In den USA läuft ein gewagtes Experiment: Ein Biotechnologie-Konzern lässt gentechnisch veränderte Mücken frei, die sich mit wilden Insekten paaren sollen. Die Versprechungen sind groß – aber auch die Widerstände vor Ort.
Wenn Bryon Elliot auf Mückenjagd geht, lässt er die Chemikalien erst mal im Auto. Stattdessen greift der Schädlingsbekämpfer zu einem Kescher und einem Eimer, in dem Silberkärpflinge schwimmen. Behutsam setzt er die Fische in einem Regenüberlaufbecken aus. „Die sind sehr nützlich", sagt Elliot, „denn sie fressen Mückenlarven für ihr Leben gern."
Es ist Mittagszeit auf den Florida Keys, einer Inselgruppe am südlichsten Zipfel der USA. Selbst im Winter klettern die Temperaturen hier regelmäßig über 25 Grad. Die Luft ist warm und feucht – ein Urlaubsparadies, in dem Kokospalmen und Mangroven gedeihen, aber auch Insekten, die Krankheiten übertragen. Jeden Tag streift sich Bryon Elliot deshalb seinen weißen Pullover mit der Aufschrift „Mosquito Control" über, um nach Brutstätten der Plagegeister zu fahnden.
Mücken sind in Florida seit jeher ein Problem. Doch je näher die Menschen an die natürlichen Sumpflandschaften heranrücken, desto akuter wird eine gesundheitliche Gefahr: Die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti), eine invasive Spezies aus den Tropen, breitet sich aus. In den vergangenen Jahren kam es ihretwegen mehrfach zu Dengue- und Zikavirus-Ausbrüchen auf den Keys. Um das Problem zu lösen, haben sich die Behörden vor Ort auf ein gewagtes Experiment eingelassen: gentechnisch veränderte Mücken. Es ist der erste derartige Großversuch in den USA.
Insekte werden zunehmend immun gegen Insektizide
„In diesem Kampf brauchen wir jedes Werkzeug, das wir kriegen können", sagt Andrea Leal, die Direktorin des „Florida Keys Mosquito Control District" (FKMCD). Die staatliche Behörde ist für die Bekämpfung der Schädlinge zuständig. Auf der Inselgruppe arbeiten 70 Angestellte für das FKMCD. Sie gehen von Haus zu Haus, suchen nach Larven oder setzen Fische aus, so wie FKMCD-Mitarbeiter Bryon Elliot. Zusätzlich versprühen Helikopter und Flugzeuge tagtäglich Chemikalien. Das Ganze hat etwas von einer militärischen Operation, doch die Behörden-Krieger sind zunehmend in der Defensive: „Viele Mücken werden gegen die Insektizide resistent", sagt Andrea Leal. „Deshalb sind wir dankbar für jedes neue Mittel in unserem Arsenal."
Das neue Mittel ist – ebenfalls eine Mücke. Die Gelbfiebermücken des britischen Biotechnologiekonzerns Oxitec tragen zwei veränderte Gene in sich. Das Versprechen der Firma: Wenn sich die gentechnisch veränderten Männchen mit freilebenden Weibchen paaren, schlüpfen hinterher nur Männchen, die nicht stechen können. Auch diese geben ihre veränderten Gene weiter. So findet eine Art Geburtenkontrolle statt: Da nur männliche Mücken überleben, soll die Population schrittweise zurückgehen. Außerdem müsse sich niemand Sorgen machen, von gentechnisch veränderten Tieren attackiert zu werden – Männchen stechen nicht.
Im April 2021 stellte Oxitec auf den Inseln verteilt mehrere Boxen auf, in denen sich die gentechnisch veränderten Larven entwickelten. „Insgesamt wurden weniger als fünf Millionen Mücken freigelassen", erklärt Behördenleiterin Leal. „Wir hätten sogar eine Genehmigung für bis zu 750 Millionen gehabt." In einer nächsten Phase soll nun untersucht werden, ob sich die Gen-Mücken tatsächlich paaren. Dafür werden Fallen aufgestellt und die gefangenen Insekten gezählt. Um die Labormücken zu identifizieren, hat Oxitec ein weiteres Gen verändert: Werden sie mit einem bestimmten Licht angestrahlt, leuchten sie im Dunkeln. Laut Oxitec geht keinerlei Gefahr von ihnen aus.
Doch viele Einheimische sind sich da nicht so sicher. Neben dem Overseas Highway, der Hauptverkehrsstraße der Florida Keys, thront ein Plakat, das lokale Umweltverbände aufgestellt haben. Es zeigt eine riesige Mücke, die einer Frau ins Auge sticht. Bildunterschrift: „Gen-Mücken? Was kann da schon schiefgehen?" Das Motiv ist reißerisch, fasst aber die Sorgen der Projektgegner zusammen. „Bei solchen Experimenten gibt es keinen Raum für Fehler", sagt Ed Russo, der Präsident des Umweltverbands „Florida Keys Environmental Coalition". Wer wisse schon, wie sich die Gen-Mücken in der Nahrungskette auswirken?
Gesprüht wird trotzdem
Seit Jahren kämpfen Russo und sein Team gegen das Experiment, das sie für intransparent und gefährlich halten. „Ich habe nicht generell etwas gegen Gentechnik", sagt Russo. „Am Anfang war ich sogar richtig begeistert. Wir dachten, dass nun keine Chemikalien mehr eingesetzt werden müssen." Aber das habe sich als Trugschluss herausgestellt – immerhin würden die Aedes aegypti nur vier Prozent aller Mücken auf den Keys ausmachen. Gegen alle anderen Arten, so Russo, müssten weiterhin Insektizide versprüht werden (was das FKMCD bestätigt). Auch sei es noch völlig unklar, ob das Experiment mit den Gen-Mücken überhaupt von Erfolg gekrönt sein werde.
Die Aktivistin Mara Daly sieht sich als Versuchskaninchen von Oxitec. „Diese Firma hat Millionen investiert, um die Bevölkerung einzulullen", kritisiert die 49-Jährige, der ein Frisör-Salon in Key Largo gehört. In den vergangenen Jahren gingen Mitarbeitende von Oxitec von Tür zu Tür, um für das Projekt zu werben – oder, wie die Firma es ausdrückt: sachlich darüber zu informieren. Die Kampagne hatte Erfolg. Sowohl die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als auch das FKMCD stimmten am Ende zu. Gerade die EPA wurde während der Trump-Regierung häufig dafür kritisiert, zu wirtschaftsfreundlich zu agieren.
Zusätzlich zu den offiziellen Genehmigungen gab es auf den Florida Keys zwei rechtlich nicht bindende Volksabstimmungen. In der Stadt Key Haven – dem Ort, an dem die Mücken zuerst ausgesetzt werden sollten – stimmten 2016 bei einem Referendum zwei Drittel der Bevölkerung gegen das Projekt. Gewertet wurde aber am Ende nur die Abstimmung des gesamten Landkreises, in dem die Stadt liegt. Dort votierten 58 Prozent der Wählerinnen und Wähler für das Projekt. Oxitec behauptete hinterher: „Die Wähler (…) haben klar gesprochen."
Veränderte Gene leben in lokaler Population weiter
Aktivistinnen wie Mara Daly zweifeln an der bisherigen Bilanz des Konzerns: „Angeblich hat diese Technologie schon in Brasilien brillant funktioniert. Aber wenn man genaue Daten sehen möchte, halten sie sie mit Verweis auf das Geschäftsgeheimnis unter Verschluss." In Brasilien testet Oxitec seit 2013 seine Gen-Mücken. Eine Studie kam 2019 zu dem Schluss, dass die Insekten zwar tatsächlich dezimiert wurden, aber die veränderten Gene unbeabsichtigt in der lokalen Population fortlebten. Allerdings wurde die Studie später selbst zum Gegenstand einer Kontroverse. Das Fachblatt „Scientific Reports" distanzierte sich von den Aussagen der Forschenden, da diese nicht sauber gearbeitet hätten.
FKMCD-Chefin Andrea Leal bestätigt, dass sie für die Florida Keys ebenfalls nicht alle Daten kennt. Sie sieht das aber nicht als Problem an – die Biotechnologie-Branche stehe eben im starken Wettbewerb.
Andererseits: In der Vergangenheit gab es schon einige Heilsversprechen, wenn es um die Bekämpfung von Schädlingen ging. Doch oft hatten die vermeintlich eleganten Lösungen unerwartete Nebenwirkungen. Auf Hawaii wurden Ende des 19. Jahrhunderts Mungos ausgesetzt, um Ratten auszurotten. Da die Mungos, anders als Ratten, aber tagaktiv sind, vermehrten sich beide Arten – und gelten noch heute als Plage. In den 1940er-Jahren wurde das Insektizid DDT als Wundermittel gepriesen, unter anderem gegen Malaria-Mücken. Erst später stellte sich heraus, dass es krebserregend und schwer abbaubar ist. Noch heute kann man es in Bodenproben in den USA nachweisen. Nicht zu vergessen: die aktuelle Debatte um Glyphosat und seine Rolle beim Insektensterben.
Die Befürworter der Gen-Mücken finden solche Vergleiche unangemessen. „Heute ist die Wissenschaft viel weiter", sagt Doug Mader, der als Tierarzt auf den Keys arbeitet. Mader wirbt seit Langem für das Projekt – „ohne einen Cent von Oxitec zu bekommen", wie er mehrfach betont. Er sorgt sich vor allem um Hunde: „Die Aedes aegypti übertragen Herzwürmer", sagt er. „Das ist eine sehr grausame Krankheit." Außerdem töteten die aktuell eingesetzten Chemikalien viele Schmetterlinge und andere nützliche Insekten. Deshalb unterstütze er Alternativen.
Die Aktionen der Gegner findet er unsachlich, allen voran das Horrorplakat am Overseas Highway. „Mücken stechen nicht in menschliche Augen", sagt Mader. „Da werden bewusst Ängste geschürt." Er selbst habe sich alle Studien zu den Gen-Mücken genau angesehen und keine Probleme entdeckt. Ähnlich argumentiert auch Oxitec. Im Rahmen der Zulassung habe man die Insekten sogar an Fische verfüttert, um ihre Wirkung auf die Nahrungskette zu überprüfen.
Die erste Phase des Projekts auf den Florida Keys, die mit dem Aufstellen der Larvenboxen im April 2021 ihren Anfang genommen hatte, ist nun abgeschlossen. Oxitec hat die Boxen nach eigenen Angaben wieder eingesammelt. Nun widmet sich das Biotechnologie-Unternehmen dem nächsten Ziel: der Anwendung im großen Stil. Das Projekt soll dieses Jahr fortgeführt werden; einen Antrag bei der Umweltbehörde hat Oxitec schon gestellt.
Wenn das Experiment auf den Keys erfolgreich verläuft, könnten die Gen-Mücken auch in anderen Bundesstaaten zugelassen werden. Auf lange Sicht ist sogar ein Einsatz in Europa denkbar, angepasst etwa auf die Asiatische Tigermücke, eine invasive Stechmückenart, die sich hierzulande verbreitet.
Dass Oxitec den aktuellen Feldversuch in Florida als Aushängeschild betrachtet, zeigt sein Geschäftsgebaren: Für den Einsatz seiner Gen-Mücken auf den Florida Keys stellt das Unternehmen keinen Cent in Rechnung. Das große Geld will man erst später machen – in den USA und der ganzen Welt.