Wenn am 28. März in Hollywood die Oscars vergeben werden, steht „The Power of the Dog" mit zwölf Nennungen an der Spitze der Nominierungen. Zu sehen ist der Film bei Netflix.
Was die Filmklassiker „Schindlers Liste", „My Fair Lady" und „Ben Hur" mit „The Power of the Dog" gemeinsam haben, ist wohl auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen. Erst ein Blick auf die Liste aller Filme, die je mindestens einmal für einen Oscar nominiert waren, zeigt: Es ist die Zahl der Nominierungen, die Spielbergs Holocaust-Drama, das Musical mit Audrey Hepburn und den Historienschinken mit Jane Campions Drama vereint. Zwölf Chancen auf einen Oscar hatten in der Geschichte des Filmpreises seit 1929 nur 16 Werke. „The Power of the Dog" hat gute Chancen, auch einen Großteil der Nominierungen in einen Gewinn umzuwandeln, denn der Film bietet eine packend-tragische Geschichte mit aktuellem Bezug, großartige Darsteller und eine Naturkulisse, die schöner kaum sein kann.
Packende Tragik, fesselnde Kulisse
1925, auf einer Ranch im US-Staat Montana: Die unterschiedlichen Brüder Phil (Benedict Cumberbatch) und George Burbank (Jesse Plemons) leiten eine Rinder-Ranch. Eines Tages lernt George die junge Frau Rose kennen, heiratet sie und bringt sie mit auf die Ranch. Phil lässt Rose spüren, wie wenig er von ihr hält, sodass sie sich nie in dem großen Haus heimisch fühlt und dem Alkohol verfällt. Als in den Studienferien auch Roses Sohn Peter auf die Farm kommt, nimmt sich Phil den eigenbrötlerischen und blassen Jungen vor und drangsaliert ihn mit seinen herabwürdigenden Verbalattacken. Doch auch Phil hat ein Geheimnis, das von Peter entdeckt wird. Die Beziehungen zwischen den drei Männern und der Frau ändern sich unvermittelt und enden tragisch.
Dass Regisseurin Jane Campion brüchige Beziehungen meisterhaft im Film erzählen kann, hat die Neuseeländerin unter anderem in ihrem vielfach ausgezeichneten Drama „Das Piano" (1993) bewiesen. Seitdem hat Campion nur vier Langfilme und eine TV-Serie gedreht. Es schien, als warte sie auf den richtigen Stoff, um wieder ein Meisterwerk zu präsentierten. Das ist ihr mit „The Power of the Dog" gelungen. Wie schon in „Das Piano" braucht die Regisseurin nicht viele Worte, um ihre Figuren treffend und faszinierend darzustellen – auch, weil die Schauspieler große Arbeit leisten. Jesse Plemons ist als George auf den ersten Blick ein humorloser und honoriger Mensch, nach seiner Heirat mit Rose zeigt er jedoch, dass er seine Frau aufrichtig liebt, aber machtlos gegenüber seinem Bruder ist. Rose wird gespielt von Kirsten Dunst, in deren zarter Mimik zu sehen ist, dass sie durch die Schikanen ihres Schwagers leidet und letztlich zugrunde geht. Roses Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) leidet ebenfalls unter den Verbalattacken von Phil, nutzt aber eine heimliche Beobachtung geschickt aus, um Phil zu einer emotionalen Wende zu bewegen. Benedict Cumberbatch verkörpert den komplexen Charakter des Phil in jeder Nuance faszinierend. Anfangs ist er der harte und wortkarge Cowboy; durch das Auftauchen von Rose sind in ihm auch Eifersucht und sadistische Züge zu erkennen und eine fast schon kindliche Ausgelassenheit offenbart er nackt an seinem Lieblingsort am See. Dort braucht Cumberbatch keinen Text, um in einer mehrere Minuten langen Szene zu offenbaren, dass seine Aggressivität anderen Menschen gegenüber auf einer verborgenen Liebe zu seinem verstorbenen Mentor Bronco Henry gründet. Phil liebkost ein Halstuch von Bronco so intensiv, dass jeder ahnen kann, wie tief diese Liebe gewesen sein muss – aber auch, wie unerfüllt und traurig.
Thematik auch heute noch aktuell
Obwohl „The Power of the Dog" in einer längst vergangenen Zeit spielt, geht es um ein aktuelles Problem der heutigen Gesellschaft. Phils abschätziges Verhalten Rose gegenüber heißt heute „Mobbing" und wird als Mittel der seelischen Gewalt noch immer unterschätzt. In „The Power of the Dog" ist das Opfer die zierliche Rose, die ohne die Unterstützung ihres Mannes George den Attacken von Phil nichts entgegenzusetzen hat.
Indem die zweite Hälfte des Films Phil und Peter in den Fokus rückt, gewinnt die Handlung zusätzlich an Spannung, weil das Finale nicht Phil als dominante und siegende Figur präsentiert.
Gezeigt wird eine Gesellschaft zwischen Wildnis und Zivilisation, eine gebrochene Seele, Selbstjustiz, Homophobie und psychische Gewalt – was nach einem anstrengendem Film klingt, ist wegen der ruhigen und bildgewaltigen Darstellung ein besonderes Erlebnis, das an „Der mit dem Wolf tanzt", „Brokeback Mountain" und auch an Campions „Das Piano" erinnert. Kein Wunder also, dass Jane Campions Film am 27. März die Möglichkeit auf ein Dutzend Oscars hat. Der Film „The Power of the Dog" ist auf Netflix zu sehen.