In den Goldenen Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts war Karl Valentin hierzulande dank seiner Wortakrobatik ein solch herausragender Komiker-Star, dass sein Bewunderer Bertolt Brecht selbst einen Vergleich mit Charlie Chaplin nicht scheute. Dieser Tage wäre Valentin 140 Jahre alt geworden.
Karl Valentin hatte sich immer nur als „Volkssänger" bezeichnet – ein Berufsstand, der speziell in München Anfang des 20. Jahrhunderts seine Blütezeit erlebt hatte und der in den 1930er-Jahren nach einer knapp 100-jährigen Ära verschwand. Für einen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden jungen Mann namens Valentin Ludwig Fey, der am 4. Juni 1892 in der Münchner Vorstadt Au als Sohn eines Tapezierermeisters und Speditionsunternehmers geboren wurde, war es damals gar nicht so einfach, in dieser ganz besonderen Welt der Unterhaltungsbranche Fuß zu fassen. Denn die Konkurrenz war ziemlich groß.
In der schon eine halbe Million Einwohner zählenden Isar-Metropole buhlten rund 800 Volkssänger um die Gunst des Publikums. Sie konnten ihr Talent in gut 100 sogenannter Singspielhallen unter Beweis stellen, wo sie das Publikum, das aus Arbeitern, Handwerkern oder Soldaten bestand, zu Schweinsbraten und Bier mit derben Späßen, Sketchen, Couplets oder humoristischen Solo-Einlagen bei Laune hielten. In der Hierarchie der großstädtischen Vergnügungsorte rangierten die Singspielhallen unterhalb der glamouröseren Varieté- oder Revue-Theater. Alles drehte sich hier um „dem Volk vom Maul abgeschaute" Sujets aus dem alltäglichen Leben wie obrigkeitliche Schikanen oder häusliche Ehezwistigkeiten. Politik war ebenso tabu wie sexuell Anzügliches.
Valentin Ludwig Fey konnte damit wuchern, dass er diese Alltagskultur durch das mehrheitlich von Arbeitern bewohnte und einem frühen Gewerbegebiet ähnelnde Au-Viertel bestens kannte. Zudem fühlte er sich durchaus dem einfachen Volk zugehörig, weil er nach Abschluss seiner Schullaufbahn, die er als „siebenjährige Zuchthausstrafe" empfunden hatte, auf Wunsch des Vaters zur späteren Übernahme des familieneigenen Betriebs eine Schreinerlehre und zwischen 1899 und 1901 Gesellenjahre bei verschiedenen Betrieben der Isar-Stadt absolviert hatte. Obwohl er handwerklich begabt war und seinen Job eigentlich mochte, fühlte sich der spindeldürre, deutlich über 1,80 Meter große Schlaks, den seit seiner Jugend ein Asthma-Leiden behinderte, doch zu etwas anderem berufen.
Durchbruch als „Skelettgiggerl"
Schon während seiner Schreinerlehre hatte er sich im Zitherspielen unterrichten lassen, später beherrschte er sogar zwölf Instrumente von Trompete bis hin zur Violine. Ohne musikalische Fähigkeiten war ein Einstieg bei den Volkssängern gleichsam unmöglich. Sein Komiker-Talent testete er ab 1897 bei Auftritten anlässlich von Vereinsfestivitäten. 1901 zog er dann einen Schlussstrich unter seine Handwerkslaufbahn.
Stattdessen zog es ihn auf die Bühne, weshalb er sich von Mai bis August 1902 zu einem Kurzbesuch der Münchner Varietéschule Lehmann & Grimm unter dem Komiker Hermann Strebel entschloss. Wenig später bekam er sein erstes Engagement in einem Nürnberger Varieté namens „Zeughaus". Doch der plötzliche Tod des Vaters Anfang Oktober 1902 machte seine Hoffnungen auf eine schnelle Karriere als Volkssänger zunichte. Valentin Ludwig Fey fühlte sich dazu verpflichtet, gemeinsam mit seiner Mutter die väterliche Spedition „Falk & Fey" fortzuführen. Fortan konnte er nur in seiner Freizeit als Komiker bei Vereinsfeiern auftreten, wobei er seinen 1902 ausgetüftelten Musikapparat „Das lebende Orchestrion" zum Einsatz brachte, mit dem er 20 verschiedene Instrumente gleichzeitig spielen konnte.
Nach dem Bankrott des väterlichen Unternehmens vier Jahre später zog Valentin Fey mit seiner Mutter in deren sächsische Heimatstadt Zittau um und versuchte ein Jahr später die prekäre finanzielle Lage durch eine letztlich desaströs verlaufende Deutschland-Tournee mit seinem Orchestrion aufzubessern. Valentin war am ersten Tiefpunkt seines Lebens angelangt und flüchtete zurück nach München, wo er 1908 Unterschlupf beim Gastwirt und Münchner Original Ludwig Greiner fand. Greiner brachte Valentin auf die Idee, seine Figur in witzigen Liedertexten auf die Schippe zu nehmen. Er präsentierte sich daher im Frühjahr 1908 erstmals unter seinem Künstlernamen „Karl Valentin" als „Skelettgiggerl" auf der Bühne des Münchner „Baderwirts", wo er mit seinen Sketchen „Ich bin ein armer magrer Mann" und „Aquarium" in Windeseile zu einer Lokal-Größe aufstieg.
Unermüdlich arbeitete er daran, seine spezifische Komik mit groteskem Körperspiel, Slapstick-Elementen, einer Logik zertrümmernden Sprachakrobatik, einem genialischen Improvisationstalent oder dem von keinem anderen Volkssänger als Stilmittel benutzen Einsatz von Ironie und Parodie zu verfeinern. Noch im gleichen Jahr gelang ihm im „Frankfurter Hof" der endgültige Durchbruch zum Münchner Komiker-Star. Er wurde als „Blödsinnkönig Valentin" gefeiert, weil er wie kein anderer die Kunst des „saudumm Daherredns" beherrschte, meldete sein Gewerbe als „Singen im Stadtbezirk" an und verlängerte vor jedem Auftritt seine ohnehin schon ziemlich imposante Nase durch eine Zusatzportion Kitt.
Vieles von seiner Kunst bis heute erhalten
Im „Frankfurter Hof" lernte Valentin 1911 die junge Sängerin Elisabeth Wellano kennen, die ab 1913 unter dem Künstlernamen „Liesl Karlstadt" stolze 26 Jahre lang sein kongenialer Gegenpart auf der Bühne werden sollte und mit der er zudem außerhalb seines mit zwei Töchtern gesegneten Ehelebens mit Gattin Irene ein intensives und Karlstadt auf Dauer depressiv-zermürbendes Verhältnis unterhalten haben soll. Nach dem Auftakterfolg mit dem „Alpensängerterzett" 1913 feierte das Komiker-Duo einen Bühnentriumph nach dem anderen, beispielsweise 1915 mit „Tingeltangel" samt dem berühmten Sketch „Die Orchesterprobe" oder 1922 mit dem wohl bekanntesten Stück „Der Firmling".
Ab 1923 gingen Valentin und Karlstadt auch regelmäßig auf Tournee – zunächst nach Wien und Zürich, danach eroberten sie Berlin. Erleichtert wurde dies, weil sich der immer mit Lampenfieber kämpfende Valentin anstelle des Urbayerischen eine Kunstsprache mit blau-weißem Akzent zugelegt hatte. Bertolt Brecht, der gemeinsam mit Valentin 1922 den surrealistischen Kurzspielfilm „Mysterien eines Frisiersalons" gedreht hatte, gehörte zu den frühesten prominenten Bewunderern des Münchner Komikers, der versuchte Zuweisungen seiner Darstellungskunst zum Dadaismus oder Expressionismus stets zurückzuweisen. Später reihten sich Alfred Kerr, der Valentin als „Wortzerklauberer" gerühmt hatte, Kurt Tucholsky, der die „Orchesterprobe" als „Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns" bezeichnet hatte, Samuel Beckett oder Lion Feuchtwanger in die breite Phalanx der Valentin-Gefolgschaft ein. Weil Valentin sich von Anfang an für damals noch neue Medien begeistert hatte, sind viele seiner insgesamt rund 500 Werke, Sketche und Couplets auf Schallplatten-Reproduktionen oder Filmen erhalten geblieben. Zudem zählte Valentin, den der „Spiegel" als „eine Art Woody Allen der Weimarer Republik" bezeichnet hatte, dank seines 1912 eingerichteten eigenen Filmstudios zu den cineastischen Pionieren in Deutschland. Heutzutage sind noch 29 Filme und zwölf Fragmente erhalten.
Galt Valentin Ende der 20er-Jahre als gemachter Mann, so führten ihn die Projekte des folgenden Jahrzehnts in den Ruin. Beginnend mit dem kurzlebigen Betrieb eines eigenen Theaters im „Goethesaal" auf der Münchner Leopoldstraße 1931. Doch vor allem mit seiner in den Kellerräumen des Hotels „Wagner" auf der Münchner Sonnenstraße im Stile eines Wachsfigurenkabinetts 1934 etablierten Grusel- und Kuriositäten-Ausstellung namens „Panoptikum". Dort ging auch der Großteil der Ersparnisse von Liesl Karlstadt mit drauf. Aus Fehlern nicht klug geworden, versuchte Valentin es 1939 nochmals mit der Eröffnung der ebenso erfolglosen „Ritterspelunke" – einer Mischung aus Kellerkneipe, Schauer-Panoptikum und Kabarett im Münchner Färbergarten. Der Name Valentin zog einfach nicht mehr, seine Komik wollte niemand mehr sehen. Als unpolitischer Mensch hatte er von den Nazis keine Probleme zu erwarten. Nur der unter Regie von Jacob Geis gedrehte Film „Die Erbschaft" mit Valentin und Karlstadt als Hauptdarstellern wurde wegen der thematisierten Elends-Problematik 1936 verboten.
Kein Erfolg mehr nach dem Krieg
Für den Lebensunterhalt verfasste Valentin nach dem Umzug in ein schon 1924 in Planegg erworbenes Haus monatlich einen unverfänglichen Artikel für das Propagandablatt „Münchner Feldpost". Aus Geldnot wollte er Adolf Hitler seine hochkarätige Sammlung historischer Postkarten, die das alte München darstellten, verkaufen. Hitler war sogar bereit, die astronomische Summe von 100.000 Mark zu zahlen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Valentin das Geld nicht zur Produktion neuer Filme verwenden durfte. Valentins Antwort an den eingeschalteten Vermittler: „Sagens dem Herrn Führer, I bin wie er – alles oder nichts!"
Auch nach dem Krieg kam Valentin als Komiker nicht mehr auf die Beine, mehr als zwei Kurzauftritte Ende 1947 und Anfang 1948 in zwei Münchner Kabaretts sollte es vor seinem Tod im Alter von 65 Jahren am 9. Februar 1948 in Planegg infolge einer Lungenentzündung verbunden mit Unterernährung nicht mehr geben. „Valentins Tod ist mir nahegegangen", sagte Thomas Mann, „er war ein völlig einmaliges Gewächs". Es sollte allerdings bis Anfang der 1960er-Jahre dauern, bis das Genie des Komikers in Deutschland wiederentdeckt wurde.