Seit vergangener Woche steht Halle ganz im Zeichen der 100. Händel-Festspiele. Dabei gibt es noch bis zum 12. Juni ein reichhaltiges Programm – von Oper über Performance bis zum Walking Dinner.
Fulminant startete die Jubiläums-Ausgabe der Festspiele mit der Oper „Orlando", die Händel für das Londoner King’s Theatre am Haymarket komponiert hatte, 1733 wurde sie dort uraufgeführt. Das Libretto basiert auf dem Epos „Orlando furioso" von 1532. Orlando ist ein Ritter, der vergeblich die chinesische Prinzessin Angelica liebt und den Verstand verliert, als sie sich für den Krieger Medoro entscheidet. Walter Sutcliffe hat die romantische Oper nun für Halle in Szene gesetzt, in den Hauptrollen begeisterten Countertenor Xavier Sabata, der die anspruchsvolle Partie des Titelhelden mit Bravour stemmte, und Franziska Krötenheerdt als seine Angebetete Angelica. Überhaupt, in der ausverkauften Oper gab es am vergangenen Freitag immer wieder Zwischenapplaus – auch für Ki-Hyun Park als Zauberer Zoroastro. Ein mitreißender Auftakt für die Jubiläumsausgabe der Händel-Festspiele, die in den beiden Vorjahren wegen Corona natürlich nicht stattfinden konnten. Wer die unbedingt empfehlenswerte „Orlando"-Inszenierung noch sehen möchte, sollte sich um eines der Resttickets für die Aufführung am 10. Juni bemühen.
Die bisher wohl größte Überraschung ist der weltbekannte Countertenor Philippe Jaroussky als Dirigent. Er bringt einen Händel-Abend mit vielen wunderbaren Arien aus dessen Opern in der modernen Georg-Friedrich-Händel-Halle. Seine Partnerin ist die Sopranistin Emöke Baráth. Auch im Duett singen sie, unter anderem als Cäsar und Cleopatra aus der bekannten Händel-Oper „Giulio Cesare in Egitto". Im Goethe-Theater in Bad Lauchstädt sind hingegen Marionetten die Protagonisten auf der Bühne – in der Inszenierung der Händel-Oper „Ariodante". Die aufwendig ausgestatteten Marionetten des Theaters Carlo Colla e Figli aus Mailand ziehen das Publikum schnell in ihren Bann, schon allein wegen zahlreicher origineller Regieeinfälle inklusive eines höfischen Tanzes – die Sänger sind von den Seitenemporen zu hören.
Musikgenuss auf höchstem Niveau, dazu „lockere Formate" wie ein „Walking Dinner" mit Speisen aus Händels Zeiten, das macht die Mischung der Festspiele aus. Da gibt es Führungen zu „Historischen Musikinstrumenten aus vier Jahrhunderten", und wer es auf andere Weise authentisch mag, entert im Stadtteil Giebichenstein das Schiff „MS Händel 2", um Händels „Wassermusik" stilecht auf der Saale zu erleben.
Aber auch unabhängig von den Händel-Festspielen gibt es in Halle einiges für Musik-Liebhaber, Händel-Fans und Kulturinteressierte zu entdecken. Ins Auge fällt beispielsweise ein großes Gebäude mit Türmchen und aufwendig verzierter Fassade auf dem Hansering. Es ist das Landgericht von 1905, das Elemente der Gotik, der Renaissance und des Jugendstils miteinander verbindet. Von den Tieren und Fabelwesen, die die Fenstersimse an der Fassade schmücken, bis hin zur doppelten Wendeltreppe in der runden Kuppelhalle. Mit ihrem bunten Dekor kommt diese fast byzantinisch daher.
Auf dem Marktplatz von Halle kann man dann Händel selbst einen Besuch abstatten. Der muss zwar auf seinem 3,20 Meter hohen Sockel verharren, scheint aber von dort zufrieden auf die Marktkirche zu blicken, in der er getauft wurde.
Das Taufbecken ist noch vorhanden, und an der Reichel-Orgel hat er schon als Junge das Orgelspielen erlernt.
Dieses Gotteshaus mit den beiden unterschiedlichen Turmpaaren ist Halles Wahrzeichen. Die spitzen Türme hinten gehörten einst zur Gertrudenkirche, die robusten Hausmannstürme vorne zur romanischen Marienkirche. Auf einem blauen Schild zwischen den Hausmanntürmen ist seit dem 1. März ein Jesus-Wort aus der Bergpredigt zu lesen: „Selig sind, die Frieden stiften".
Die Zusammenlegung der beiden kleineren Gotteshäuser hatte Kardinal Albrecht (1490–1545), Markgraf von Brandenburg, veranlasst, eine Persönlichkeit mit vielen hohen Ämtern und der mächtigste Mann nach dem Kaiser. 25 Jahre, bis 1554, dauerten die Bauarbeiten. Die Fertigstellung der Marktkirche erlebte Albrecht allerdings nicht mehr – bereits 1541 war er hochverschuldet und aus Furcht vor der Reformation aus Halle geflohen.
Kardinal Albrecht mochte zwei Dinge besonders: bauen und prunken. Also ließ er die Klosterkirche der Dominikaner von 1271 umbauen und prächtig ausgestalten. Obwohl Halle nie ein Bischofssitz war, wurde das Gotteshaus bald Dom genannt.
Außerdem beauftragte Albrecht die Maler Lucas Cranach der Ältere, Albrecht Dürer und Matthias Grünewald, den Dom mit Gemälden zu schmücken. Für die geplanten 16 Altäre bestellte Kardinal Albrecht bei Cranach gleich 142 Bilder. Der Kardinal ließ sogar sich und seine Mätressen als Heilige auf einigen Bildern verewigen.
Halles Dom wurde aufwendig saniert
Und die sind immer noch ein Thema. Schmunzelnd zeigt Gästeführer Rainer Strauch neuere Porträts auf einer hohen Hauswand, die zum „Kühlen Brunnen", dem Renaissancepalast von Hans von Schönitz (1499–1535), gehört. Als Finanzminister des Kardinals schaffte er das Geld für Albrecht heran und 1531 auch als neue Mätresse die italienische Opernsängerin Belina Mazarotti. Doch der Kardinal Albrecht war nicht nur weltlichen Genüssen zugetan, er förderte auch Wissenschaft und Künste, gründete eine katholische Universität und verwandelte das Salzstädtchen Halle durch seine Baumaßnahmen in eine repräsentative Renaissance-Stadt.
Prunkvoll muss zu Zeiten des Kardinals der Dom ausgestattet gewesen sein – die sorgsam restaurierte Renaissance-Kanzel lässt das erahnen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Kirchenbau schwer beschädigt, von 1996 bis 2005 aber von Grund auf saniert. Seit 2018 ist auch die Orgel wieder in ausgezeichnetem Zustand – gerade zu erleben bei der Aufführung des „Messias" im Rahmen der Festspiele – Händels vielleicht bekanntestes Werk war diesmal in der Mozart-Version und in deutscher Sprache zu hören.
In nur 24 Tagen hatte Händel in England den „Messias" komponiert, 1742 wurde das Werk in Dublin zugunsten von Schuldgefangenen und Armenkrankenhäusern uraufgeführt. Auch die weiteren Aufführungen in England blieben Benefiz-Veranstaltungen.
Händel war in seiner Jugend beeindruckt von den Franckeschen Stiftungen für Waisenkinder in Halle, ließ daher den „Messias" regelmäßig in der Kapelle des Londoner Foundling-Hospitals aufführen. Die Erlöse kamen den dortigen Waisenkindern zugute. „Der Andrang des Publikums war bald so groß, dass die Damen vorab gebeten wurden, keine Platz raubenden Reifröcke zu tragen. Aus gleichem Grund sollten die Herren auf den Degen an der Seite verzichten", so schildert es Festspiel-Intendant Clemens Birnbaum.
Noch knapp zwei Wochen kann man Händel-Werke in Halle und Umgebung in unterschiedlichsten Settings hören- zum Beispiel bei einem Open Air in der Galgenbergschlucht oder zum Abschluss mit Händels „Feuerwerksmusik" – und dem dazu gehörigen Feuerwerk.