Wenn Luise Lähnemann und Leopold Altenburg als „Gogo" und „Leofino" unterwegs sind, ist der Spaß nicht weit. Die beiden Profi-Clowns vom Verein Rote Nasen Deutschland bringen Freude zu kranken Menschen.
Man kann nicht sagen, um welche Tageszeit es sich handelt. Vor dem großen Fenster ist der Vorhang halb zugezogen, am Fußende des Bettes läuft leise der Fernseher, an den Wänden des geräumigen Zimmers hängen gerahmte Bilder, dazwischen, etwas kleiner, die Fotos von Angehörigen. Im Bett liegt ein alter Mann, die Augen halb geschlossen, zugedeckt bis zur Brust, es sieht fast aus, als schlafe er, mit seinen Gedanken weit weg. Er ist einer von 125 Bewohnern im Haus Angerhof, einem Alten- und Pflegeheim in Glienicke/Nordbahn (Brandenburg), unmittelbar an der Berliner Stadtgrenze gelegen. Über die langen Flure in der dritten Etage, die den Demenzkranken vorbehalten ist, laufen eine kleine Frau und ein großer Mann, beide verkleidet als Clown, auf ihrer Brust jeweils ein Button mit ihren Namen. Die fallen auf mit ihrem Kopfschmuck, bunten Blütenblättern aus Krepppapier, dem roten Kleid mit weißen Punkten, der grünen Latzhose und mit der Gitarre vor der Brust. „GoGo" nennt sich die 45-jährige Luise Lähnemann, „Leofino" der 51-jährige Leopold Altenburg. Beides sind Künstler, ausgebildete TV- und Theater-Schauspieler, also Profis, keine Freizeit-Faxenmacher.
Behutsam klopfen sie jetzt an die Zimmertür eines alten Mannes, fragen höflich, ob sie hereinkommen dürfen, sie schlüpfen hinein, fast auf Zehenspitzen, und dann stehen sie an seinem Bett, stellen sich als „GoGo" und „Leofino" freundlich vor und singen ihm gemeinsam ein Lied vom Frühling. Er dreht seinen kahlen, kantigen Kopf zu ihnen, er hört, rollt ein wenig mit den Augen, seine Lippen bleiben verschlossen. Jetzt spricht ihn „Leofino" mit seinem Namen an. Der Sohn des Bewohners habe ihm verraten, dass sein Vater besonders gern Rock’n’Roll-Musik höre und „GoGo" zwitschert dazwischen, ob er denn Elvis Presley kenne, den mit dem Hüftschwung? Und nun spielen sie einen der bekannten Elvis-Hits und „GoGo" schwingt dazu die Hüften, dreht sich im Kreis, macht kleine Tanzschritte und das gepunktete Kleid schwingt mit im Takt von „Leofinos" Gitarrenschlägen. Unter der Bettdecke bewegt sich plötzlich eine Hand des alten Mannes, er öffnet den Mund, bewegt seinen Kopf hin und her und lächelt. Eine bekannte Melodie dringt in seine Erinnerung, etwas Schönes aus seiner vergangenen Welt, die in seinem Alltag im dritten Stock schon vollkommen vergessen schien. Die beiden Clowns verabschieden sich mit freundlichen, aufmunternden Worten, der Mann sieht ihnen hinterher, fast strahlend.
Seit Mai 2020 finden diese Clownsvisiten von Künstlern der Rote Nasen Deutschland einmal im Monat im Haus Angerhof statt, die Initiative ging von der Einrichtung aus, und demnächst will man die Zahl dieser außergewöhnlichen Besuche verdoppeln. Hier schätzen die Heimleitung und der weit überwiegende Teil des Pflegepersonals den Einsatz der Roten Nasen, weil die Clowns Leichtigkeit und Frohsinn in den oft monotonen Tagesablauf der Pflegebedürftigen bringen. Aber bislang haben nur wenige Krankenkassen wie die BKK das Engagement der Roten Nasen als sinnvolle therapeutische Präventionsmaßnahmen erkannt und gefördert, hier bleibt vieles noch zu tun. Und auch die Arbeit des Personals ist schwer, psychisch belastend und die Gesellschaft zollt diesem Beruf noch immer nicht die Anerkennung, die jeder der Pfleger längst verdient. Umso mehr ist Humor ein guter Weg, die Arbeit zu erleichtern.
Luise Lähnemann alias „GoGo", 1976 in Lüneburg geboren und als Jüngste mit ihren älteren zwei Schwestern nach dem Umzug der Eltern in Franken aufgewachsen, wusste schon im Alter von zwölf Jahren, dass sie Schauspielerin werden wollte. Ist ihr die Heiterkeit angeboren? Sie lacht viel, wenn sie auf ihre Jugend zurückblickt, denn vielleicht gab es ja schon sehr früh klare Hinweise auf das, was sie gern wollte und wofür sie mehr als Talent besitzt. In einem Sketch, den die zweite Klasse einübt, übernimmt sie die Rolle des doofen Cowboys, der nicht rechnen kann. Sie senkt die Stimme und spielt den Deppen so überzeugend, dass die Zuschauer vor Lachen am Boden liegen. Das macht ihr Spaß, und sie spürt, dass sie mit Humor beschenkt ist und andere daran teilhaben lassen kann. Mit 16 belegt sie erste Schauspielkurse, das ist nun kein Spleen mehr, der sich schon auswächst. Ihre Eltern unterstützen sie, keine Nörgelei über die wahrscheinlich brotlose Kunst, kein Druck, Luise von einer fixen Idee abzubringen. Unter einer Bedingung: Abitur sollte doch schon sein.
Zusammenarbeit mit dem Personal
Noch zweifelt sie selbst ein wenig. Will sie es wirklich? Gibt es nichts Interessanteres, vielleicht ein Psychologiestudium oder eine Ausbildung als Goldschmied? Sie geht zur Berufsberatung und gerät an einen klugen Mann. „Wenn Sie nichts lieber wollen als das, dann machen Sie das doch!", sagt der Berater. Mit 18 Jahren soll es nun kein Zögern mehr geben. Luise besucht eine Sommertheaterschule in Konstanz, hospitiert an Schauspielhäusern, aber sie fällt durch eine erste Aufnahmeprüfung, weil sie zu naiv war. Hingehen und einfach mal vorsprechen, so wird’s nicht gehen, sie holt sich Rat und nimmt Schauspielunterricht, bevor sie es ein zweites Mal versucht. Die Theaterschule in Zürich nimmt sie dann. Danach ist sie eine richtige, gut ausgebildete, professionelle Schauspielerin. Berühmt und reich wird sie nicht. Zwischen den einzelnen Engagements (von festen oder längeren Verträgen kann nicht die Rede sein) fällt Luise – wie so viele andere Schauspieler auch – in ein Loch. Wie soll sie überhaupt Geld verdienen? Muss sie kellnern, da sie nie genug verdient hat, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben? Sie sucht sich eine Künstleragentur, mit Fotos und Vita präsentiert sie sich im Internet, und dann fährt sie sogar auf eigene Faust in die USA, um zu lernen, wie sich dort Schauspieler für TV- und Filmproduktionen präsentieren. Wieder in Deutschland kommen immer mal wieder ein paar Drehtage zusammen, sie bekommt eine Rolle im „Polizeiruf 110", aber es reicht nicht. Eine neue Perspektive, andere Möglichkeiten müssen her. Eher zufällig hört sie von den Roten Nasen-Clowns und hier passt auf einmal so vieles zusammen: Sie kann benachteiligten Menschen Freude und Trost spenden, sie wird wieder öfter schauspielern, sie kann ein wenig Geld dazu verdienen. Und sie hat Glück. In einem Workshop der Roten Nasen ist noch ein Platz frei, hier wird sie für diese besonderen Engagements weitergebildet. Dazu gehören medizinische und psychologische Kenntnisse, die enge Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal der Einrichtungen und die Einhaltung einer Verschwiegenheitsklausel. Wissen, mit wem sie es zu tun hat, lernen, wie sie die Bewohner in den Heimen ansprechen sollte, nur so kann es gehen. „Leofino" und „Gogo" gehen weiter über den Flur im dritten Stock, sie klopfen an die Türen, einige der alten Menschen sind nicht da. Eine ältere Dame verfolgt argwöhnisch den Rundgang der beiden Clowns, um sie dann direkt zu fragen, ob die Clowns nicht wüssten, wer ihre Kinder gestohlen habe? Sie will nichts vorgesungen bekommen, sie lässt „Leofino" und „Gogo" auch nicht in ihr Zimmer, aber sie muss wissen: Wer hat meine Kinder gestohlen? „Leofino" verspricht mit beruhigender Stimme: „Wir kümmern uns darum. Versprochen!" Die alte Dame ist sichtlich erleichtert und entspannt.
Wer an einen Clown denkt, hat meist ein festes Bild im Kopf. Der Clown ist fast immer laut, täppisch, manchmal aufdringlich und derbe, er bespaßt Kinder und will Applaus. „Gogo" möchte dieses Bild gerade für sich und ihre Schauspielerkollegen beim Einsatz in Pflege- und Altenheimen mit Demenzpatienten dringend korrigieren. „Wir wollen hier nicht glänzen und Beifall bekommen, wir wollen Begegnung schaffen und die Atmosphäre verändern." Das meint sie ganz ernst. Bei einer anderen Bewohnerin stellen sich „Gogo" und „Leofino" als Frühlingsboten vor. Dann singen sie ein Vogellied. Es ist nicht zu erkennen, was von all dem die alte Dame erreicht. Ihr Blick verfolgt diesen Aufzug, aber ihre Mimik bleibt unbewegt. Die beiden Clowns wissen, dass alte Menschen anders sehen und anders hören als Kinder. Sie hören auf zu singen und suchen den Augenkontakt. Dann beugt sich „Gogo" langsam sprechend über das Bett der alten Dame und zaubert hinter ihrem Rücken einen leichten, schön geschwungenen Spielzeugvogel hervor. Auf ihrer Fingerspitze wippt der Vogel hin und her und kommt dem Gesicht der Bewohnerin immer näher. Ein Ausdruck des Erkennens und der Freude huscht über ihr Gesicht, sie streckt ihre Hand dem Vogel entgegen. „ Wir machen hier nicht nur einfach Quatsch." sagt „Gogo". „Wir bauen Brücken zueinander."