Nach einer überragenden Saison beim SC Freiburg ist Nico Schlotterbeck nun zu Borussia Dortmund gewechselt. In der Nationalmannschaft kann er sich berechtigte Hoffnungen auf einen Stammplatz machen. Sein Aufstieg begann jedoch so richtig bei Union Berlin.
Hansi Flick ist es gegenüber seinen Trainerkollegen aus der Bundesliga vorbehalten, sich über einzelne Spieler überschwänglich positiv zu äußern. Zum einen, weil er eben der Bundestrainer ist, zum anderen, weil er von den besten Spielern Deutschlands einfach erwartet, dass sie mit Kritik genauso umgehen wie mit Lobeshymnen. Deshalb spricht er auch in den höchsten Tönen von Nico Schlotterbeck. Denn der gehört mittlerweile zu den Topspielern in seiner Heimat. So sprach Flick kurz vor dem Pokalfinale zwischen RB Leipzig und SC Freiburg ungeniert von einer „sehr guten Entwicklung", die Nico Schlotterbeck in den vergangenen Monaten genommen habe. Der 22-Jährige sei ein Spieler, der „sehr selbstbewusst ist, und auch mit dem Ball weiß, was er zu tun hat". Am Beispiel Schlotterbeck zeige sich überdies, so Flick weiter, „was der SC Freiburg und Christian Streich für eine gute Arbeit machen".
Schon früh ein Flickkandidat
Diese Analyse greift jedoch ein wenig zu kurz. Denn den größten Entwicklungsschritt machte Schlotterbeck bei Union Berlin. Ein Nationalspieler „made by Union Berlin", wie die „Berliner Zeitung" schreibt. Einer, der im Sommer 2020 als talentierter Lehrling im Rahmen eines Leihgeschäfts von Freiburg nach Köpenick gekommen war, unter der Führung von Coach Urs Fischer flugs zum wertvollen Stammspieler reifte, aber nach nur einem Jahr zum Leidwesen der Unioner vom Sportclub wieder zur Rückkehr verpflichtet wurde. Fischer erkannte das Potenzial sowie die Schwächen des jungen Innenverteidigers, schenkte ihm Vertrauen und ließ ihn – ungeachtet der Fehler, die ihm unterliefen – immer spielen. Unter Fischer und in Berlin verbesserte Schlotterbeck sein Passspiel und seinen Kopfball enorm. Hinzu kam, dass er während seiner Zeit in Berlin auch an seiner Athletik arbeitete. Bei freiwilligen Zusatzschichten im Kraftraum verbesserte er seine Physis – und nahm fast zwölf Kilogramm an Muskelmasse zu. So wurde aus dem unsicheren Kantonisten alsbald ein Stammspieler in der U21-Nationalmannschaft, mit der er im Juni 2021 den Europameistertitel gewann.
Alsbald wurde er aber auch ein Kandidat für Flick, der ihn Ende August 2021 erstmals für die DFB-Auswahl nominierte. Und da Schlotterbeck in Freiburg unter Streich, dessen Ansatz mit dem von Fischer durchaus vergleichbar ist, seine Leistungen halten konnte, war er alsbald auch ein Thema für die ganzen großen Clubs. Für den um einen Kader-Relaunch bemühten Bundesligisten Borussia Dortmund beispielsweise, der sich früh die Zusage des Emporkömmlings gesichert hatte und Anfang Mai dessen Verpflichtung verkünden durfte. Aber auch für den FC Bayern, der dem Vernehmen nach nichts unversucht gelassen hat, um Schlotterbeck doch noch zu einer Absage an die Dortmunder zu bewegen. 6,5 statt der 4,5 Millionen Euro, die Dortmund in Aussicht gestellt hatte, soll der deutsche Rekordmeister als Jahressalär geboten haben, doch Schlotterbeck fühlte sich schließlich seinem Jawort an die Borussia verpflichtet. Was Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung in Dortmund, sogleich zum Anlass für eine Stichelei Richtung München nahm. Er sagte: „Nico hat sich unter vielen interessierten Clubs keineswegs das wirtschaftlich beste Angebot herausgesucht." In Anbetracht der Tatsache, dass die Ablösesumme wohl tatsächlich gerade mal 20 Millionen Euro betragen hat, wie Insider berichteten, und in Anbetracht der Leistung, welche Schlotterbeck beim Pokalfinale auf den Platz brachte, darf der Transfer womöglich schon bald als Schnäppchen bezeichnet werden.
In Dortmund sind sie deshalb mehr als glücklich, dass er sich für den Verein entschieden hat. „Nico Schlotterbeck ist ein junger deutscher Nationalspieler, der eine großartige Entwicklung genommen hat. Sein Profil passt perfekt zum BVB", kommentierte der am Saisonende geschiedene Sportdirektor Michael Zorc. Sebastian Kehl sieht Parallelen zu sich selbst: „Nicos Weg erinnert mich an meinen eigenen, denn auch ich kam als junger Nationalspieler in seinem Alter aus Freiburg zum BVB. Ich hoffe, dass Dortmund für ihn genauso wie damals für mich zur neuen Heimat wird. Nico verfügt über riesiges Potenzial."
„War ein großer Rückschritt"
Schlotterbecks Weg startete gemeinsam mit seinem Bruder Keven bei der SG Weinstadt im Rems-Murr-Kreis. „Er war auf jeden Fall von Anfang an sehr, sehr, sehr leidenschaftlich dabei und ist immer vorneweg gerannt", erinnert sich Onkel Niels Schlotterbeck. Ausgebildet wurde Nico bei den Stuttgarter Kickers. Dort kam schon in jungen Jahren der erste Rückschlag: Die Kickers wollten ihn nicht mehr. „Ehrlich gesagt war es ein Schlag ins Gesicht", gibt Nico Schlotterbeck gegenüber den Kollegen von SWR Sport zu. „Natürlich war ich damals sehr frustriert." Darum wechselte Schlotterbeck mit 15 Jahren in die Jugendabteilung des VfR Aalen. „Das war ein großer Rückschritt", sagt sein Onkel. Doch Schlotterbeck kämpfte sich zurück, und schon ein Jahr später ging es zum großen Karlsruher SC und von dort zum noch größeren SC Freiburg. „Da wollte er es dann plötzlich allen zeigen und hat sich brutal entwickelt." Nach der Extrarunde bei Union startete er dann auch beim SC Freiburg durch. Auch im Rems-Murr-Kreis ist der Erfolg des verlorenen Sohnes natürlich nicht verborgen geblieben, schließlich trat Schlotterbeck bei der örtlichen SG Weinstadt zum ersten Mal gegen den Ball, bevor es ihn im Alter von acht Jahren hinaus in die weite Welt des Fußballs zog. Knapp 14 Jahre später habe die Nationalmannschafts-Berufung doch für ein „bisschen mehr Aufmerksamkeit in der Heimat" gesorgt, erzählt Schlotterbeck. „Auf einmal erkennen dich die Leute", berichtet er lächelnd. Trotz der neuen Lokalprominenz bleibt Schlotterbeck aber auf dem Boden und will weiterhin „der Mensch sein, der ich immer war".
„Perfekt für weiteren Weg"
Auch mit dem Blick auf seine sportliche Zukunft ist das sicher ein passendes Motto. Freiburg in allen Ehren – Borussia Dortmund ist ein anderes Kaliber. Den Innenverteidiger erwartet dort eine neue Konkurrenzsituation. Eine solche findet er auch in der Nationalmannschaft vor. Schlotterbeck steht nun vor dem nächsten Schritt in seiner Karriere. Für den richtigen und logischen Schritt hält es auch sein ehemaliger Förderer und Trainer Lukas Kwasniok, der mittlerweile den SC Paderborn trainiert. „Nico ist groß und kopfballstark, verfügt über einen hervorragenden Spielaufbau und ist auch torgefährlich. Vor allem aber ist Nico ein außergewöhnlicher Typ – auf und neben dem Platz", sagt Kwasniok gegenüber den Kollegen von „Sportbuzzer". Kwasniok sieht den Wechsel als „perfekt für seinen weiteren Weg". Kwasniok trainierte Schlotterbeck in der U17 und U19 des Karlsruher SC. 36 Spiele absolvierte der Neu-Nationalspieler unter dem aktuellen SCP-Coach, nur unter Freiburg-Trainer Christian Streich stand der 22-Jährige häufiger (53 mal) auf dem Platz.
Der Defensivspieler kam im Sommer 2015 über die Stuttgarter Kickers und den VfR Aalen nach Karlsruhe. „Bevor er einen Internatsplatz beim KSC bekam, ist Nico ein Jahr lang jeden Tag knapp 100 Kilometer zum Training gefahren", erinnert sich Kwasniok. Schlotterbeck investierte schon damals viel, um sich später einmal den Traum von Champions League, Weltmeisterschaften und Co. zu erfüllen.
Anfang September könnte er nun in der Königsklasse für Borussia Dortmund debütieren, im Winter folgt sehr wahrscheinlich die Teilnahme an der WM in Katar. „Es wäre vermessen, seine enorme fußballerische Entwicklung im Rückblick schon damals prognostiziert zu haben. Als Innenverteidiger mit einem linken Fuß brachte er bereits in der Jugend viel mit. Aber bis er zum Junioren-Nationalspieler und schließlich zum Nationalspieler reifte, brauchte es noch zahlreiche Schritte", meint Kwasniok.
Diese zahlreichen Schritte ist Schlotterbeck gegangen – jetzt folgen die nächsten.