Mit Daniel Farke präsentierte Borussia Mönchengladbach seinen neuen Trainer. Kollegen schwärmen von ihm in höchsten Tönen. Kommt er zum richtigen Zeitpunkt?
Der kleine Arjuna, ein zwölfjähriger Fan von Norwich City, wurde nach der Entlassung von Daniel Farke als Cheftrainer des englischen Clubs gefragt, ob er traurig darüber sei. „Ja, schon, er hat es gut gemacht." Aber? „Wir können uns verbessern, wir können es besser machen." Doch weder Arjuna noch José Mourinho, den Mandy Price, eine 41 Jahre alte Lehrerin aus dem Norden der Stadt, empfohlen hatte, gelang der Sprung auf die Trainerbank von Norwich City. Stattdessen kam Dean Smith und stieg mit einem Punkteschnitt von 0,77 aus der Premier League ab.
Zwar lag der Premier-League-Durchschnitt von Farke bei 0,53, aber in Norwich würde man heute noch viele Fans finden, die nicht verstehen können, warum man den Deutschen entlassen hat. Es ist der Fußball, den Farke spielen ließ und der eine besondere Note bei den sonst selten verwöhnten Canaries hinterlassen hat. Es war ein ansehnlicher, offensiv ausgerichteter Ansatz, der auch neutrale Zuschauer mitzog.
Pep Guardiola schaute gern zu
Und sogar bei den Besten gut ankam. Pep Guardiola erklärte mal, dass er „nicht viel Zeit" habe, privat Fußball zu konsumieren. Bei Norwich mache er eine Ausnahme: „Ich habe eine gute Beziehung zu ihrem Trainer. Wenn sie spielen, schaue ich ihnen gerne zu", so der Trainer von Manchester City. Was klang wie ein typisches Guardiola-Lob für den Nächstbesten, stimmte aber. „Er schaut uns tatsächlich gerne zu", erklärte Farke bei Sport1. Wenn man nun eine erste Zwischenbilanz zieht, hätte man da die Kritik von Arjuna, den schwachen Punktedurchschnitt und das Lob von Guardiola. Als Außenstehender, aber auch als sportlicher Verantwortlicher eines Bundesliga-Clubs ist man da geneigt, eher Guardiola zu folgen, wobei Roland Virkus sicherlich kein Pressestatement des Katalanen benötigte, um von Daniel Farke als neuer Cheftrainer Borussia Mönchengladbachs überzeugt zu sein.
Der 45-jährige Fußballlehrer ist in der Szene bekannt. Man kann, ob des immensen Unterschieds in der Kaderqualität, die geringe Punkteausbeute Farkes in der Premier League genauso gut einschätzen wie den Ansatz des Ostwestfalen, ein Fußballspiel anzugehen. Und genau das führte Virkus, der nun schon einige Zeit hatte, sich die Optionen anzusehen, zu Farke. Dass er zunächst Lucien Favre holen wollte und lange am Schweizer geklammert hatte, hinterlässt natürlich ein Geschmäckle, das selbst auf der Pressekonferenz zur Vorstellung von Daniel Farke zu spüren war. Natürlich fragte man auch bei Farke nach, was er davon hält, dass er nicht die 1a-Lösung war.
„Diese Kategorien interessieren mich nicht. Es ist völlig selbstverständlich, dass sich Borussia Mönchengladbach mit Lucien Favre beschäftigt. Er hat hier eine außergewöhnliche Arbeit abgeliefert und ist ein hervorragender Trainer. Er hat Mannschaft, Spieler und Werte entwickelt." Er wäre als Gladbach-Fan „enttäuscht", so Farke, wenn sich sein Verein mit Favre nicht beschäftigt hätte. Nicht enttäuscht darüber wird er sein, dass das Comeback des Schweizers zur Borussia nicht geklappt hat. Nun bekommt er seine erstmalige Chance in der Bundesliga. Aus Gladbacher Sicht mag es so sein, als wäre es eine weitere Episode eines Fußballclubs, dessen sportliche Führung kein glückliches Bild abgibt. Aber dass man statt Favre nun Farke holte, hat durchaus Hand und Fuß.
Beide Trainer ähneln in ihrem Ansatz, das Spiel anzugehen. Favre ist seit jeher obsessiv, was gepflegten Offensivfußball angeht, auch wenn es Phasen in seiner Karriere gab, in denen er die Balance verlor. Aber damit hatte er fast überall Erfolg und verfolgte seinen Weg, auch wenn es vielleicht in jenem Augenblick gar nicht Sinn machte, weil Gegner und Wettbewerb etwas anderes einforderten. Aber Favre blieb sich bis ins Verderben treu.
So gesehen gilt das auch für Farke, der in Norwich zweimal mit einem Feuerwerk aufgestiegen war, aber einmal abstieg und einmal gehen musste, bevor es wieder so weit kam, weil er in der Premier League seinem Spielstil treu blieb. Aber Farke ist ein Mann mit Prinzipien. Nicht nur, was seine taktische Vorgehensweise angeht.
„Ich werde nur ein Projekt übernehmen, von dem ich zu 100 Prozent überzeugt bin und bei dem ich das Gefühl habe, dass die Vorstellungen des Clubs und meine absolut übereinstimmen", sagte Farke vor gar nicht allzu langer Zeit. Nach seinem Aus in Norwich im November 2021 hatte er genug Gelegenheiten, sofort wieder einzusteigen.
Kontakte zu Favre „völlig normal"
Wie die Kollegen von Spox waren die türkischen Spitzenclubs Fenerbahce und Besiktas an Farke interessiert und auch wenn es zu Gesprächen kam, konnten sie in unterschiedlichen Zeiten den Deutschen von ihrem sportlichen Konzept nicht überzeugen. Als ein Verantwortlicher der beiden Clubs von Farke gefragt wurde, was man von ihm erwarten würde und er „die Meisterschaft" als Antwort bekam, war das für Farke offenbar das Kriterium, nicht weiter zu sondieren.
Dass man große Ziele verfolgt, ist klar. Doch mit welchen Mitteln und welcher Vorgehensweise, das sollte im Vorfeld schon abgesteckt werden. Beim FK Krasnodar, wohin ihn es Anfang des Jahres zog, wurde ihm da schon ein konkreter Plan aufgezeigt, aber nach der Invasion Russlands in der Ukraine war das Engagement beendet, bevor es überhaupt begann. Seither gibt es um Farke immer wieder neue Gerüchte. Dass es dann am Ende Gladbach wurde, kam überraschend. Nicht nur wegen des großen Interesses an Favre, sondern auch aufgrund der Umstände, die er in Gladbach vorfindet. Die Borussia ist sicher kein Scherbenhaufen, aber seit dem abrupten Weggang von Max Eberl im Januar sind die Baustellen größer als gedacht.
Jahrelang ruhte sich der Club im Schatten von Eberl aus, hinterfragte keine Entscheidungen und als Eberl weg war, entstand ein riesiges Vakuum. Der Fußball, den Favre einst spielen ließ, war stilbildend und den Annalen des Clubs gerecht. Dieter Hecking versuchte das als Nachfolger mit seinen Methoden zu adaptieren. Doch dann wollte Eberl etwas Neues probieren. Er sah, dass sich der Spielstil in Europa verändert. Er sah, was im RB-Imperium gut lief und wollte das auch in Gladbach.
Schwerpunkt auf der Defensive
Erst kam Marco Rose aus dieser Schule, dann Adi Hütter. Was bei Rose – bis zum Bruch wegen der BVB-Thematik – gut lief, war bei Hütter gar nicht mehr zu sehen. Gladbach spielte einen Fußball, der nicht zum Verein passte, nicht gut. „Wenn man 61 Gegentore kassiert, ist das normalerweise abstiegsreif", sagte Virkus auf der Mitgliederversammlung zuletzt. „Wir benötigen wieder defensive Stabilität – und genauso Stabilität, was die physischen Daten angeht." Gegenüber den Mitgliedern erklärte er, dass Borussia Mönchengladbach in der vergangenen Saison die Mannschaft mit dem zweitniedrigsten Laufpensum war. „Daran gilt es zu arbeiten in der neuen Saison." Zwar lässt sich defensive Stabilität auch mit Offensivfußball bewerkstelligen, insofern ist Farke schon wohl die richtige Wahl, aber die Frage ist nur, ob die Verpflichtung zu spät kommt. Dass Eberl mit seiner Einschätzung, einen neuen Stil in Gladbach zu installieren, gescheitert ist, kann passieren, kann aber mit einer Rolle rückwärts nicht einfach wieder gerade gebogen werden. Aus den Aussagen des Ostwestfalen ist zu hören, dass er eine gewisse Investitionskraft in Gladbach erwartet. Allerdings wirkt die Pandemie immer noch nach. Inwiefern das also klappt, wird man in den nächsten Wochen sehen. Farke wird dafür sorgen müssen, dass es schnell vorangeht, auch um den eigenen Ambitionen gerecht zu werden.
„Ich mag es, wenn ich einen Club auf ein höheres Niveau bringen kann. Also zum Beispiel: aus einem Mittelklasseverein ein Team zu formen, das in Europa spielen kann", sagte Farke in einem Interview: „Oder ein Europa-League-Team in ein Champions-League-Team zu verwandeln. Der nächste Schritt, das nächste Level und Siegermentalität in eine Mannschaft, in einen Verein tragen: Das ist es, was mich reizt."
Und es wird ihn auch in Gladbach gereizt haben. Doch es geht dabei nicht nur um sportliche Weiterentwicklung. Da ist auch Virkus gefragt. Beide haben nun die Möglichkeit, die Borussia in eine bessere Zeit zu führen. Wie Farke sagte: „Vielleicht bin ich ja auch die 1d-Lösung – D wie Dauerlösung."