Das Saarland hat seit Beginn des Krieges in der Ukraine einmal mehr gezeigt, was gelebter Zusammenhalt heißt. Zugleich macht sich Verunsicherung breit, nicht nur wegen der spürbaren Folgen. Es gibt keine Gewissheiten mehr.
Vier Monate ist der Überfall Russlands auf die Ukraine nun her. Vier Monate, in denen Saarländerinnen und Saarländer immer wieder neu mit den unterschiedlichsten Aktionen und Initiativen ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk zeigen. Der Einfallsreichtum an Benefizaktionen ist offensichtlich unbegrenzt, viele haben damit schon fast eine Art Routine, andere organisieren so etwas zum ersten Mal. Auch nach über 120 Kriegstagen lässt die Motivation, sich zu engagieren, offenkundig nicht nach.
In vielen Schulen ist der Krieg nach wie vor ein beherrschendes Thema, im Unterricht und in der Regel auch deutlich nach außen sichtbar. Die Beschäftigung mit dem, was eigentlich für nicht mehr möglich gehalten wurde, prägt das Leben in fast allen Bereichen, in Schulen, Vereinen, Betrieben, Nachbarschaften und ganz privat.
Den Versuch, auch nur einen halbwegs guten Überblick über die solidarischen Aktivitäten zusammenzustellen, hat die Redaktion angesichts der großen Zahl und Vielfalt schnell aufgegeben. Auch den Versuch, herauszufinden, wie viel an Spenden durch all die Aktionen bislang schon zusammengekommen ist, vom Benefizlauf bis zum -konzert. Die Hilfe muss beträchtlich sein, aber wird nach Lage der Dinge auch noch auf lange Zeit dringend gebraucht.
Und das gilt ebenso für das, was professionelle Organisationen in diesem Bereich leisten, die oft ohne viel Aufhebens zu machen, in Krisen, Katastrophen und Kriegsgebieten ihre Arbeit tun, und natürlich auch vom ersten Tag in der Ukraine selbst und in den unmittelbaren Anrainerstaaten aktiv waren und sind, um vor allem Geflüchtete zu unterstützen.
Schon nach den ersten Kriegstagen und den Meldungen über eine große Zahl von Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, die gerade gnadenlos zerbombt und in einigen Regionen in Schutt und Asche gelegt wird, waren binnen weniger Tage alle Vorbereitungen getroffen, um auch eine größere Zahl an Kriegsflüchtlingen aufzunehmen.
Es zeigte sich aber, entsprechend Erfahrungen aus anderen Kriegen, dass die meisten Menschen zunächst in der unmittelbar regionalen Nähe Zuflucht suchen. Sie hatten vor dem völkerrechtswidrigen Krieg nicht die Absicht, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen, und hoffen auch jetzt noch, möglichst bald zurückkehren zu können. Auch wenn sie wissen, dass sie nichts mehr so wiederfinden werden, wie es war.
Die Entwicklung macht die Veröffentlichung des Innenministeriums deutlich, die monatlich herausgegeben wird: Für Januar und Februar wurden nur jeweils knapp über 100 Asylbewerberzugänge vermeldet, weiterhin wie in der Zeit zuvor hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan.
Im März, nach dem Überfall Russlands, wurden rund 4.200 Neuzugänge registriert, davon knapp 4.100 aus der Ukraine. Offenbar haben Vorbereitungen und Netzwerke gut funktioniert. Über 3.900 Menschen aus der Ukraine konnten auf Kommunen verteilt werden. Im Mai erreichten dann noch rund 1.700 Asylbewerber aus der Ukraine das Saarland, knapp 1.400 kamen in Kommunen unter.
Kreative Hilfe, wo immer es nötig ist
Die wirkliche Zahl der Ankommenden dürfte höher sein. Insgesamt hält sich die reine Zahl der Personen noch in einem überschaubaren Maß, die Herausforderungen sind dennoch keine geringen. Vor allem für Kommunen. Hier zeigt sich, dass vieles auch durch nachbarschaftliche Hilfe aufgefangen wird. Was zuweilen mit einiger Fantasie bewerkstelligt werden muss. Wer, um die Sprachbarrieren zumindest ansatzweise zu bewältigen, die Hilfe von Übersetzungsprogrammen auf seinem Smartphone in Anspruch nimmt, kann einiges erleben, von ziemlicher Irritation bis zu mittlerer Heiterkeit. Aber irgendwie funktioniert es dann am Ende eben doch, wie es im Saarland üblich ist, wenn Not am Mann – oder korrekter in diesen Fällen in aller Regel Frau und Kindern – ist.
Was die aktuelle Situation von früheren unterscheidet, ist unter anderem, dass die allermeisten, die jetzt Zuflucht suchen, im Grunde wieder in ihre Heimat zurück wollen, wenn das irgendwann wieder unter vertretbaren Bedingungen möglich sein sollte. Bis dahin aber heißt es, hier einigermaßen Fuß zu fassen. Das gilt erst recht für die Kinder. Die Sprache ist das eine, das andere ist der tägliche Kontakt mit Verwandten, Freunden, Bekannten in der Heimat. Ein Leben in ständiger Zerrissenheit.
Für viele gerade junge Menschen, auch Studierende und Wissenschaftler, heißt es, nach Möglichkeit ihr Studium, ihre Arbeit hier in irgendeiner Form fortsetzen zu können. Eine gleich mehrfache Herausforderung für die Hochschulen. Einerseits jetzt Angebote zu schaffen, das aber – ebenfalls im Gegensatz zu früheren Erfahrungen, auch mit dem Hintergrund, dass gut ausgebildete Menschen irgendwann beim Wiederaufbau ihrer Heimat zur Verfügung stehen. In früheren Fällen stand dahinter oft auch die Hoffnung, Menschen für die heimische Wirtschaft (oder Wissenschaft und Forschung) zu qualifizieren.
Es sind nur einige der Beispiele dafür, welche neuen Herausforderungen die Entwicklungen mit sich bringt. Auf die wirtschaftlichen Aspekte ausführlicher einzugehen, würde den Rahmen an dieser Stelle deutlich sprengen. Die Fragen der Energie und allem, was damit zusammenhängt, sind ausführlich im FORUM-Titelthema dargestellt.
Vier Monate mit täglichen Nachrichten, Schlagzeilen, Sondersendungen: Da könnte man eigentlich davon ausgehen, dass es einen ziemlich umfassenden Inromationsstand über die Lage gibt. Aber es fällt schwer, in der Vielzahl der aktuellen Informationen einen wirklichen größeren Überblick zu behalten. Das haben nicht nur Schülerinnen und Schüler erlebt, die einen von insgesamt vier Schultagen zu Gast am Europa-Institut waren. Dort beschäftigt man sich schon längst mit übergeordneten Fragen, die dieser Krieg ausgelöst hat. Für die Schülerinnen und Schüler hat der Blick auf die tieferen Zusammenhänge auch ihre Sicht auf die täglichen Schlagzeilen und die Ereignisse verändert.
Die unmittelbaren militärischen Auseinandersetzungen und Kämpfe mögen sich zwar derzeit „nur" entlang einer gut 1.000 Kilometer langen Frontlinie abspielen, die Folgen sind jedoch global.
Das gesamte internationale Gefüge, das schon länger in einem Prozess zwischen Auflösung und Neuorientieren war, scheint jetzt endgültig aus allen Fugen zu geraten. In Wissenschaft und Think Tanks wird nicht erst seit Kriegsausbruch intensiv an Ideen, Perspektiven und Möglichkeiten einer neuen Weltordnung gearbeitet. Auch das Europa-Institut an der Uni des Saarlandes ist intensiv mit diesen Fragestellungen beschäftigt. Ob überhaupt und wenn ja, wie sich eine neue Weltordnung zusammenfügen kann, mag derzeit keiner wirklich prognostizieren. Aber dass Europa nach den Erfahrungen, die jetzt in den gemeinsamen Antworten auf Russlands Überfall gemacht wurden, eine andere Rolle spielen wird als zuvor, ist anzunehmen.
Derzeit gehen Nato-Partner und Analysten allerdings erst einmal davon aus, dass dieser Krieg sich noch lange hinziehen wird. Die Folgen bleiben damit nur schwer vorhersehbar.