„Zivilisationskrankheiten" wie Blutzucker werden bis zu 1.600-mal pro Tag diagnostiziert – sind deshalb jedoch nicht weniger gefährlich. Bernhard Allmann, Jörg Loth und Arne Morsch von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, erläutern die Hintergründe zu ihrem Herausgeberwerk mit 21 Fachbeiträgen.

An ihrer eigenen körperlichen Verfassung lassen die drei Männer keinen Zweifel – wie aus einem Mund antworten sie auf die Frage danach: „Sehr fit". Prof. Dr. Arne Morsch geht drei- bis fünfmal die Woche joggen und fügt noch ein bis zwei Krafteinheiten hinzu. Prof. Dr. Bernhard Allmann macht viermal die Woche Kampfsport wie Kickboxen oder Brazilian Jiu-Jitsu, um für Ausdauer und Kraft zu sorgen. Und Prof. Dr. Jörg Loth bringt es lachend so auf den Punkt: „Ich bin Outdoor-Fetischist." So erkundet er das liebliche Saarland auf allen möglichen Wanderwegen, geht laufen oder spaziert auch einfach mal durchs Dorf.
Gute Fitness, vor allem im mentalen Bereich, war auch nötig für ein ambitioniertes Projekt, das nun in gedruckter Form vorliegt. „Zivilisationskrankheiten. Krankheiten vermeiden – Präventionskompetenzen entwickeln" nennt sich das 455 Seiten starke Werk, bei dem die drei als Herausgeber fungieren. Kondition war ebenfalls erforderlich, da sie dabei 21 Autorinnen und Autoren koordinieren und auch im Blick behalten mussten, dass sich die Beiträge in ihren Thematiken nicht überschneiden. Veröffentlicht wurde es von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHFPG), an der die drei im Kollegium im Fachbereich Gesundheitsförderung unterrichten. „Es war die gemeinsame Idee, die uns getrieben hat", erklärt Arne Morsch. Er erläutert, dass wir in Deutschland im Grunde in einem sehr guten Gesundheitssystem leben – wenn man krank ist. Immerhin wurden im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt 441 Milliarden Euro für die Rekonvaleszenz ausgegeben, also 5.298 Euro je Einwohnerin und Einwohner. Das entspricht laut dem Bundesamt einem Anteil von 13,1 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Doch der freudige Gesichtsausdruck gerät ziemlich schnell ins Wanken, wenn man sieht, wie viel davon lediglich in die Prävention fließt. Nur ein Prozent werde ausgegeben, um dafür zu sorgen, dass man gar nicht erst oder nur leichter krank wird. Bernhard Allman vergleicht es mit einem Kuchendiagramm und stellt es bildlich dar: „Bei einem Prozent vom Erdbeerkuchen – da bleibt man hungrig."
„Da bleibt man hungrig"
Die 21 Beiträge sind in vier Teile gesplittet, in „Grundlagen und Problemstellung", „Strategien und Methoden", „Qualitätsentwicklung von Interventionen" und „Best Practice". Dabei wurde bewusst so vorgegangen, dass man die einzelnen Stücke auch nichtlinear lesen kann, man muss also nicht vorne anfangen und sich sukzessive durcharbeiten. Im Endeffekt geht es um „Das tödliche Quartett". Was „martialisch klingt", wie es Jörg Loth ausdrückt, beschreibt die möglichen Auswirkungen der folgenden Übel: abdominelle Adipositas (zu viel Bauchfett), zu hoher Blutdruck, Störungen beim Fettstoffwechsel und Diabetes mellitus Typ 2 (zu hoher Blutzucker).

Es sind dies die im Buchtitel genannten „Zivilisationskrankheiten". Und gegen diese gilt es vorzugehen, als Beispiel gilt letztgenannte Erkrankung: „Es gibt rund 1.600 neue Diagnosen – pro Tag", sagt Jörg Loth. Bernhard Allmann verweist dabei auf einen Teilaspekt der Corona-Pandemie: „Im Schnitt sind wir während Covid fünf Kilo schwerer geworden." Begründen kann man dies durch fehlenden Sportunterricht, geschlossene Sportvereine sowie generell falsche Ernährung und zu wenig Bewegung. Arne Morsch pflichtet seinen beiden Kollegen bei: „Wir haben kein Erkenntnisproblem." Stattdessen fordert er, so früh wie möglich mit Prävention zu beginnen. Das sei beispielsweise in der Kita noch problemlos möglich, da dort für die Kleinsten noch recht viel Bewegungsraum geboten werde.
Jörg Loth sagt es so: „Das Wissen über die Wirkung der Prävention ist umfassend vorhanden, wir müssen diese Erkenntnisse jedoch auch umsetzen." Er gibt sich optimistisch, dass ebendies die jetzige Generation auch tatsächlich verstehen wolle und sich dafür verstärkt interessiert. Eine Möglichkeit zur Aufklärung sei die frühzeitige Einbindung in den Schulunterricht. Wobei sich „Zivilisationskrankheiten" nicht unbedingt an den Normalleser richten, wie die drei erklären. Eher angesprochen fühlen wird sich das Fachpublikum oder auch die Studierenden an der DHFPG, die das Buch als Grundlagenliteratur digital zur Verfügung gestellt bekommen. „Wir haben ganz bewusst diesen Mix gewählt", erläutert dementsprechend Bernhard Allmann.
Beiträge wurden exklusiv verfasst
Und so überzeugt „Zivilisationskrankheiten" durch 21 Beiträge, die exklusiv für die Veröffentlichung verfasst wurden. Die Mixtur reicht von wissenschaftlich fundiert recherchierten Artikeln wie „Determination von Gesundheit" von Monika Vogelgesang (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie) oder „Persönliches Glück finden – Tipps und Tricks aus der Wissenschaft" von Eva Möhler (Chefärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum des Saarlandes) über praktische Anleitungen zur Veränderung von Gewohnheiten von Oliver Schumann (Diplom-Sport-ökonom an der Universität Bayreuth) bis hin zum recht leicht verdaulichen Beitrag „Klimawandel als Zivilisationskrankheit" von Eckart von Hirschhausen (Mediziner, Moderator, Wissenschaftsjournalist und Kabarettist). Anhand der Beiträge und begleitenden Tabellen und Grafiken soll vor allem aufgezeigt werden, dass lebensstilbedingte Erkrankungen in Deutschland für einen Großteil der Krankheitslast und einen erheblichen Anteil vorzeitiger Todesfälle verantwortlich sind. Die Gründe für die Entwicklung seien jedoch nicht nur im individuellen Umfeld zu suchen. Vielmehr müsse man neben der eigenen Lebensart auch Faktoren berücksichtigen wie etwa Bedingungen am Arbeitsplatz oder in der Umwelt und müsse auch Faktoren wie Bildung, sozialer Status oder politische Rahmenbedingungen einbeziehen. Kurz: „Zivilisationskrankheiten" soll das bei Weitem noch nicht ausgeschöpfte Potenzial für Präventionsarbeit auf allen Ebenen aufzeigen.
Jeder der Hochkaräter sei auf seine eigene Art an dem jeweils verarbeiteten Thema dran, wie die drei erklären. So bringe der ehemalige saarländische Gesundheitsminister Josef Hecken seine Sicht und seine Erfahrungen mit und erläutert die Rolle der Politik, die ja Rahmenbedingungen vorgeben könne. Er führt beispielsweise eine Nährwertkennzeichnung an, den Nutri-Score. Dieser wurde zwar eingeführt, jedoch nicht verpflichtend. Eine weitere Sensibilisierung sei eine Zuckersteuer, wie die drei Herausgeber ausführen und die sie auch alle befürworten. „Dafür habe ich auch bereits Gegenwind erfahren", sagt Jörg Loth und fügt hinzu: „Ziel darf es dabei natürlich nicht sein, zusätzliche Einnahmen für den Staat zu generieren." Bernhard Allman ergänzt, dass eine solche Steuer ja auch in anderen Ländern eingesetzt werde, etwa in Frankreich, Dänemark oder England.

„Bereits sehr viele jüngere Kinder sind adipös", berichtet er. Da werde seitens der Eltern auch mal eine Tüte Chips als Pausenverpflegung mitgegeben. Hier könnten Tipps von Oliver Schumann helfen, der dazu rät, sich selbst gesteckte Ziele weniger negativ zu beschreiben und mit Belohnungen für sich selbst zu arbeiten. Essen habe eben auch immer etwas mit Emotion zu tun. Gerade Männer könnten Hilfestellung gebrauchen, die tendenziell eher ein risikoreicheres Leben suchten. „Es rappelt ja nicht wie bei einem Motor", bringt es Allmann auf den Punkt. Wie solche „Umgebungsmöglichkeiten" aussehen können, wie es Arne Morsch ausdrückt, wird ebenfalls dargelegt. So kommt das betriebliche Gesundheitsmanagement der IKK Südwest ebenso zur Sprache wie kommunale Projekte wie „Das Saarland lebt gesund" oder das saarländische Pilotprojekt „Fitmach-Aktion: fit & gesund im Saarland". Bei Letzterem wird mithilfe eines Netzwerks aus Fitness- und Gesundheitsstudios versucht, Menschen in der Region zu regelmäßigem körperlichem Training zu motivieren und langfristig dafür zu begeistern. Im besten Fall werden sie so auch an die Studios gebunden, was wiederum einen längerfristigen gesundheitsförderlichen Effekt hat.
Im besten Fall kann sogar der Tourismus nach vorne gebracht werden. So startete beispielsweise im vergangenen Jahr der Kreis Merzig-Wadern das Modellprojekt „Gesundheits- und Präventionslandkreis". Dabei wurde in der Pilotgemeinde Losheim eine Präventionskonferenz mit vier Arbeitsgruppen gegründet, die verschiedene Programme entwickeln sollen. Dazu zählen Gesundheitstipps oder Vorträge zu Gesundheitsthemen von Experten, die auch überregional Strahlkraft haben. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit mit dem Verein für Prävention und Gesundheit im Saarland (Pugis).