Er hat schon den FC Bayern trainiert, wurde mit Frankfurt Pokalsieger und coachte die Nationalelf des Heimatlandes seiner Eltern bei der WM: Nun soll Niko Kovac den VfL Wolfsburg nach dem Absturz im Vorjahr zurück nach Europa führen.
Wenn man auf dem Höhepunkt aufhören sollte, dann wäre Niko Kovac wohl schon lange kein Trainer mehr. Hätte man den neuen Coach des VfL Wolfsburg zu Beginn seiner Trainerkarriere gefragt, was er erreichen will, hätte er wahrscheinlich gesagt: Mein Nationalteam trainieren, den FC Bayern trainieren, eine WM erleben und Titel holen. Kovac war gerade einmal 46 und seit neun Jahren Trainer, da hatte er diese Liste vollständig abgearbeitet.
Siegesliste eigentlich schon abgearbeitet
Seine zweite Karriere begann der in Berlin als Sohn kroatischer Eltern geborene Kovac nach Profi-Jahren bei Hertha BSC, Bayer Leverkusen, dem Hamburger SV, dem FC Bayern und 2009 bei Red Bull Salzburg. Als Nachfolger von Adi Hütter übernahm er die Zweite Mannschaft. Im April 2011 wurde er nach der Beurlaubung von Huub Stevens kurz Co-Trainer der Profis, der neue Chefcoach Roger Schmidt übernahm ihn aber nicht. Ein halbes Jahr später übernahm er die U21 Kroatiens, für diese Nationalmannschaft hatte er sich schon als Spieler entschieden. Als Assistent an seiner Seite war schon bei dieser wie auf vielen Stationen und allen Cheftrainer-Posten danach: sein Bruder Robert. Im Oktober übernahm Kovac die kroatische A-Nationalmannschaft, führte sie noch zur WM in Brasilien und betreute sie dort. Im September 2015 wurde er beurlaubt. Er übernahm seinen ersten Job als Trainer in der Bundesliga und rettete Eintracht Frankfurt zunächst in der Relegation vor dem Abstieg, führte sie 2017 ins Pokalfinale und holte 2018 dann tatsächlich sensationell den Pott durch ein 3:1 im Finale gegen die Bayern. Die hatten ihn schon vorher als neuen Coach und Nachfolger von Jupp Heynckes verpflichtet. Im ersten Jahr gewann er das Double, nachdem Borussia Dortmund zwischenzeitlich schon neun Punkte Vorsprung in der Meisterschaft hatte. Er war somit der Erste nach Franz Beckenbauer, der mit den Bayern als Spieler und Trainer die beiden nationalen Titel holte. Doch vielleicht hatte er diesen Traumjob auch zu früh übernommen. Fakt ist: Im November 2019 wurde Kovac entlassen. Präsident UIi Hoeneß betonte nachher, dass man ein „prima Auskommen" mit Kovac habe: „Es gibt keine schmutzige Wäsche mit Niko."
Nicht wenige sagen jedoch, dass dieser hätte fordernder sein müssen. Er wurde zerrieben zwischen verschiedenen Polen, bekam kaum neue Spieler und beschwerte sich doch nie. Als er nun nach dem FC Bayern befragt wurde, bemühte sich Kovac, nicht zu negativ zu sprechen, ließ aber auch tief blicken. „Es gibt in München nur Schwarz und Weiß", sagte er im Sky-Interview: „Gott sei Dank muss ich mich damit nicht befassen." Zudem sagte er: „In diesem Verein wird niemals Ruhe herrschen. Und es wird immer irgendwen geben, der schuld ist." Man glaubt schon herauszuhören: Er findet es immer noch ein bisschen ungerecht, dass er es damals gewesen sein soll.
Bayern-Abgang sieht er wohl als ungerecht
Im Sommer 2020 ging Kovac nach Frankreich, genauer gesagt nach Monaco zur dortigen AS. Nach den Plätzen 17 und neun in den Vorjahren führte er das Team aus dem Fürstentum auf Rang drei und ins Pokalfinale. Im Winter musste er als Sechster aber schon wieder gehen – und kehrt nun in die Bundesliga zurück.
Wolfsburg war für Trainer aber zuletzt kein leichtes Pflaster. Nachdem Dieter Hecking im Herbst 2016 nach fast vier Jahren ging, blieb Valérien Ismaël vier Monate, Andries Jonker sieben, Martin Schmidt fünf, Mark van Bommel drei und Florian Kohfeldt acht. Bruno Labbadia schaffte anderthalb Jahre und die Europacup-Qualifikation, Oliver Glasner sogar zwei Jahre und den Sprung in die Champions League, doch beide überwarfen sich mit Sportchef Jörg Schmadtke und gingen. De facto suchten also in fünfeinhalb Jahren sieben Nachfolger Heckings am Mittellandkanal vergeblich ihr Glück.
Kovac ist der achte, und viele trauen ihm einiges zu. Die Mannschaft bietet schließlich auch einiges an Potenzial. Mit Koen Casteels einen starken Torhüter, viel Körperlichkeit durch die Abwehrspieler Sebastiaan Bornauw und Maxence Lacroix sowie Xaver Schlager im zentralen Mittelfeld. Neben Schlager gibt es mit Arbeitsbiene Maximilian Arnold, Yannick Gerhardt und Ridle Baku drei Spieler, die es schon mal in die Nationalmannschaft geschafft hatten. Im Sturm zudem mit A-Nationalspieler Lukas Nmecha, dem zuletzt enttäuschenden Luca Waldschmidt, dem erfahrenen Max Kruse und dem im Winter eingeschlagenen Jonas Wind verschiedene Spielertypen. Das sollte zumindest für den Kampf um Europa ausreichen. Da redet Kovac auch nicht drumherum. „Ich sehe dort sehr viel Potenzial. Die Mannschaft ist sehr viel besser als das, was sie diese Saison gespielt hat", sagt er: „Es muss vieles passen, aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Wölfe in der Lage sind, wieder international anzugreifen und sich für Europa zu qualifizieren."
Was ihnen in Wolfsburg Hoffnung auf dieses erfolgreiche Kapitel macht, ist das Wesen Kovaćs. Er gilt als harter, fleißiger Arbeiter, der das auch von seinen Spielern fordert. Aber auch als ein Spieler-Freund, der zumindest in Frankfurt die schweren Charaktere wunderbar moderierte. „Er steht für eine konsequente sowie erfolgsorientierte Arbeit, und ich bin überzeugt, dass die Mannschaft in den kommenden Jahren seine Handschrift tragen wird", sagte Schmadtke. Er habe nach den vielen kurzen Episoden einen Trainer finden wollen, „der uns langfristig entwickeln und nach vorne bringen kann".
Fitness soll wichtiger Punkt werden
Deshalb hat der VfL ihm einen Dreijahresvertrag gegeben. „Das ist ein Statement", sagt Kovac schmunzelnd. Dass es mit seiner Entscheidung „relativ fix gegangen" sei, lag aber nicht nur daran. Er freue sich, „zurück daheim" in der Bundesliga zu sein, sagt Kovac. Vor allem aber scheint ihm – möglicherweise auch wieder mit dem Erfahrungsschatz aus München – wichtig zu sein, dass er bei der Teamgestaltung durchaus ein prägendes Wort mitreden kann. „Als Trainer ist man nur so stark, wie man von seinen Vorgesetzten gemacht wird", sagt er: „Kann man mitreden, oder ist man immer nur ausführendes Organ? Ich wollte mitgenommen werden und Verantwortung übernehmen. Das wurde mir klipp und klar mit auf den Weg gegeben. Deshalb habe ich mich ohne lange zu überlegen für Wolfsburg entschieden." Angeblich war auch die Hertha an ihm dran, sein ausdrücklicher Herzensclub aus der Heimatstadt. Dafür, so Kovac, sei es aber „im Moment zu früh".
Wer in der Karriere so früh so weit oben eingestiegen ist, weiß, dass er nicht nur die FC Bayerns dieser Welt trainieren kann. Der will aber eine sofortige Perspektive Richtung Europa sehen. So wie er es in Monaco geschafft hat, soll er es nun in Wolfsburg schaffen. Nur noch nachhaltiger. Dass die Mannschaft im Vorjahr Probleme mit der Fitness und der Disziplin gehabt habe, „habe ich auch schon gehört", sagt er. Da will er zweifellos ansetzen: „Ich muss die Fähigkeit haben, 90 Minuten zu gehen. Wenn ich die nicht habe, fange ich an zu kalkulieren und spare mir den einen oder anderen Weg nach vorne oder hinten." Doch als Schleifer à la Felix Magath will er sich nicht kategorisieren lassen. „Fußball ist nicht nur Kondition", sagt Kovac: „Das ist ein wichtiger Punkt. Aber es gibt auch die Taktik, die Technik. Und wir müssen auch wieder über das Kollektiv kommen." Sein ehemaliger Arbeitgeber Frankfurt habe mit dem Europa-League-Triumph gezeigt, „dass man als Kollektiv Dinge erreichen kann, die man sonst niemals erreichen kann".
Bleibt die spannende Frage, wie viel Kovac mit Max Kruse anfangen kann. Der extrovertierte Stürmer wurde von Kohfeldt als enger Vertrauter im Winter geholt und offenbar mit einigen Sonderrechten ausgestattet. Obwohl die körperliche Fitness teilweise fraglich schien, lieferte Kruse durchaus ab. Kovac wird genau hinschauen, das ist klar, doch er macht die Tür für Kruse auch auf. Grundsätzlich sei er „durchaus bereit, mal ein Auge zuzudrücken und vielleicht auch zwei, wenn am Ende geliefert wird", sagt er. Und ergänzt lachend: „Wenn wir ohne zu trainieren immer gewinnen, dann machen wir das."