Sie galt als Dada-Ikone und Collagistin, dabei ist das Œuvre der Künstlerin Hannah Höch von umwerfender Stilvielfalt geprägt. Eine Spurensuche führt nach Berlin.
Es war im Jahr 1929, als Hannah Höch für den Prospekt ihrer ersten Einzelausstellung in Den Haag schrieb: „Ich möchte weiter den Hinweis fordern, dass es außer deiner und meiner Anschauung und Meinung noch Millionen und Abermillionen berechtigter Anschauungen gibt". Am liebsten würde sie, so führte sie weiter aus, „der Welt heute demonstrieren, wie sie eine Biene und morgen wie der Mond sie sieht, und dann wie viele andere Geschöpfe sie sehen mögen". Mit diesen Worten beschrieb die als Dada-Ikone in die Geschichte eingegangene Künstlerin die enorme Bandbreite ihrer Werke.
Auch heute fänden sich in Höchs breit angelegtem Schaffen „eine irritierende Sprunghaftigkeit, stilistische Widersprüchlichkeit und Vielfältigkeit", so beschreibt es die Kunsthistorikerin Ellen Maurer Zilioli. Sie hat eine Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum kuratiert, die eine erste Annäherung an Höchs oszillierende Wahrnehmung und ihr Werk ermöglicht. Unter dem Motto „Hannah Höch. Abermillionen Anschauungen" sind mehr als 120 Exponate aus allen Schaffensbereichen und -perioden zu sehen. Ein Teil der Werke wurde bisher noch nie gezeigt.
Innere Emigration in den 1940ern
Eine andere Spur führt 17 Kilometer weiter nördlich des Museums zu einem kleinen Haus mit einem verwunschenen Garten. An der Wildbahn 33 in Heiligensee, am äußersten Stadtrand der Metropole, liegt das Künstlerhaus Hannah Höch. Dort lebte und arbeitete die Künstlerin von 1939 bis an ihr Lebensende. Sie hatte das Grundstück während der Zeit des Nationalsozialismus erworben. Sie, die die Nazis damals als „Kulturbolschewistin" diffamiert hatten und deren Werke als „entartet" gebrandmarkt worden waren, ging in die innere Emigration und lebte isoliert in diesem Refugium. Auf dem Grundstück bewahrte und versteckte Hannah Höch auch ihre Kunstwerke und dadaistischen Schriftstücke. Der Garten diente ihr als Nahrungs- und Überlebensquelle. Mittlerweile steht das gesamte Areal unter Denkmalschutz, und in regelmäßigen Abständen werden Führungen angeboten. Und wie schon in den Vorjahren gestaltet die Musikerin, Autorin und Performance-Künstlerin Annika von Trier auch in diesem Sommer eine Mischung aus Konzert und Lesung. Die Veranstaltung versteht sich als „Hommage an Hannah Höch" im Garten der vor gut vier Jahrzehnten verstorbenen Künstlerin.
Aber zurück zu den Anfängen einer Freidenkerin, die sich zeitlebens der Festlegung auf eine künstlerische Strömung, auf eine Gruppierung verweigerte. Sie wurde 1889 als Anna Therese Johanne Höch in Gotha geboren. Im Jahr 1912 begann sie ein Studium an der Kunstgewerbeschule in Berlin. Das war etwas Besonderes, denn erst 1919 waren die ersten Frauen in Deutschland offiziell als Kunststudentinnen angenommen worden. Bereits während ihres Studiums schuf Höch ihre erste abstrakte Collage sowie mehrere abstrakte Gemälde – in der Zeit um 1916. Da hatte sie auch die ersten Kontakte zur künstlerischen Avantgarde. Ab 1918 stellte sie mit den Berliner Dadaisten aus, und ab 1920 mit der Novembergruppe. Im Studium lernte sie auch den Maler und Schriftsteller Raoul Hausmann kennen und lieben. Er war mit anderen Künstlern maßgeblich an der Gründung des Berliner Clubs Dada beteiligt. 1922 wurden die beiden ein Paar, und gemeinsam entwickelten sie die innovative Technik der Fotomontage. Doch die Liaison war nicht nur von Inspiration geprägt, sondern auch mit Kummer und Zwist verbunden. Hausmann war mit einer anderen Frau verheiratet, Höch pochte jahrelang auf die Scheidung. So oszillierte die Beziehung zwischen engster Verbundenheit und selbstquälerischer Zerrissenheit. Auf Stürme der Leidenschaft folgten Fluchten. Mitunter hielt sich Hannah Höch monatelang fern von ihrem Geliebten und floh zu ihren Eltern nach Gotha. In ihrem surreal anmutenden Ölgemälde „Die Braut (oder Pandora)" spiegelte sich Höchs Herzenswunsch nach der Hochzeit mit Raoul Hausmann. Doch Braut und Bräutigam wirken auf dem Gemälde wie ein Paar, das partout nicht zueinander passen mag. Raoul Hausmann, gekleidet in anthrazitgrauem Zwirn, geradeaus starrend und in steifer Körperhaltung, daneben die Braut, in seinem Arm eingehakt, doch zugleich merkwürdig von ihm entfremdet. Sie ist in ein weißes, fließendes Kleid gehüllt, doch ihr überdimensional großer Kopf erinnert mehr an eine Puppe als an eine erwachsene Frau. Die großen, fragenden Augen, deren Blick gen Himmel geht, verstärken den Eindruck.
Dass Hannah Höch lange mehr als Dadaistin an Hausmanns Seite denn als eigenständige Künstlerin gesehen wurde, kommentierte sie im Nachhinein selbstkritisch: „Wenn ich nicht viel meiner Zeit dafür aufgewendet hätte, mich um ihn zu kümmern und ihn zu ermutigen, hätte ich selbst mehr erreicht". Einige Jahre nach der Trennung von ihm fand sie in der niederländischen Schriftstellerin Til eine neue Liebe: Mit ihr lebte und arbeitete die Malerin 1929 in Den Haag und bis 1936 in Berlin zusammen. Zwei Jahre nach der Trennung heiratete Hannah Höch, mittlerweile 50 geworden, den 21 Jahre jüngeren Handelsvertreter Kurt Heinz Matthies. Doch auch diese Beziehung zerbrach, und die Ehe wurde 1944 geschieden.
Als Künstlerin nahm sich Hannah Höch die Freiheit heraus, über alle ideologischen Gräben hinweg je nach Thema zwischen den künstlerischen Stilen zu wechseln. Abstraktes folgte auf Figuratives, surreal-fantastische Aquarelle auf Collagen. Gewebeartige Texturen, Netze, Gitter und Ornamente deuten sich in mehreren Werken an. Sichtlich wurde ihr Œuvre auch beeinflusst von ihrer Tätigkeit in der Handarbeitsabteilung des Ullstein-Verlages. Dort entwarf sie bis 1926 Stick- und Handarbeitsmodelle, fertigte Designs an für Theaterkostüme, erarbeitete Schnittmuster und Tapetenrapports sowie Buch- und Plakatvorlagen. In den 1950ern wuchs ihre künstlerische Anerkennung, 1961 folgte die erste Höch-Retrospektive. Anschließend stellte sie ihre Kunst mehrfach im New Yorker Museum of Modern Art aus. Am 31. Mai 1978 starb Hannah Höch im Alter von 88 Jahren. Ihr Grab auf dem Friedhof Heiligensee zählt zu den Ehrengräbern des Landes Berlin.