Isobel Markus gibt jungen Autoren in der „Berliner Salonage" eine Chance. Nach einem Band mit Kurzgeschichten legt die 47-Jährige ihren ersten Roman vor.
Erinnerungen an eine wilde Kindheit, Sommertage am See und die erste große Liebe: Das ist Lindas heile Welt in der Lüneburger Heide. Bis der Tod des Bruders am Bahngleis die Glückseligkeit zerstört. Das tragische Ereignis verändert alles und kehrt Jahre später ins Gedächtnis von Ich-Erzählerin Linda zurück: Isobel Markus Romandebüt „Der Satz" (Quintus) handelt von Verdrängung, Sprachlosigkeit und Schuldgefühlen. Mit ihr selbst habe die Story aber nichts zu tun, wie die Autorin erklärt: „Es ist eine rein fiktive Geschichte mit ein paar wenigen biografischen Linien, wie meinem Umzug nach Berlin."
Den Stoff hat sie seit Jahren im Kopf
Den Stoff habe sie schon seit Jahren im Kopf – seitdem ihr auffiel, dass viele Familien Dinge verdrängen. „Es breitet sich oft eine Art Unvermögen aus, über bestimmte Themen zu sprechen. Manchmal sind das auch Traumata, die aus Unfällen, Krankheiten oder sogar Suiziden resultieren. Es wurde und wird viel geschwiegen in Familien", hat Isobel Markus beobachtet. Wie aber geht man damit um, wenn etwas lang Verdrängtes an die Oberfläche kommt, wenn man sich dem stellen muss, jedoch Angst verspürt, bei der Aufarbeitung nicht damit umgehen zu können. „Dieses Spannungsfeld interessierte mich. Und so entstand ganz schnell Linda und ihre Geschichte in meinem Kopf", so die Autorin.
Die schreibt seit fast 30 Jahren im Hauptberuf Texte, unter anderem Kolumnen für die Berliner „taz", für Anthologien sowie für Literaturjournale. Außerdem hob Isobel Markus nach historischem Vorbild der 1920er-Jahre 2019 die „Berliner Salonage" aus der Taufe. Junge Autoren stellen hier ihr Werk vor. Ein eigener Roman schien da längst überfällig und liegt nun vor. Die Berlinerin entpuppt sich darin als gute Menschenbeobachterin und -beschreiberin. Sie skizziert Szenen haargenau und dennoch mit Leichtigkeit. „Der Satz" ist ein Buch über uns und das Leben und wohl auch ein bisschen über Isobel Markus. Vor allem ist es aber ein Roman, der sich einfach so wegliest.
Im Interview verrät die zweifache Mutter, dass sie schon längere Zeit mehrere Romane in der Schublade hatte, diese aber nicht für so ausgefeilt hielt, sie einem Verlag vorzustellen. Im letzten Jahr nahm Isobel Markus ihr Herz in beide Hände und fragte im Quintus-Verlag an. Hier war man hellauf begeistert. Aus den anderen Romanentwürfen dürften also bald weitere Buchveröffentlichungen werden.

Zu Hause ist die Schriftstellerin in Berlin-Schöneberg. „Ich liebe mein Viertel, das sehr gemischt, sehr lebendig und trotzdem ruhig und kiezig dörflich sein kann", schwärmt die 47-Jährige vom Stadtteil. Geschrieben wird an Werk- und Wochenendtagen. Samstag und Sonntag geht es bei Isobel Markus allerdings entspannter zu. Noch vorm Frühstück liest sie. „Eigentlich bin ich aber keine große Frühstückerin. Es gibt bei mir einen Kaffee und später noch Joghurt. Mein Mittagessen ist dann das erste richtige Mahl des Tages", schmunzelt die Literatin, die an der Humboldt-Universität Anglistik und Bibliothekswissenschaft studierte.
Je nach Wetterlage geht’s an Wochenenden mit den Töchtern zu Ausstellungen und in Museen oder aufs Tempelhofer Feld, das weite Areal des früheren Flughafens. „Ich empfinde es wie ein Meer aus frischer Luft und Wind, der hier oft weht. So viele freie Blicke gibt es sonst in der Stadt nicht." Spaziergänge durch Berlin gehören nach den Worten von Isobel Markus zu ihren großen Leidenschaften. „Ich gehe aber auch liebend gern ins Kino oder ins Theater, treffe Freundinnen und Freunde und mache ab und an Yoga. Außerdem habe ich zwei Kinder, die sind irgendwie auch Freizeitbeschäftigung", lächelt die sympathische Buchautorin.
Mit zehn Jahren kam Isobel Markus 1984 aus Niedersachsen ins damalige Westberlin. „Es ging gleich so los, dass ich kuschelige zwei Jahre länger die Grundschule besuchte, weil dies die Schulordnung hier so vorsah. Es war eine tolle Zeit: Auch später, als das politische Bewusstsein reifte, ich auf Demos ging und die Kreuzberger Szene entdeckte", schwärmt die Autorin von den 1980er-Jahren im Westen der geteilten Stadt. Schöneberg habe bis heute ein kleines Stück dieses Westberlins konserviert und sei nach wie vor nicht zu touristisch.
„Ich mag die raue Herzlichkeit"
Mauerfall und Zeitenwende möchte die Schriftstellerin jedoch nicht missen. Schon allein deshalb, weil sie seitdem ins Brandenburger Umland ausschwärmen kann, wie sie betont. „Wenn ich nur an die wunderbaren Gewässer denke: Stechlinsee, Mellensee oder Seddiner See bei Potsdam. Einen wirklich tollen Urlaub verbrachte ich mal am Schwielochsee auf einem Campingplatz", schwärmt Isobel Markus, die im letzten Sommer auch die Uckermark besuchte. „Ich war begeistert von der Ruhe und der Freundlichkeit der Menschen, aber auch von der kompletten Dunkelheit nachts, die man aus Berlin ja leider nicht mehr kennt. Ich mag aber auch diese raue Herzlichkeit der Menschen, die den Berlinern sehr ähnelt", lächelt die in Celle geborene Schreiberin.
Zum Schluss des Gesprächs kommt Isobel Markus noch auf ihre „Berliner Salonage" zu sprechen. Hier lade sie an einem Abend fünf meist unbekannte Künstler verschiedener literarischer Genres ein. In jeweils 15 Minuten können die ihre Lektüre vorstellen. „Danach gibt es ein Gespräch mit mir, und wir gehen in den Austausch mit dem Publikum. Das finde ich sehr wichtig, denn ich habe das Gefühl, dass es mehr Raum für Kunst und Diskussionen darüber geben muss. In diesem Jahr wird meine Reihe glücklicherweise vom Berliner Senat gefördert. Das ist toll, denn es vereinfacht vieles."
Mit ihren eigenen Werken tritt Isobel Markus – bis auf eine sehr kurze Miniatur zum Ende des Abends – kaum noch in der „Berliner Salonage" (ACUD Berlin, Veteranenstraße) auf. Sie präsentiert Texte vielmehr in eigenen Lesungen. Dann liest sie unter anderem auch aus ihrem vielbeachteten Buch „Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben" mit Kurzgeschichten über Berlin und die Menschen der City. Die augenzwinkernd verfassten Storys geben nicht nur Einblicke in den Alltag der Autorin. Sie sind auch deshalb ein ganz besonderes Zeitdokument, weil sie zum Teil in der Zeit der Corona-Pandemie entstanden.