Die Branche stehe seit Jahren unter Druck, heißt es von Verlegern, das betrifft vor allem viele kleinere Verlagshäuser. Die aber haben schon immer Programm gemacht und sind es gewohnt, mit Krisen kreativ umzugehen.

Buchrücken können entzücken, ausstrahlen, ja dem Leben eine unerwartete Richtung geben. Und manchmal schreien sie auch – vor überbordender Farbgebung. So erlebten wir das, wir, die Studenten der 1980er-Jahre. Viele von uns. Da es das Internet noch nicht gab, trat man regelmäßig den Gang in die Buchhandlungen an – und stöberte, was das Zeug hielt, verliebte sich ins Buch und auch, der Fantasiehunger war grenzenlos, in die Buchhändlerin gleich mit.
Buchhandlungen waren damals – wie die renommierte Buchhandlung Elwert & Meurer am Innsbrucker Platz in Berlin – noch nicht Lädchen, sondern kleine Tempel, verwinkelt, über Etagen und Galerien laufend, mit etlichen Ecken und Abteilungen. Da stach vieles ins Auge und beflügelte die Sehnsucht. So die Regenbogenreihe der Edition Suhrkamp. Die zierlich-schönen Manesse-Bände. Oder die sündhaft teure und für uns unbezahlbare Dünndruckreihe der „Winkler Weltliteratur". Fein geschubert und ungemein dekorativ standen sie da in den Bücherregalen und schauten auf uns herab.
Zu einer anderen Reihe, die den Geist beschäftigte, gehörten die kleinen Oktavbände der „Kröner Taschenausgabe". Schlichte Bücher mit weißem Schutzumschlag, aber aufgrund des jeweils anderen Farbbandes in der Mitte ansprechend. Fachliteratur. Erschwingliche dazu. Genau das Richtige für den ambitionierten Geisteswissenschaftler. Werke von Marc Aurel, Friedrich Nietzsche, Max Weber, um nur einige zu nennen.
Der Kröner Verlag
Das mit der Fachliteratur hat sich geändert. Inzwischen macht der seit 1904 in Stuttgart ansässige Kleinverlag Kröner auch in Belletristik von sich reden. Eine Kurskorrektur. Das Programm weiten, nach wie vor Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften liefern, aber auch den Blick fürs Neue nicht verlieren. „Die Branche", sagt Kröner-Verleger und Geschäftsführer Alfred Klemm, „steht unter Druck." Im Prinzip ein Dauerzustand. Stolpersteine um Stolpersteine. Erst Internet-Giganten wie Amazon, die auf den Markt drängten und die Regeln des Buchhandels neu definierten und sodann diktierten. Dann Corona. Jetzt der Krieg in Osteuropa. Wobei Klemm konkretisiert: „Dass der Krieg in der Ukraine direkte Auswirkungen auf unseren Verlag hat, kann man nicht wirklich sagen. Die Situation der letzten Monate mit der Papierknappheit sowie die allgemeine Verunsicherung wegen der hohen Inflation spüren wir hingegen schon. Der Krieg wirkt hier gerade im Hinblick auf die Energiekosten als Verstärker. Corona ist nach wie vor ein Hemmschuh für das Buchgeschäft, wie wir es bisher gekannt haben, also mit stationärem Buchhandel und Veranstaltungen. Aus dem Grund ist es für Novitäten kleinerer Verlage aktuell deutlich schwerer, Aufmerksamkeit zu erhalten."
Dabei lohnt der Blick aufs Frühjahrsprogramm. Das bietet, keine Übertreibung, einige Überraschungen. So geht im 32-seitigen Kröner-Programm mit Sigrid Undset (1882 – 1949) gleich eine prominente Stimme Norwegens an den Start. Der letzte Teil ihrer mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Romantrilogie „Kristin Lavranstochter" überragt das Programm, aber auch anderes macht auf sich aufmerksam. So Michael Basses „Yank Zone", die Geschichte eines US-Kriegshelden, der in den 70ern die deutsche Provinz aufwirbelt. Und nicht irgendeine. Von Maulbronn ist die Rede, wo auch schon Hölderlin und Hermann Hesse wichtige Lehr- und Wanderjahre verbrachten.
Wieser Verlag
Der Fokus des in Klagenfurt beheimateten Wieser Verlags geht Richtung Osten. Das passt in diesen Tagen, ist hochaktuell. Werke tschechischer Autoren bilden einen Verlagsschwerpunkt. Aber auch die Ukraine ist vertreten. Besondere Beachtung verdient ein wehmütig-leichter Lyrikband der führenden ukrainischen Dichterin Lina Kostenko. Als weiterer Höhepunkt empfiehlt sich „Atuk" von Michel Jean, eine Geschichte über die in Labrador/Kanada lebenden indianischen Ureinwohner der Innu.
Corona hat viele Messeträume zerplatzen lassen. Immerhin brachten die Leipziger im März noch eine abgespeckte Variante, die Pop-up-Messe, auf die Beine. Welche Bedeutung die Buchmessen gerade auch für Kleinverlage haben, betont Erika Hornbogner von Wieser: „Messen sind die Inspiration und der Motor für die restliche Zeit im Jahr. Viele Titel hätten wir wohl ohne das Zusammentreffen mit den verschiedenen Kulturinstitutionen, Gastlandauftritten gar nicht im Programm. Wir hoffen nun, dass es bis Frankfurt zu keiner neuen Mutation kommt."
Edition A. B. Fischer
Aber nicht für alle Kleinverlage war die Leipziger Messe realisierbar. So sah sich die Berliner Edition A. B. Fischer mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. „Die Organisation ging derart schnell, dass viele kleine unabhängige Verlage nicht berücksichtigt waren. Es wurde auch nicht klar kommuniziert", klagt das Verlegerpaar Bernd und Angelika Fischer, die unter anderem die Autorenreihe „Menschen und Orte" herausgeben und in ihrem Frühjahrsprogramm mit wenigen, aber neugierig machenden Titeln aufwarten. Dazu zählt, und man fühlt sich hier unweigerlich an Thomas Manns „Zauberberg" erinnert, „Wie Schiffe in der Nacht". Ein Roman der englischen Frauenrechtlerin Beatrice Harraden (1864 – 1936), der in einem Schweizer Lungensanatorium spielt und einst ein absatzstarker Bestseller war, aber in Bezug auf deutsche Übersetzungen seit rund hundert Jahren dem Vergessen anheimgefallen ist.
MÄRZ

Zu den Verlagen, die nicht aufhören wollen zu existieren, gehört März. Gleich viermal lag der 1968 von Jörg Schröder († 2020) gegründete Verlag am Boden, nun geht das Kleinunternehmen, dessen Bücher mit den schrillen gelben Covern einst mit Bomben verglichen wurden, mit neuer Lunte in Gestalt von Schröders Weggefährtin Barbara Kalender und Richard Stoiber (vormals Matthes & Seitz) an den Start. Da kann man nur sagen: Ducke sich weg, wer kann! Sind doch März von jeher Attribute wie „radikal", „provokativ", „revolutionär" oder „avantgardistisch" eigen. Mit Fug und Recht. Wie haben die Bücher des Verlages nicht die deutsche Gesellschaft aufgemischt und das Bewusstsein verändert! Man denke an Bernward Vespers „Die Reise", Rolf Dieter Brinkmanns Anthologie „Acid", mit der die US-Beat-Literatur und mit ihr jede Menge Sex, Drugs and Rock‘n‘Roll durchs deutsche Land fegte. Herrlich skandalös auch Günter Amendts anti-bürgerliches Aufklärungsbuch „Sexfront" und damit verbundene Slogans wie „Trimm dich: Fick mal wieder!" Jetzt also die Wiederbelebung aus den Tiefen Schönebergs (das berühmte Rathaus am Kennedy-Platz liegt gleich ums Eck). Und diese Wiederbelebung ist für Kalender und Stoiber klar definiert: „Wir sind für eine gewollte Außenseiterrolle, aber wir wollen nicht in der Nische verschwinden, sondern eine große Außenwirkung erzielen."
Das kann funktionieren, die Zeit ist ja reich an Verwerfungen, bietet Potenzial für neue Protestsongs. Das erste Programmheft, soeben erschienen, enthält: drei Neuauflagen des alten Bestandes (bis zum Tod Schröders wurden 174 Titel veröffentlicht), zum Beispiel Valerie Solanas „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer". Und drei Novitäten: „Perlenbrauerei" von Jenny Hval, „Bis aufs Blut" von Kathy Acker und „Döner" von Eberhard Seidel. Ein, im ersten Moment, disparater Titel, der Fragen aufwirft. Was ist das? Ein Imbissführer durch die Welt der türkischen Drehspieße? Weit mehr als das. Einfach das Buch aufschlagen und schmökern!