Die Pakete sind beeindruckend. Minister Robert Habeck macht massiv Druck bei der Energiewende, Widersprüchlichkeiten inbegriffen. Aber Russlands Krieg und die Klima-Krise fordern „doppelte Dringlichkeit".
Das Embargo hat den beabsichtigten Schock-Effekt erreicht. „Der Glaube, dass Öl stets preisgünstig zur Verfügung steht, ist erschüttert. Es herrscht Unbehagen, Angst macht sich breit, dass bald die Lichter ausgehen … Die Industrienationen versuchen, Öl einzusparen und neue Energiequellen (Wind-, Solar-, Atomstrom) zu erschließen". Klingt wie eine Zustandsbeschreibung im Frühjahr 2022, ist aber eine Szene aus dem Herbst 1973, beschrieben in einer Dokumentation über die Zeit der großen ersten Ölkrise. Arabische Länder hatten die Ölförderung drastisch zurückgefahren und ein Embargo verhängt. Es waren die Sonntage mit leeren Autobahnen. Fast, denn einige machten aus der Not der autofreien Sonntage ein Happening, obwohl eigentlich kaum einem so recht nach lustig zumute war. Die Industriestaaten hatten zum ersten Mal in drastischer Weise ihre Abhängigkeit von Energielieferanten zu spüren bekommen.
Im Frühjahr 2022 beschließt die EU ein (differenziertes) Einfuhrverbot von russischem Öl, und insbesondere Deutschland kämpft gegen die massive Abhängigkeit von Gaslieferungen aus einem Land, das mit dem Überfall auf die Ukraine einen völkerrechtswidrigen Krieg führt.
„Nationale Sicherheit"
Vergleiche, zumal historische, sind immer schwierig. In diesem Fall spannt sich aber ein großer Bogen in Sachen Energiepolitik über ein halbes Jahrhundert, an dessen vorläufigem Ende der grüne Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck in der arabischen Welt auf Energieeinkaufstour unterwegs ist – und zugleich ein „Osterpaket" vorlegt, das die „größte energiepolitische Gesetzesnovelle seit Jahrzehnten" darstellen soll.
Entscheidend dabei ist der Grundsatz, dass die Nutzung erneuerbarer Energien „im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient", betont der Minister. Das klingt nach grüner Politik pur. Aber nicht der lange Kampf um die Rettung des Klimas und damit die Einsicht in das Notwendige waren schlussendlich der Treiber, sondern der Überfall Russlands auf die Ukraine und in der Folge die zwingende Notwendigkeit, sich vom Import fossiler Energieträger unabhängig zu machen. Habeck spricht von einer „doppelten Dringlichkeit".
Einsparen und neue Energiequellen erschließen – das war auch das erklärte Ziel vor einem halben Jahrhundert, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Wind und Solar waren auch damals Thema, ebenso wie Atomstrom, den auch heute wieder einige trotz des bevorstehenden endgültigen Ausstiegs noch mal diskutiert haben wollen. Für den Grünen-Minister ist Letzteres natürlich kein Thema. Seine Ziele will er mit massivem und druckvollem Ausbau erneuerbarer Energien erreichen. War schon das „Osterpaket" ein „Beschleuniger" (Habeck), dann formuliert das „Sommerpaket", wie beschleunigt werden soll: schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, beispielsweise durch gerafftere Prüfungen, Digitalisierung und mehr Fachleute.
Die Reaktionen auf diesen forschen Vorstoß reichten von Begeisterung („Grüne Zeitenwende rast auf Überholspur"), über scharfe Kritik eines Bündnisses unter Führung des Bundesverbandes für Fledermauskunde bis zu Kommentaren wie „Habecks Ökostrom-Finte geht schief". Dass kein nennenswerter Verband, Initiative, Gruppierung ohne eigene Stellungnahme dazu auskam – und sowohl im Gesetzgebungsverfahren als auch der Umsetzung auskommen wird – zeigt, dass diesmal in der Tat ein umfassender Entwurf auf dem Tisch liegt, der den Namen auch verdient, im Gegensatz zum oft verwässerten Klein-Klein früherer Tage. Es ist halt „eine gigantische Aufgabe", meint Habeck in seiner Form von Bescheidenheit.
Dass diese Vorhaben mit einer Kampagne zum Energieeinsparen flankiert werden, ist folgerichtig. Gilt doch der unnötige und unbedachte Verbrauch als eine der bedeutendsten Energiereserven. Natürlich geht es dabei um den bewussteren Umgang mit Ressourcen insgesamt im privaten Bereich. In der Summe mag da einiges zusammenkommen, in diesem Fall ist aber die Frage des Bewusstseins im Umgang mit Energie viel entscheidender. Ob aber die Rechnung aufgeht, dass der, der Strom in den eigenen vier Wänden einspart, auch bereit ist, mit einem freiwilligen Tempolimit seinen Beitrag zu leisten, ist spekulativ.
Die Dimensionen der Einsparpotenziale hat die Welt-Energieagentur IEA kurz vor ihrem Kongress im Juni im dänischen Sonderborg noch einmal deutlich gemacht. Denn klar ist: Selbst wenn nun der Ausbau erneuerbarer Energie mit dem beabsichtigten Nachdruck umgesetzt würde, würde es bis 2035 nicht reichen können, auch nur den aktuellen Bedarf, geschweige denn den bis dahin prognostizierten zu decken.
EU-Energiekommissarin Kadri Simon rechnet die Dimensionen von Energieeffizienz vor. Abwärme von Kühlgeräten in Supermärkten nutzen, auf Baustellen elektrisch betriebene Maschinen einsetzen, in Kläranlagen Biogas gewinnen und viele weitere Maßnahmen, die auf der Liste der IEA stehen, umzusetzen, würde Investitionen von etwa 56 Milliarden Euro erfordern. Zum Vergleich: Die Rechnung der EU für Energieimporte liegt jährlich bei 300 Milliarden Euro.
„Öffentliches Interesse"
Die IEA selbst rechnet noch andere Beispiele vor: So würde beispielsweise die Senkung der Raumtemperatur in Europa um zwei Grad so viel Energie einsparen, wie durch die Pipeline Nordstream1 aus Russland nach Europa kommt. Ein europaweites Tempolimit von 10 km/h unter den derzeitigen Grenzen würde täglich so viel Öl sparen, wie die arabischen Staaten jetzt an zusätzlicher Förderung zugesagt haben (um das Einfuhrverbot von Öl aus Russland auszugleichen). Das mögen theoretische Rechenbeispiele sein, die aber die möglichen Dimensionen zeigen.
Ein Tempolimit steht nicht auf der Liste der Bundesregierung, stattdessen gab es den – umstrittenen – Versuch, explodierende Spritpreise staatlicherseits zu senken. Es ist ein offenkundiger, aber längst nicht der einzige Punkt, bei dem Widersprüchlichkeiten deutlich werden.
Um Russland sanktionieren zu können bei anderen Staaten mit fragwürdigen Menschenrechts- und Demokratieverständnissen einzukaufen, ist von unterschiedlichsten Seiten kritisiert worden. LNG-Terminals und der Einkauf von Fracking-Gas hat nicht nur Fridays for Future unter die Decke gebracht. Und dem Koalitionspartner FDP ist die Aktivität ohnehin suspekt. Dass die FDP nur unter Vorbehalt von Nachverhandlungen Habecks Pakete im ersten Schritt durchgewinkt hat, macht klar, dass die Widerstände und Bedenken der Vergangenheit noch weiter lange Schatten werfen. Die Paketentwürfe haben noch einen langen Weg durch die Beratungen vor sich.
Der entscheidende Knackpunkt bei dieser Energiewende ist, dass erneuerbare Energien zu einer „Frage der nationalen Sicherheit" werden. Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Was das Szenario einer existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel nicht bewirkt hat, würde durch Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nun befördert. Nicht vorrangig die klimaschutzpolitische, sondern die sicherheitspolitische Begründung würde die Umsetzung beschleunigen. Die Vorstellung mag einigen nicht ganz geheuer erscheinen. Am Ende gilt aber bei beiden Begründungen: Es muss jetzt mit großer Dynamik Fortschritte in der Energiewende geben. Aus objektiven Gründen sowieso. Es ist aber auch der Moment, bei dem deutlich mehr Menschen bereit sind, ein neues Tempo mit aufzunehmen und im Zweifel, wie Habeck es formuliert, „über den individuellen Betroffenheitsschatten zu springen". Was aber kein Freibrief dafür ist, jetzt all das durchziehen zu wollen, was bislang auf zähe Gegenwehr – nicht selten mit guten Begründungen – gestoßen ist.
Die eigentliche Kunst ist nicht die Vorlage eindrucksvoller Pakete, gleich zu welcher Jahreszeit, sondern die Durch- und Umsetzung. Die „gigantische Aufgabe" fängt jetzt erst an.