Fossile Brennstoffe gehören der Vergangenheit an, auch in Frankreich. Trotzdem könnten ehemalige Gruben in Lothringen bald wieder Energie fördern – diesmal Kohleflözgas. Genehmigungen stehen aber noch aus, eine Bürgerinitiative protestiert dagegen.
Wo einst französische Kumpel die Steinkohle abbauten, künden heute allenfalls noch Ruinen von vergangenen Zeiten. Das könnte sich jedoch ändern. Das ehemalige Abbaugebiet Moselle Est könnte vor einer Renaissance stehen. Ungeprüften Schätzungen von Fachleuten zufolge schlummert ein Potenzial von etwa 190 Milliarden Kubikmetern Kohleflözgas tief in der lothringischen Erde. Das hat das französische Unternehmen Française de l’Energie (FDE) bereits vor einigen Jahren auf den Plan gerufen, das nach eigenen Angaben das zu 96 Prozent aus Methan bestehende Gas aus den Tiefen fördern und an nahe gelegene Industrieunternehmen und Stadtwerke verkaufen möchte. Doch auf die Genehmigung vom Staat wartet FDE noch heute.
Große Gasvorkommen schlummern im Boden
Umfangreiche Probebohrungen an vier Standorten, zahlreiche Umweltverträglichkeitsprüfungen und Testläufe sowie Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wurden bis 2017 durchgeführt. Seitdem ruht die größte Bohrstelle in Lachambre bei St. Avold. Im November 2018 reichte FDE das Dossier beim französischen Staat ein, um die begehrte Konzession zur Nutzung der Gasvorkommen zu bekommen. Dabei geht es um ein rund 190 Quadratkilometer großes Gebiet rund um St. Avold und Faulquemont mit insgesamt 40 Kommunen. In diesem Raum lägen in etwa 1.000 Meter Tiefe gesicherte 2,1 Milliarden Kubikmeter Gas, so FDE-Generaldirektor Antoine Focinal. Im Genehmigungsverfahren werden zunächst die betroffenen Kommunen gehört, anschließend haben die Bürgerinnen und Bürger bei der Offenlegung des Dossiers in einer rund zweimonatigen Frist das Recht, ihre Einwände vorzutragen. Das war im Oktober 2020. Insgesamt dauere in Frankreich das Verfahren mit Prüfung und Vergabe der Konzession erfahrungsgemäß bis zu drei Jahren, erklärt Pressesprecher Pascal Mittelberger von der FDE. Doch seit über einem Jahr herrscht quasi Funkstille zwischen Paris und dem beschaulichen Örtchen Pontpierre bei Faulquemont, wo FDE seit gut eineinhalb Jahren ihren Geschäftssitz hat. Die Corona-Pandemie und die Wahlen in Frankreich haben den Entscheidungsprozess sicherlich verlängert, aber die Energie-Krise infolge des Ukraine-Kriegs müsste den Prozess nun beschleunigen, heißt es. So hofft FDE noch in diesem Sommer endlich mit einem positiven Bescheid.
Erschwert wird das Genehmigungsverfahren zusätzlich durch eine Gesetzesänderung im Bergrecht von April 2021, die die Betreiberverantwortung vom Staat auf Dritte überträgt, wenn Gasvorkommen genutzt werden sollten. Doch es gibt auch Widerstand: Die Bürgerinitiative Appel57 sowie eine Handvoll Kommunalpolitiker haben sich gegen das Bohren ausgesprochen. Vermutete Spekulationsgeschäfte des seit 2016 börsennotierten Unternehmens FDE, Verseuchung des Grundwassers sowie Gefahr von Grubensenkungen sind die am häufigsten genannten Argumente, die die rund 150 bekennenden Gegner des Vorhabens ins Feld führen. „Dabei haben nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung der 40 Kommunen Einwände gegen das Projekt vorgebracht", so Mittelberger. Über 30 Kommunen und die überwiegende Mehrheit der Lokalpolitiker, die zum Teil selbst einmal im Bergbau tätig waren, hätten sich für das Vorhaben ausgesprochen.
„Vielfach wird uns Fracking vorgeworfen", ärgert sich André Focinal. Dabei sei Fracking in Frankreich verboten und käme überhaupt nicht zur Anwendung. Im Gegenteil: Die Steinkohle in Lothringen besitzt die positive Eigenschaft, Gas in feinen Poren und Rissen zu speichern, das bei Bohrungen lediglich wie bei einem Staubsauger abgesaugt und an die Oberfläche gefördert werden muss. Dass dabei auch Wasser zutage gefördert werde, liege in der Natur des Bergbaus. „Das Wasser wird im Übrigen gereinigt wieder der Natur zugeführt. Mit Fracking und Grubengasnutzung im herkömmlichen Sinne habe unser Verfahren überhaupt nichts zu tun", so Focinal weiter. Es seien vermutlich die Bohrungen als solche, die zu Fehleinschätzungen in der Bevölkerung führen.
Im Norden Frankreichs mit vier Standorten und in Belgien mit einem Standort gewinnt FDE bereits Kohleflözgas und macht daraus Strom und Wärme. Das gesicherte Gasvorkommen beträgt dort 9,5 Milliarden Kubikmeter, allerdings nur mit bis zu 90 Prozent Methangehalt. Im französischen Béthune wird so das Fernwärmenetz für 6.500 Gebäude komplett mit Wärme aus Kohleflözgas gespeist. Der Unterschied bei der Gasgewinnung liegt darin, dass die ehemaligen Schächte der Kohlegruben genutzt werden, also keine neuen Bohrungen gemacht werden müssen. Außerdem laufen im französisch-belgischen Kohlebecken die einstigen Stollen aufgrund der geologischen Gegebenheiten nicht mit Wasser voll. Einwände und Bürgerinitiativen waren in Nordfrankreich bis heute nicht zu verzeichnen.
Die Förderung wäre aktuell bis 2040 möglich
Rund 40 Millionen Euro hat FDE bereits in das Projekt Kohleflözgas in Lothringen investiert und ist sich sicher, die Konzession in Kürze zu bekommen. Bei positivem Bescheid wären 40 Plattformen mit mehreren Bohrungen in dem Gebiet maximal möglich, wobei jede Bohrung neu in der Präfektur beantragt werden müsste und das Recht auf Nutzung der Gasvorkommen sowieso 2040 enden würde. Denn dann greift das französische Hulot-Gesetz, benannt nach dem ehemaligen Umweltminister Nicolas Hulot, nach dem fossile Energieressourcen in Frankreich ab 2040 nicht mehr abgebaut werden dürfen. Das könnte sich angesichts der drohenden Energiekrise allerdings wieder ändern. Frankreich verbraucht rund 40 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, lediglich rund 20 Prozent stammen aus Russland, also deutlich weniger als in Deutschland.
Das Kohleflözgas in Lothringen hätte das Zeug dazu, die Unabhängigkeit von ausländischem Gas zu verringern. Zudem kann es aufgrund der hohen Methanwerte so gut wie unbehandelt in die vorhandene lokale und grenzüberschreitende Netzinfrastruktur eingespeist werden. Auch im Saarland stoße das Vorhaben von FDE in der Großindustrie, die viel Gas verbrauche, auf reges Interesse. Was die geologischen Gegebenheiten im Saarland angeht, müsste es auch hierzulande reichlich Kohleflözgas geben. Studien dazu wurden von FDE bislang nicht beauftragt.