Ob es um Nahrungsmittelknappheit, um neue Rohstoffquellen, um Migration, Klimaschutz oder um neue Covid-19-Varianten geht: Svenja Schulze (SPD), Ex-Bundesumweltministerin und nun Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, gehen die Themen nicht aus.
Frau Ministerin, Sie hatten sich in die Umweltpolitik richtig eingearbeitet – nun sind Sie in ein neues Ressort geschoben worden. Wie gefällt Ihnen die Entwicklungspolitik?
Für viele der Themen, die mir in meiner Arbeit als Umweltministerin mit Blick auf Deutschland wichtig waren, setze ich mich nun als Entwicklungsministerin international ein: die Bekämpfung des Klimawandels, den Erhalt der Artenvielfalt, weniger Plastik in den Weltmeeren und weniger Nahrungsmittel im Tank. Wir können die großen Herausforderungen, vor denen wir als Weltgemeinschaft stehen – Klimawandel, Pandemie, Armut und Hunger – nur gemeinsam bewältigen. Dafür braucht es solidarische Lösungen, die die Perspektiven und Interessen unserer Partner im globalen Süden einbeziehen. Wirksame, auf die drängenden Fragen unserer Zeit gerichtete Entwicklungspolitik ist wichtiger denn je. Ich freue mich darauf, diese Entwicklungspolitik zu gestalten!
Sie waren gerade in Afrika – wie ist Ihr Eindruck?
Afrika ist ein enorm vielfältiger Kontinent. Dieser Vielfalt möchte ich mit einem differenzierten Blick begegnen. Meine ersten Reisen als Entwicklungsministerin, etwa nach Ruanda und Äthiopien, haben mir bereits eindrücklich die Bandbreite an Themen in der Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern gezeigt. Gemeinsam mit der ruandischen Regierung und Biontech haben wir den Weg für eine eigene Impfstoffproduktion in Ruanda geebnet – ein großer Schritt für die Pandemie-Bekämpfung in Afrika und ein Motor für Jobs und Innovation. In Äthiopien habe ich im Anschluss an die Weltbanktagung die Afrikanische Union (AU) besucht und bekräftigt, dass Ernährungssicherheit ein gemeinsames Anliegen der Afrikanischen Union und der Bundesregierung ist. Auch in Afrika sind die dramatischen Folgen von Putins Krieg in der Ukraine spürbar und schmerzhaft. Wenn Lebensmittel und Energie teurer werden, verschärft das bestehende Krisen. Ich habe der Afrikanischen Union das klare Signal gegeben, dass Deutschland neben der Unterstützung für die Ukraine seine Partner im globalen Süden nicht vergisst.
Welche Argumente fallen Ihnen ein, wenn Sie in einem Entwicklungsland auf den Klimawandel und die Schuld der Industrieländer angesprochen werden?
Da gibt es nichts zu argumentieren. Ich stimme zu. Fakt ist, die Industrienationen sind die Hauptverursacher des Klimawandels, und deswegen liegt es an uns, mit ambitionierten Klimaschutzzielen und -maßnahmen voranzugehen. Als Industrienation tragen wir eine besondere Verantwortung für die Länder des globalen Südens, die schon heute mit den Folgen des Klimawandels kämpfen. Wir unterstützen sie tatkräftig dabei, sich umwelt- und klimafreundlich zu entwickeln. Da geht es beispielsweise um den Ausbau erneuerbarer Energien oder um eine nachhaltige, klimaresiliente (widerstandsfähige, Anm. d. Red.) Landwirtschaft. Der Klimawandel trifft gerade die ärmsten Länder am härtesten, sei es durch immer häufiger auftretende Dürren oder Überschwemmungen. Zugleich tragen die ärmsten Länder nach wie vor so gut wie nichts zum Klimawandel bei. Wir sind daher auch in der Verantwortung, Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern, sich anzupassen und die Menschen vor häufiger werdenden Naturkatastrophen zu schützen.
Kann Deutschland etwas tun, um eine Ernährungskrise angesichts der fehlenden Lieferungen aus Russland und der Ukraine zu vermeiden?
Mein Ministerium stellt nun kurzfristig 430 Millionen Euro für Ernährungssicherheit bereit, die Bundeskanzler Scholz im G7-Kreis angekündigt hat. Die Mittel sollen unter anderen an das Welternährungsprogramm WFP gehen, um die am schlimmsten betroffenen Länder Afrikas und des Nahen Ostens zu unterstützen. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Wir müssen noch mehr tun, Unterstützungsmaßnahmen international koordinieren, weitere Exportbeschränkungen von Nahrungsmitteln eindämmen und Kräfte bündeln.
Ich habe dafür bei der Frühjahrstagung der Weltbank ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Das Thema Ernährungssicherung braucht auch langfristig unsere Aufmerksamkeit. Es geht jetzt zunächst darum, dass wir schnell handeln, um eine Verschlimmerung der Hungerkatastrophen zu verhindern. Aber es muss uns mittel- und langfristig um eine wirkliche Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme gehen. Wir müssen diese Systeme und ihre Lieferketten krisenfester machen. Klimawandelbedingte Wetterextreme, pandemiebedingte Wirtschaftskrisen, kriegsbedingte Unterbrechung von Handelswegen – all das begegnet uns gerade gleichzeitig. Nichts davon kann warten.
Betrifft das auch die Agrarwirtschaft in Deutschland?
Diese Transformation kann nicht Halt machen vor Europa. Auch hier in Deutschland müssen wir uns umstellen. Getreide oder andere Nahrungs- oder Futtermittelpflanzen im Tank zu verbrennen, bedeutet zugleich, dass deren Anbauflächen nicht für die Welternährung zur Verfügung stehen. Meine Haltung ist klar: Der Teller, die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen, ist wichtiger als der Tank.
Derzeit wird darüber wenig berichtet – wie ist die Corona-Lage in der sogenannten Dritten Welt?
Die Pandemie ist nicht vorbei, nicht in Deutschland und auch nicht im globalen Süden. In einigen Regionen Afrikas, Zentralamerikas und der Karibik steigen die Fallzahlen wieder. Insbesondere in Südafrika, nach zweimonatigem Rückgang der Neuinfektionen. Und leider sind viele Menschen im globalen Süden immer noch nicht geimpft – in den ärmsten Ländern der Welt sind es nur rund 13 Prozent der Bevölkerung. Dabei ist Impfstoffknappheit nicht das größte Problem, jetzt geht es mehr um die logistischen Fragen, dass die vorhandenen Impfstoffe auch an die Armen kommen, auch in die entlegenen Gebiete.
Wir müssen uns wappnen, denn neue Wellen und Varianten drohen. Dazu gehört auch, dass wir weiter mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass auch Tests überall vorhanden sind, denn diese sind für die globale Überwachung der Pandemie-Lage wichtig. Genauso müssen Medikamente zur Behandlung von Covid-19 wie Impfstoffe überall auf der Welt zugänglich sein. Dazu habe ich mich gerade auf einer von US-Präsident Biden organisierten Konferenz mit meinen Kolleginnen und Kollegen ausgetauscht.
Gehen Sie wie Robert Habeck auch auf die Suche nach neuen Quellen für Rohstoffe für die Batterieproduktion, also Kobalt, Titan, Nickel, Palladium?
Als Entwicklungsministerin ist mir besonders wichtig, dass auch unsere Partnerländer von der steigenden Nachfrage nach strategischen Rohstoffen profitieren. Wir Industrienationen müssen den Rohstoffbedarf so decken, dass Klimaschutz bei uns nicht zu Naturzerstörung und Hungerlöhnen in anderen Teilen der Welt führt. Zudem sind Entwicklungsländer selbst auf eine zuverlässige Versorgung mit Rohstoffen angewiesen – für ihre Energie- und Verkehrswende oder ihren Energiezugang: Denn 750 Millionen Menschen weltweit haben noch gar keinen Zugang zu Energie.
Durch unsere Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit fördern wir verantwortungsvolle Lieferketten mit starken Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Bergbau. Zudem unterstützt mein Ministerium über die „Connex-Initiative" Regierungen in Entwicklungsländern bei der Aushandlung fairer Rohstoffverträge mit internationalen Investoren, damit vor allem die Länder selbst finanziell vom Rohstoffabbau profitieren.
Werden die Wanderungsbewegungen aus Afrika zunehmen?
Afrika ist der Kontinent mit der höchsten Anzahl an Menschen auf der Flucht weltweit. Die meisten davon sind Binnenvertriebene, auf der Flucht im eigenen Land. Und wenn Menschen fliehen und ihr Land verlassen, bleiben sie überwiegend in den Nachbarstaaten, die oft selbst von Armut und Instabilität betroffen sind. Die meisten Menschen können die teure und gefährliche Flucht nach Europa nicht antreten. Ziel der Entwicklungspolitik ist nicht, Migration zu verhindern. Wir wollen dabei unterstützen, dass Menschen in ihrer Heimat bleiben können und dort eine gute Zukunft für sich und ihre Familie sehen. Und wir unterstützen die Länder in Afrika, die geflüchtete Menschen aus anderen Teilen des Kontinents bei sich aufgenommen haben, dabei, die zusätzliche Last so zu schultern, dass sie nicht selbst weiter destabilisiert werden.
Erleben wir das Ende der Globalisierung wie wir sie gekannt haben?
Die Zeitenwende, die dieser Krieg gegen die Ukraine eingeläutet hat, zwingt uns dazu, das bisherige Modell der Globalisierung zu hinterfragen. Wir müssen eine Globalisierung der Nachhaltigkeit gestalten. Die Annahme, dass „Wandel durch Handel" automatisch gefördert wird, hat ausgedient. Es braucht verbindliche Standards für Nachhaltigkeit und den Schutz von Menschenrechten. Initiativen wie das Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene können helfen, gerechtere Rahmenbedingungen für den Welthandel zu schaffen und das Risiko der Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern verringern. Dafür brauchen wir starke internationale Allianzen. Ich bin überzeugt, dass sich viele gemeinsame Ziele und Interessen finden lassen, die wir durch die Entwicklungszusammenarbeit unterstützen können: Erneuerbare Energien zu fördern dient dem Klimaschutz und macht Länder gleichzeitig unabhängig von Energieimporten. Kern der Entwicklungszusammenarbeit ist der Aufbau nachhaltiger Strukturen, um Krisen und Kriege zu verhindern, und jede Investition in die Prävention von Krisen zahlt sich um ein Vielfaches aus.
Wie kommt es, dass im nächsten Haushalt weniger Geld für Entwicklungspolitik vorgesehen ist?
Das liegt an der Finanzplanung der Vorgängerregierung. Ich versuche seit Amtsantritt, das zu korrigieren, denn die Herausforderungen sind größer als je zuvor. Der Haushaltsausschuss und der Bundesfinanzminister haben dem BMZ bereits zusätzliche Mittel für die Unterstützung der Ukraine und der Bewältigung der Folgen für die Ernährungssicherheit bewilligt. Auch der Ergänzungshaushalt sieht hierfür zusätzliche Mittel zur Umsetzung durch das BMZ vor. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die verfügbaren Mittel für das Entwicklungsministerium im Haushalt noch mal deutlich steigen werden.