Andere gefügig machen, indem man sie gezielt verunsichert und Zweifel an ihrer Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit sät: Das nennen Experten „Gaslighting". Diese Form der Manipulation kommt in Paarbeziehungen, aber auch in Familien vor.
Bella Manningham scheint allmählich den Verstand zu verlieren. Ständig verlegt sie Dinge, hört Schritte, wo niemand ist, und bildet sich ein, abends würden die Gaslampen im Haus flackern. Ihr Gatte meint, sie habe womöglich den Hang zum Halluzinieren von ihrer Mutter geerbt. Doch Bellas Sinne täuschen sie keineswegs. In Wahrheit treibt ihr Mann ein böses Spiel mit ihr. Er schleicht sich nachts auf den Dachboden, um dort nach dem Schmuck der von ihm ermordeten Vormieterin zu stöbern. Sobald er die Gaslampen im oberen Stockwerk entzündet, wird das Licht im übrigen Haus getrübt. Damit ihm Bella nicht auf die Schliche kommt, isoliert er sie von der Außenwelt und redet ihr ein, sie sei verrückt. Das ist in groben Zügen der Plot des Theaterstücks „Gaslight" des englischen Autors Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938. Die Geschichte um den manipulativen Ehemann wurde wenig später gleich zweimal verfilmt, am erfolgreichsten 1944 mit Ingrid Bergman in der weiblichen Hauptrolle. Angelehnt an das Schauspiel tauften Psychologen in den 1980er-Jahren die böswillige Verdrehung von Tatsachen und das Vorgaukeln einer falschen Realität „gaslighting". In der jüngeren Vergangenheit floss diese Verbform nicht zuletzt durch regen Gebrauch im Internet in die Alltagssprache ein. Gemeint ist der Versuch, andere gefügig zu machen, indem man sie gezielt verunsichert und Zweifel an ihrer Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Urteilsfähigkeit sät. Die Opfer haben zunehmend das Gefühl, sich nicht auf sich selbst verlassen zu können und werden so vom Manipulator abhängig und steuerbar. Oft sind, wie im Fall von Bella Manningham, Frauen in Beziehungen betroffen. Misogyne Stereotype können dabei eine Rolle spielen: „Gaslighter" machen sich ihre Partnerin gefügig, indem sie deren Reaktionen oder Sichtweisen als überempfindlich und hysterisch darstellen. Wie gefährlich ist das?
„Wirkt zutiefst destabilisierend"
Laut der US-amerikanischen Psychotherapeutin Robin Stern stürzen fortgesetzte Täuschung und der psychische Druck durch den Partner einige Frauen in Abhängigkeit. In ihrem Buch „Der Gaslight-Effekt" schreibt sie: „Gaslighting wirkt zutiefst destabilisierend." Nora Rebekka Krott vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld sieht das ähnlich: „Die Folgen im Verhalten sind oft sozialer Rückzug, Isolation und eine Spirale hin zu immer engerer Bindung an die Täterin oder den Täter. Emotional kann sich wiederholte Verunsicherung und Demütigung in Depressionen oder sozialer Phobie niederschlagen", so die Psychologin. Neben Paarbeziehungen seien häufig Familien betroffen. „Voraussetzung für Gaslighting ist – anders als bei sonstigen Formen der Machtausübung – ein Vertrauensverhältnis", so Krott. „Man wird ausgerechnet von der Person manipuliert, die einem nahesteht. Dieses Bündnis ist für Gaslighter wichtig, da es oft darum geht, das Opfer von anderen sozialen Einflüssen abzuschirmen und so in größere Abhängigkeit zu bringen."
Doch wer tut so etwas? Zum Beispiel Menschen mit stark narzisstischen und antisozialen Charakterzügen. Sind solche Merkmale besonders ausgeprägt, sprechen Psychologen von einer Persönlichkeitsstörung. Die Motive ihres Handelns sind den Betreffenden dabei nicht unbedingt bewusst. „So lassen sich Gefühle von Minderwertigkeit und Ohnmacht beispielsweise abwehren, indem man sie unbewusst in den Partner oder die Partnerin verlegt. Das stabilisiert das eigene Selbstwertgefühl, führt aber leicht in eine paradoxe Situation: Durch den ständigen Versuch, machtvoll und dominant zu sein, ist am Ende der Manipulator selbst abhängig davon, dass das Opfer bei ihm bleibt", erklärt Krott. Rainer Sachse, Professor für klinische Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum, sieht einen Dreh- und Angelpunkt im Empathievermögen: „Um andere gut manipulieren zu können, muss man die Bedürfnisse, Empfindlichkeiten und Schwächen derjenigen rekonstruieren." Dafür sei es nötig, sich in das Gegenüber einzufühlen. Begnadete Manipulatoren können ihre Empathie jedoch auch einfach „abschalten", um das eigene Ziel zu erreichen.
Gefühle von Minderwertigkeit
Hinweise darauf fand im Jahr 2013 ein Team um die Neurowissenschaftlerin Harma Meffert, damals an der Universität Groningen in den Niederlanden. Die Forscher untersuchten mittels bildgebender Verfahren eine Reihe von Straftätern, die die Diagnose Psychopathie erhalten hatten. Psychopathen gelten als besonders manipulativ. Die Teilnehmer sahen im Hirnscanner kurze Filme, in denen jemand gestreichelt oder geschlagen wurde. Hirnregionen wie der anteriore cinguläre Kortex und die Inselrinde, die mit Empathie in Verbindung gebracht werden, waren bei ihnen weniger aktiv als bei Kontrollprobanden. Das änderte sich allerdings, als man die Betreffenden bat, sich beim Schauen bewusst in die Filmfigur einzufühlen: Nun war auf den Scans kaum ein Unterschied zu anderen Menschen mehr zu erkennen. Psychopathen können sich offenbar sehr wohl in andere hineinversetzen – bei Bedarf.
Wer umgekehrt für Manipulationsversuche anfällig ist, lässt sich kaum pauschal sagen. „Menschen, die sich aus einer von psychischer Gewalt und Manipulation geprägten Beziehung befreien, berichten oft, dass sie sich selbst nicht mehr gekannt hätten. Viele suchen die Schuld bei sich selbst", sagt Krott. Häufig zögen manipulative Menschen gerade unsichere an. „Die unsichere Person sieht im dominanten Partner etwas, was sie ersehnt und was ihr vielleicht hilft, sich nicht mit dem eigenen Autonomiestreben auseinandersetzen zu müssen. Mitunter glauben die Betreffenden auch, sie könnten den Partner bekehren oder retten." Letztlich könne man Opfern von psychischem Missbrauch nur raten, sozialen Rückzug zu vermeiden, aktiv den Austausch mit anderen wie Freunden oder Angehörigen zu suchen und in gravierenden Fällen die Beziehung zu beenden.
Jeder manipuliert hin und wieder
Die Grenzen zwischen geschickter Beeinflussung und unfairer Manipulation sind allerdings fließend. Wie die Forschung zeigt, sind Menschen oft hochgradig lenkbar und ihre vermeintlich autonomen Urteile und Entscheidungen werden stark von außen gesteuert. Gerade den Manipulationsversuchen von Verwandten, Freunden oder Kollegen haben wir oft wenig entgegenzusetzen, wenn sie uns zum Beispiel schmeicheln, um Arbeit abwälzen: „Du kannst so toll formulieren. Willst du nicht den Abschlussbericht übernehmen?" Solche Winkelzüge führen nicht selten dazu, dass wir zähneknirschend mitspielen.
„Wir alle manipulieren andere hin und wieder", erklärt Rainer Sachse, Professor für klinische Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Diese Fähigkeit ist im Grunde eine soziale Kompetenz: Wir veranlassen unsere Mitmenschen zu Dingen, die sie sonst nicht täten." Doch wo geht das Bezirzen in Fremdsteuerung über? „Der böswillige Manipulator akzeptiert kein Nein", so Sachse. Spielt das Gegenüber nicht mit, reagiert er häufig mit Wut und Vorwürfen. „Heikel wird es, wenn die Lenkung in Beziehungen einseitig stattfindet und die sogenannte Reziprozität verletzt wird: Mal darfst du mich manipulieren, dann wieder ich dich."