Der EU-Emissionshandel soll ausgeweitet werden, gleichzeitig steigen die Verbraucherpreise für Energie. Die Gemengelage ist kompliziert – vor allem Heizungen bereiten Experten derzeit Sorgen. Prof. Frank Baur und Eva Hauser vom Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme (IZES) sehen hier erheblichen Nachsteuerungsbedarf.
Herr Prof. Baur, Sie sind Geschäftsführer des IZES. Eine Ausweitung des europäischen Emissionshandels (ETS) auf Gebäude und Verkehr ist im Parlament erst einmal gescheitert. Wird nun beides für Verbraucher teurer?
Baur: Das lässt sich nicht einfach beantworten: Die Preise für Heizen und auch Kühlen und für Mobilität sind von sehr vielen Faktoren abhängig; der EU-Emissionshandel ist beziehungsweise wäre ja nur einer davon. Grundsätzlich sollten wir als Gesellschaft nicht vergessen, dass Energienutzung einen ökologischen Preis hat und dass Energie im Wortsinn ein wertvolles Gut ist, mit dem wir sorgsam umgehen sollten. In Deutschland ist ein CO2-Preis ja bereits im Energiepreis integriert. Das Einbeziehen von Verbrauchern und dem Gebäudesektor ist eine gute Idee, wenn es sozial abgefedert ist. Genau hier jedoch ist der Knackpunkt des gesamten Systems, wenn wir beginnen, Geld mit der Gießkanne zu verteilen, das sehen wir nun wieder bei der Debatte um die Senkung der Spritpreise. Das heißt, wir brauchen auch eine soziale Ausgewogenheit der Maßnahmen. Ansonsten ist der mögliche soziale Sprengstoff, den diese Maßnahme birgt, der Sache nicht dienlich. Der Instrumentenkasten ist jedoch größer. Wir sprechen gerade über eine neue EU-Taxonomie, sprich, was sehen wir als nachhaltige Energie an, beziehungsweise wann gelten Investitionen in Energieerzeugungsanlagen als ‚Sustainable Finance‘? Zur Beurteilung gibt es mehrere Kriterien wie Treibhausgasemissionen, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität, Wasserschutz et cetera. Die Komplexität dieser Aspekte, insbesondere in ihrem Zusammenspiel, aber ist hoch. Zum Beispiel werden Windkraft und Biodiversität an vielen Orten in einer Konkurrenzsituation gesehen.
Frau Hauser, Sie sind Forschungskoordinatorin, wie ist Ihre Meinung zum EU-Kommissionsbeschluss, den Emissionshandel (ETS) auszuweiten?
Hauser: Der ETS nützt dem Klima, wenn Industrie und Verbraucherinnen ihr Verhalten ändern und Investitionen in nachhaltige Energie tätigen. Anfänglich gab es im ETS viele Fehler: zu viele kostenlose Zertifikate, eine Menge Schlupflöcher und großzügige Ausnahmen. Daran krankt der heutige Handel immer noch, und es ist herausfordernd, weitere Bereiche einzubeziehen. Deshalb muss der ETS Anreize dazu bieten, weniger Energie zu verbrauchen. Die Ausweitung auf weitere Sektoren könnte ein hilfreicher Schritt sein, wenn er gut umgesetzt wird. Doch darf man nicht im blinden Glauben alleine dem Markt vertrauen.
Den Tankrabatt haben Sie bereits genannt, was ist der Grund für den hohen Spritpreis trotz Eingriffs der Politik und welche Empfehlung würden Sie geben?
Hauser: Die Spritpreise sind zum Teil so hoch wegen hoher Weltmarktpreise. Ich tendiere derzeit dazu, zu sagen, die Mineralölkonzerne geben den Rabatt nicht oder nur zeitweise an die Verbraucher weiter. Sozialer wäre eine Staffelung steuerlicher Vergünstigungen für die Verbraucher, sprich, einkommensschwache Haushalte erhalten eine höhere Vergünstigung als stärkere. Aktuell profitieren vor allem Vielfahrer und Menschen, die es sich ohnehin leisten können, davon.
Baur: Wir sind in einem permanenten Dilemma zwischen Klima- und Sozialpolitik. In der Vergangenheit wurden die fossilen Brennstoffe deutlich unter Preis verkauft. Unter Preis deshalb, weil die volkswirtschaftlichen Folgekosten, also die Umweltzerstörung, nicht im Handelspreis inbegriffen war. Nun beginnen wir die volkswirtschaftlichen Kosten einzubeziehen. Dies darf einkommensschwache Haushalte nicht überlasten. Wir als Institut denken dabei vom Ziel des Klimaschutzes her und haben daher auch eine umweltpsychologische Abteilung, die sich mit der gesellschaftlichen Akzeptanz, den Hemmnissen und den sozialen Aspekten beschäftigt. Klar ist: Klimapolitik kann nicht die Versäumnisse der Sozialpolitik auflösen. Bei steigender Ungleichheit in der Gesellschaft ist dies natürlich ein Problem.
War das 9-Euro-Ticket eine gute Idee? Wäre es sinnvoll, das Ticket sogar weiter beizubehalten oder ein 365-Euro-Ticket einzuführen?
Baur: Den ÖPNV zu stärken ist immer eine gute Idee. Wir brauchen eine Flatrate oder, im besten Falle, einen kostenlosen Nahverkehr. Ob das 9-Euro-Ticket gerade konkret etwas bringt, dazu fehlen uns im Moment noch die Daten.
Hauser: Das unterstütze ich ebenfalls. Doch muss auch der Nahverkehr dort ausgebaut werden, wo er zu dünn ist, wie zum Beispiel in Teilen Ostdeutschlands. Dort, wo es keine guten ÖPNV-Verbindungen gibt, hilft das 9-Euro-Ticket nicht viel.
Auch Strom wird teurer, wodurch?
Hauser: Dies hängt davon ab, wie sich die Preise an der Strombörse gestalten. Stromanbieter könnten die Situation auch ausnutzen, aber das ist schwer zu sagen. Steigende Gaspreise erhöhen tendenziell den Strompreis, da der jeweils teuerste Kraftpreis den Preis an der Strombörse bestimmt. Die EU möchte die Funktionsweise des Strommarkts ändern, was nicht einfach ist, aber dennoch gegebenenfalls die Mühe wert.
Dabei gehen alle wissenschaftlichen Szenarien davon aus, dass wir in Zukunft mehr Strom verbrauchen werden. Wo sehen Sie Handlungsbedarf seitens des Verbrauchers, nur indem er spart?
Baur: Der Stromverbrauch in Deutschland wird in Zukunft steigen, von circa 600 auf über 1.000 Terawattstunden, je nach Szenario. Unser Energiesystem wird stromlastiger, wenn wir alleine die Elektromobilität als Treiber dieser Situation ansehen. Aber ein Großteil hängt auch an der Wärmeversorgung – im Idealfall durch elektrisch betriebene Wärmepumpen – und dadurch auch an der notwendigen Gebäudesanierung. Das Problem: die Bundesprogramme zur Modernisierung und Sanierung von Gebäuden sind oft rasch überzeichnet. Deshalb stehen wir auch im Moment bei nur 16 Prozent erneuerbare Energien bei der Wärmeversorgung. Die erforderliche Wärmewende haben wir verschlafen.
Die Wärmewende wird ein zentraler Punkt, viele Hausbesitzer sind sich dessen wohl bewusst. Im neuen Koalitionsvertrag soll die Zahl nun bis 2030 auf 50 Prozent erhöht werden. Kann das gelingen?
Baur: Das ist sehr ambitioniert, weil der Wärmesektor wesentlich komplexer und regionaler aufgebaut ist als der Stromsektor. Außerdem lässt die Effizienz der Gebäude noch zu wünschen übrig, hier sind wir bei der Sanierung von Bestandsgebäuden noch viel zu langsam. Im Saarland haben wir ein Wärmekataster aufgebaut und gesehen: vor allem die Gebäude mit geringem Mietzins, direkt an Hauptstraßen zum Beispiel, werden wenig energetisch saniert. Trotz Förderung etwa durch die „Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG)" müssen Hausbesitzer also viel Geld in die Hand nehmen. Zum anderen steht uns das Personal nicht zur Verfügung, um dies alles umzusetzen. Dem Handwerk fehlen die Fachkräfte dafür. Dann die Frage nach dem Heizsystem, die ich nicht losgelöst von der Gebäudehülle betrachten kann: Eine Wärmepumpe macht bei einem nicht energetisch sanierten Haus keinen Sinn. Fossile Systeme sollten schnellstmöglich in Deutschland nicht mehr neu installiert werden. Biomasseanlagen werden durch das Umweltbundesamtes aktuell kritisch gesehen. Solarthermie und Wärmepumpen sind, bei entsprechender Dämmung, die Lösung.
Wie bekommen wir das hin? Brauchen wir eine Solarpflicht?
Baur: Unbedingt. Für Gewerbeflächen kommt die Pflicht. Aber die Frage ist, wie wir das in den aktuellen Bestand übertragen. Wir wollen den Flächenverbrauch so niedrig wie möglich halten und ihn am besten reduzieren, Neubauten verbrauchen wiederum Flächen. Dort mit entsprechenden Auflagen zu arbeiten, ist für Kommunen möglich, bei Bestandsgebäuden fehlt die rechtliche Grundlage.
Hauser: Dabei ist Fotovoltaik immer noch attraktiv, auch wenn die Preise für die Module derzeit steigen. Es gibt eine Vergütung für die Einspeisung von Fotovoltaik-Strom, außerdem zahlen die Betreibenden für Solarstrom, den sie selbst verbrauchen, kein Geld an den örtlichen Versorger.
Und wie könnten wir die komplexe Wärmeversorgung modernisieren?
Baur: Für die Wärmewende generell wäre eine verpflichtende Wärmeplanung und verpflichtende Klimamanager in den Kommunen sinnvoll, denn Privatpersonen können oft überfordert sein mit all den Fragen der Wärmeplanung. Hierzu möchte der Bund gesetzgeberisch tätig werden, Bund-Länder-Gespräche zu einer Wärmeplanung auf Ebene der Kommunen sind bereits geplant. Über unser Wärmekataster sind wir hier im Land darauf gut vorbereitet.