bei Wahlen am Schluss zu einem Duell zweier Spitzenkandidaten kommt, dann haben andere Parteien das Nachsehen.
Brandmann: Mein Eindruck ist, dass es für viele schon klar ist: Es sollte bei dieser Landtagswahl nicht darum gehen, wer am Ende der Ministerpräsident der Großen Koalition wird. Es sollte darum gehen, die Große Koalition abzuwählen. Insofern kann ein Duell zweier Spitzenkandidaten auch hilfreich sein. Man kann merken: Das ist kein Duell, das ist ein kraftloses Duett. Und da fehlt eine wichtige Stimme.
Die Alternative wäre möglicherweise eine Ampel wie in Berlin. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen: Wie hat sich das Verhältnis der FDP zu den Grünen entwickelt?
Brandmann: Ich würde das Verhältnis als demokratisch-freundschaftlich bezeichnen, genau wie das Verhältnis zu allen demokratischen Parteien. Man muss bereit sein, zusammenzuarbeiten in den Bereichen, in denen man ähnliche Interessen hat. Das ist bei den Grünen zum Beispiel im Bereich der Gesellschaftspolitik der Fall. Ich bin total froh, dass wir im Bund Themen, die viele Jahre durch die Große Koalition liegen geblieben sind, jetzt endlich abräumen können. Zum Beispiel die Abschaffung von Paragraf 219a StGB (Werbung für Schwangerschaftsabbruch; Anm. d. Red.) oder die Einführung der Verantwortungsgemeinschaft. Wir leben im Jahr 2022 und verbieten Homosexuellen immer noch, dringend benötigtes Blut zu spenden. Solche alten Zöpfe können jetzt abgeschnitten werden. Wir sind regelmäßig in Kontakt mit der Grünen Jugend und tauschen uns über gemeinsame Schnittmengen aus. Davon gibt es im gesellschaftspolitischen Bereich sehr viele, in anderen Bereichen ist das weniger der Fall, etwa im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Da muss man demokratisch drüber streiten, das ist ja Kern von Politik.
Es funktioniert also?
Simons: Am Ende kommt es auf die Inhalte an. Uns sind die Themen Wirtschaft, Digitalisierung und Bildung wichtig, die wollen wir vorantreiben. Gerade im Bildungsbereich muss sich einiges ändern. Wir wollen auch, dass die Wissenschaftspolitik, die jetzt in der Staatskanzlei verortet ist, wieder an das Wirtschaftsministerium angedockt wird. Es gibt also inhaltliche Punkte, über die man sich einig werden muss. Darauf kommt es am Ende an.
Diese Wahl als Auftakt zu weiteren Wahlen – kommt ihr eine besondere Bedeutung auch aus bundespolitischer Sicht zu?
Brandmann: Jede Landtagswahl ist immer ein bedeutsamer Stimmungstest. Man darf natürlich nicht ausklammern, dass es um landesspezifische Themen und landesspezifische Eigenheiten geht. Und umgekehrt hat natürlich auch der Bundestrend einen Einfluss. Aber ich sage ganz klar: Wenn die FDP im Saarland nach zehn Jahren wieder in den Landtag einzieht, ist das natürlich auch ein tolles Zeichen für die Freien Demokraten in ganz Deutschland. Ich glaube, niemand sollte das Saarland in seiner bundespolitischen Bedeutung unterschätzen. Und es ist die erste Landtagswahl in diesem Jahr, andere werden noch in diesem Frühjahr folgen. Auch deshalb werden sich die Blicke sehr interessiert auf das Saarland richten.
Bis zum 23. Februar war es ein Wahlkampf, wie wir ihn kennen. Der Tag danach hat alles verändert. Wie bewerten Sie die Situation nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine und angesichts der Bilder, die wir seither jeden Tag wahrnehmen müssen?
Brandmann: Ich sehe zunächst, dass viele Fragen, die uns vorher beschäftigt haben, in Relation gesetzt werden, wenn man sieht, dass sich junge Menschen in unserem Alter jetzt gerade in der Ukraine vor Bomben verstecken oder zum Militärdienst melden. Wir haben als Junge Liberale Partnerorganisationen in der Ukraine. Wir kennen junge Menschen, die sich dort für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und liberale Politik einsetzen, mit denen wir ständig in Kontakt stehen, die jetzt um ihr Leben und das Leben ihrer Familien fürchten. Wir können daraus mitnehmen, wie sehr wir unsere Demokratie und Freiheit schätzen können und verteidigen müssen. Es wäre der falsche Schluss, zu sagen, dass vor diesem Hintergrund die Landtagswahl im Saarland weniger wichtig wäre. Im Gegenteil. Gerade weil diese Situation zeigt, wie fragil Demokratie sein kann, wie verletzlich Freiheit sein kann, ist es wichtig, dass wir uns demokratisch engagieren.