Die Impfquote in Deutschland ist nach wie vor verbesserungswürdig. Skeptiker verweisen oft auf unbekannte Nebenwirkungen. Ein Blick auf umfangreiche und globale Studien zeigen ein einhelliges Bild. Teil 2 der Serie.
Es bleibt eine einmalige Erfolgsgeschichte. Nur knapp ein Jahr nach Ausbruch der Sars-CoV-2 Pandemie hat es gedauert, bis ein völlig neuartiger Impfstoff zur Verfügung stand. Für die allermeisten waren die mRNA-Impfstoffe von Biontech, Moderna oder Astra Zeneca die große Hoffnung, der alles lähmenden Pandemie Paroli bieten zu können. Aber es gab auch deutlich geäußerte Bedenken, die zum Teil bis heute anhalten. Durch das in der Geschichte der Entwicklung von Impfstoffen einzigartige Tempo, auch bei der Zulassung, blieb die Skepsis über Nebenwirkungen und längerfristige unerwünschte Nebeneffekte der Impfung. Das war nicht von der Hand zu weisen, schließlich konnte es darüber keine validen Studien und Aussagen geben.
Inzwischen gibt es weltweit eine Vielzahl von Studien, die sich mit Wirksamkeit und Nebenwirkungen beschäftigt haben. Im Kern haben bislang alle bestätigt, dass die Zulassung zur Eindämmung der Pandemie und in der Omikron-Welle zur deutlichen Verminderung des Risikos schwerer Verläufe eine richtige Entscheidung war und bleibt. Nebenwirkungen, die bei allen wirksamen Impfungen wie auch bei Medikamenten auftreten können, haben sich nach bisherigen Erkenntnissen in einem tolerablen Bereich gehalten.
Ein Teil der Forschung konzentriert sich darauf, zunächst überhaupt die aufgetretenen Nebenwirkungen in einen Zusammenhang zu bringen und zu kategorisieren. Dass beispielsweise nach einer Impfung Schwellungen an der Impfstelle auftreten können, gehört auch nach landläufiger Erfahrung dazu und wird akzeptiert wie andere leichte Nebenwirkungen.
Das sieht bei ernsthafteren Nebenwirkungen ganz anders aus. Bei Impfgegnern besonders populär ist dabei das Thema Herzmuskelentzündung. Tatsächlich bestätigt das Paul-Ehrlich-Institut (Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel), dass es diese Nebenwirkung geben kann, spricht aber von sehr seltenen Fällen.
Weltweite und intensive Forschung
Eine Forschergruppe aus Singapur wollte das nun genauer wissen und hat sich weltweit umfangreiche Studien angesehen und sie miteinander sowie mit anderen Impfungen verglichen. Dabei wurden englischsprachige Studien über Impfnebenwirkungen über einen längeren Zeitraum herangezogen und Daten aus über 400 Millionen Impfdosen betrachtet.
Das Ergebnis, veröffentlicht in einem renommierten internationalen Fachblatt („The Lancet – Respiratory Medicine"): Die neuen Corona-Impfungen schneiden bei Weitem nicht so schlecht ab, wie es gelegentlich in der öffentlichen Debatte unterstellt wird. Auf eine Million Corona-Impfungen kommen 18 Fälle von Myoperikarditis (Herzmuskelentzündungen), auf alle anderen Impfungen kamen 56. Die Ergebnisse belegen: Es besteht ein Risiko, das ist allerdings sehr gering, erst recht im Vergleich zu dem ebenfalls in vielen Studien nachgewiesenen Nutzen.
Impfkritiker und -gegner verweisen auch darauf, dass Langzeitnebenwirkungen nicht bekannt sind. Forschende halten dem entgegen, dass diese bei Covid-19-Impfstoffen nicht zu erwarten sind und begründen das vor allem mit der inzwischen global sehr hohen Zahl an geimpften Personen und der weltweiten Begleitung durch unterschiedlichste Studien. Diese Intensivität lasse die Vermutung zu, dass auch sehr seltene Nebenwirkungen, die bei einer geringen Zahl Geimpfter vielleicht übersehen oder erst sehr viel später identifiziert würden, alleine schon anhand der großen Zahl schneller erkannt und beurteilt würden.
Berichte über unerwünschte Nebenwirkungen laufen in Deutschland beim Paul-Ehrlich-Institut zusammen und werden dort analysiert. Dabei können auch Geimpfte selbst ihre Erfahrungen direkt melden. Somit ist eine breite und ungefilterte Basis gegeben.
Ende Dezember 2021, also ein Jahr nach Start der Impfkampagne in Deutschland, legte das Institut einen Sicherheitsbericht vor. Bis dahin waren rund 123 Millionen Impfdosen verabreicht worden. Es gab 197.000 Meldungen über Nebenwirkungen (0,16 Prozent), wobei es sich um Verdachtsfälle handelt, ohne dass bereits der Zusammenhang mit einer Impfung und der beobachteten Reaktion medizinisch nachgewiesen wäre. In einem Teil der Fälle könnte es sich beispielsweise um einen bloßen zeitlichen, aber nicht ursächlichen Zusammenhang handeln.
Mit dem Begriff Nebenwirkungen bei Impfungen wird im Allgemeinen eine ganze Bandbreite von Reaktionen zusammengefasst. Das kann von einer leichten Schwellung bis zu einem ernsten medizinischen Fall reichen.
In den USA gibt es zwei maßgebliche Überwachungssysteme: Vaccine Adverse Event Reporting (VAERS) sowie das v-safe-System. Bei der VAERS-Datenbank werden wie beim Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland Meldungen von medizinischem Personal aber eben direkt von Bürgern erfasst. Erste Ergebnisse nach einem halben Jahr mit den neuartigen Impfstoffen haben bereits gezeigt: 92 Prozent der gemeldeten Fälle waren leichte Nebenwirkungen, die in ein bis zwei Tagen wieder nachgelassen haben, und in weniger als einem Prozent musste irgendeine Form medizinischer Hilfe in Anspruch genommen werden, stellt eine Autorengruppe vom Centers for Disease Control (Atlanta) nach Auswertung fest. Damit hätten sich Daten aus klinischen Studien im Zuge der Zulassung bestätigt, hieß es.
Spannend für die Frage der Nebenwirkung, vor allem leichterer, ist ein Effekt, der in der Medizin und der Psychologie als „Nocebo" bekannt und durch vielfältigste Studien gut belegt ist. Gemeint ist: Wenn ich mit einer (unliebsamen) Reaktion rechne, gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie eintritt. Die positive Variante dieses Phänomens ist der bekannte Placebo-Effekt. Das gilt dann aber auch umgekehrt. Studien über Beipackzettel bei Arzneimitteln geben Hinweise darauf. Wenn der Patient darauf hingewiesen wurde, dass Kopfschmerzen oder Mattigkeit als Folge eintreten könnten, gibt es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Patienten genau diese Nebenwirkung verspüren.
Nocebo-Effekt bei Corona-Impfung
Der Effekt ist auch mit Corona-Impfstoffen durchgeführt worden. Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem von der Harvard Medical School und der Philipps-Universität in Marburg haben dazu einen Beitrag im Fachmagazin „Jama Network Open" (Januar 2022) veröffentlicht. Analysiert wurden zwölf klinische Studien mit über 45.000 Teilnehmern, die Impfreaktionen melden sollten. Jeweils der Hälfte wurde ein Impfstoff verabreicht beziehungsweise ein Scheinpräparat. Gut ein Drittel der Scheinpräparat-Empfänger meldeten Impfreaktionen wie Müdigkeit und Kopfschmerzen. Bei den tatsächlich Geimpften lag die Quote deutlich höher, bei ihnen gab es diese Nebenwirkung tatsächlich, in der anderen Gruppe wurde es so empfunden, weil man eben schon vorher damit gerechnet hat, dass es eintreten könnte.
Dieser Nocebo-Effekt ist, wie gesagt, durchaus bekannt, aber schwer bei Meldungen über Nebenwirkungen zu erfassen. Betont werden muss auch, dass dabei natürlich vor allem die leichten Nebenwirkungen erfasst werden. Das gilt natürlich nicht für Nebenwirkungen, die im Zweifel auch einer medizinischen Behandlung bedürfen.
Dass es an Forschung und Studien zu möglichen Nebenwirkungen oder gar ernsthaften Schädigungen mangelt, wird kaum jemand behaupten können. Gelegentlich mögen eher widersprüchliche Ergebnisse Irritationen auslösen. Bei der fast unübersehbaren Vielzahl von Einzelstudien bleibt das nicht aus.
Fazit nach rund 11,5 Milliarden verabreichten Impfdosen weltweit (Stand: 15. April 2022, Quelle: Impf-Dashboard BMG): Impfen bleibt das schärfste Schwert, um die Pandemie einzudämmen und die Folgen zu mildern. Und die Tendenz praktisch aller seriösen Studien zeigt vor dem Hintergrund dieser extrem hohen Impfzahl, dass Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen sind, auch in extrem geringer Zahl schwer ausfallen können, und dass sich Corona-Impfungen auch mit dem neuartigen Impfstoff dabei ganz offensichtlich nicht signifikant von anderen, längst akzeptierten Impfungen, unterscheiden.