Für die hoffnungsvoll gestartete Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey kommt es derzeit ziemlich dick: Ihre Partei geht auf Distanz, der Wohnungsmarkt in der wachsenden Stadt bricht ein, die Modernisierung kommt nicht voran.
Die SPD-Spitze in Berlin steht unter Druck. Beim letzten Landesparteitag haben die Genossen ihrer Chefin Franziska Giffey und deren rechter Hand, Raed Saleh, mit Wiederwahlquoten von 59 und 57 Prozent einen echten Dämpfer verpasst. Das war keine Aufbruchstimmung, das war Missmut. Dazu passt, dass die SPD nach der jüngsten Civey-Umfrage in Berlin auf den dritten Platz in der Wählergunst gefallen ist. Nur noch 16 Prozent würden SPD wählen, jeweils 21 Prozent die CDU und die Grünen, 13 Prozent die Linke, neun die AfD und sechs Prozent die FDP. Der Bundestrend fällt nicht ganz so krass aus für die SPD, doch da bekäme sie laut Infratest Dimap (Anfang Juni) auch nur 21 Prozent (gleichauf mit den Grünen), während die CDU auf 27 Prozent Zustimmung kommt.
Vor knapp zwei Jahren, im November 2020, hatte Giffey, die sich damals anschickte, Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 zu werden, noch 89 Prozent Zustimmung erzielt. Der Sprung von der Ministerin zur Regierenden Bürgermeisterin schien zu klappen. Doch dieser Bonus ist weg, die Partei ist mit ihrer Arbeit – und wahrscheinlich auch mit sich selbst – nicht zufrieden.
In der Wählergunst nur noch auf Platz drei
Das liegt offensichtlich an drei verwickelten Berliner Problemen: dem Weiterbau der A 100, dem Umgang mit dem Volksentscheid zur Enteignung und daraus folgend die Frage, wie es mit dem Wohnen und Bauen in Berlin weitergehen soll.
Im März 2022 hat die Bundesregierung beschlossen, den Ausbau der A 100 voranzutreiben. Die Opposition im Bundestag wie im Berliner Abgeordnetenhaus befürwortet ihn. Im Berliner Senat hatte man sich weggeduckt: Es sah nach Aussitzen aus, denn die SPD-Basis und vor allem die Jusos sind strikt dagegen, Giffey hatte sich wie FDP und CDU für den Ausbau ausgesprochen. Vor 2026 – so der Koalitionsvertrag – wollte man sich nicht an den Planungen beteiligen.
Jetzt hat sich die Partei mit Mehrheit für einen Planungstopp zum Weiterbau der A 100 entschieden. Der fast fertige 16. Bauabschnitt sollte eigentlich in zwei Jahren freigegeben werden, teurer als geplant (218.000 Euro pro Meter), aber trotzdem nicht das Ende: Denn der Bund als Bauherr will auch einen 17. Abschnitt, die Verlängerung würde dann vom Südrand des Prenzlauer Bergs bis hinein in den Treptower Park reichen. Zwischen Grenzallee und Sonnenallee kann man das hellgraue Band schon erkennen, sauber ausgeschachtet und in Beton gegossen schlängelt es sich vorbei an der Großbaustelle des „Estrel"-Hotels.
Auch beim Umgang mit dem Volksentscheid zur Enteignung der großen Wohnungsunternehmen lässt sich die SPD-Führung nicht auf eine eindeutige Haltung ein. Egal, was der Parteitag beschließe, so Bausenator Andreas Geisel (SPD): „Wir können uns die Diskussion nicht ersparen, ob Enteignungen auch sinnvoll und wirtschaftlich sind." Damit hat er die Frage wieder für offen erklärt. Dagegen hat der Antrag der Juso-Vorsitzenden Franziska Drohsel eine klare Mehrheit auf dem Parteitag erhalten. Er besagt: Wenn die vom Senat eingesetzte Kommission die Enteignung für möglich hält, muss der Senat schnellstmöglich ein Enteignungsgesetz einbringen. Also keine neue Diskussion.
Diese Expertenkommission soll verhindern, dass wie beim Mietendeckel-Gesetz am Ende nur eine juristische Schlappe herauskommt. Was immer bei einer Abstimmung herauskommt, es muss juristisch hieb- und stichfest sein. Vorsitzende ist die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Ihr zur Seite stehen unter anderem der ehemalige Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger, drei Professoren der Humboldt-Universität und der Freien Universität, sowie drei Experten, die von der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen" benannt werden. Die Kommission soll dafür ein Jahr Zeit bekommen und dem Senat dann eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorlegen. Das heißt, der Bescheid der Kommission wird für das Frühjahr nächsten Jahres erwartet. Beim Volksentscheid am 26. September vergangenen Jahres hatten gut 59 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin gestimmt. Die Hoffnung ist, dass durch diese Vergesellschaftung gegen finanzielle Entschädigung der Anstieg der Mieten gestoppt oder gebremst werden kann.
Mieten steigen und Bauherren verzweifeln
Bauen, bauen, bauen – bis 2030, so das Ziel des Senats, sollen 200.000 neue Wohnungen entstehen, mehr als 20.000 jährlich – Chefinnensache. Wie das gehen soll, ist schleierhaft. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen betrug im vergangenen Jahr 16.000, zu wenig angesichts der anhaltenden Nachfrage. Auch Baugenehmigungen gibt es zu wenig. Und die Mieten steigen weiter ins Unbezahlbare. In Mitte und Kreuzberg-Friedrichshain ist der Markt zusammengebrochen. Berlin steht immer wieder vor der Grundfrage: Wie kann es gehen, dass sich immer mehr Menschen in der Hauptstadt ansiedeln und gleichzeitig alle möglichst bezahlbar leben? Die Bevölkerungsprognose 2011 bis 2030 des Berliner Senats sagt voraus: Eine Stadt so groß wie Chemnitz soll hinzukommen. Das wären 250.000 Menschen. Auch die 50.000 Geflüchteten aus der Ukraine verschärfen die Nachfrage.
Bauherren verzweifeln gegenwärtig jeden Tag, wenn sie auf ihre Baustelle kommen: Derzeit fehlt es an Material, die Lieferketten sind unterbrochen, die Preise steigen, eine Zinserhöhung ist in Sichtweite. Vor allem aber mangelt es an Arbeitskräften, an Facharbeitern wie an Ungelernten. Und als wäre das alles nicht genug, steht an vielen Orten, wo gebaut werden könnte, eine Bürgerinitiative auf, die das Projekt verhindern will. Und mit zum Teil aus guten Gründen: Gegen Versiegelung, für bessere Durchlüftung der Stadt. Auf absehbare Zeit lassen sich in diesem Sektor wohl keine Erfolge feiern. So steckt die SPD gleich in mehreren Schwierigkeiten: eine neue Autobahn, der Volksentscheid zur Enteignung und die Schaffung von Wohnraum. Oben drauf packen die Berliner die Frage nach dem versprochenen Modernisierungsschub, der die ineffektive Verwaltung endlich auf Trab bringen soll.