Der Frauenfußball boomt europaweit, hierzulande aber noch nicht so richtig. Ein gutes Abschneiden Deutschlands bei der Europameisterschaft wäre deshalb wichtig. Sie findet vom 6. bis zum 31. Juli in England statt.
Es hat viele Jahre gedauert. So manch einer hatte schon gedacht, es würde gar nicht mehr passieren, nachdem sich selbst der Boom der Heim-WM 2011 schnell wieder verflüchtigt hatte. „Damals waren beim Eröffnungsspiel 70.000 Zuschauer. Heute kommen kaum mal 2.000", sagte Nationalmannschaftskapitänin Alexandra Popp schon vor drei Jahren: „Wir fragen uns manchmal schon, wo die Leute von damals hin sind."
Doch so im Kommen wie aktuell schien der Frauenfußball schon ewig nicht mehr. 13.000 Zuschauer sahen in der Münchener Allianz Arena das Viertelfinal-Hinspiel zwischen dem FC Bayern und Paris Saint-Germain. Die Rekordkulisse der Münchnerinnen von 7.300 wurde damit fast verdoppelt. 27.000 waren es dann beim Rückspiel im Pariser Prinzenpark. Und beim Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid – der Frauen wohlgemerkt – waren 91.533 Besucherinnen und Besucher im altehrwürdigen Camp Nou. Im Halbfinal-Hinspiel gegen Wolfsburg wurde dieser Weltrekord gar auf 91.648 erhöht.
Obwohl sein Team 1:5 verlor, forderte Trainer Tommy Stroot seine Spielerinnen auf, nicht sofort in die Kabine zu gehen, sondern die Atmosphäre „trotzdem aufzusaugen. Weil das eine Erfahrung ist, die uns unser ganzen Leben lang begleiten wird. Es wird immer ein Moment bleiben, an den wir uns zurückerinnern." Er glaube auch nicht, „dass es der letzte Rekord des FC Barcelona war, sondern dass vielleicht sogar in Zukunft weitere höhere Zahlen hier möglich sind. Und das ist einfach eine überragende Geschichte für den Frauenfußball insgesamt." Eine Woche später waren dann zumindest 22.057 Zuschauer dabei, als die Wölfinnen mit einem 2:0 noch das Bestmögliche taten, das Ergebnis umzubiegen.
22.057 Zuschauer waren dabei
In vielen Ländern Europas ist das schon länger ein Trend. In Deutschland weniger. Vor der WM 2019 fragte der Weltverband Fifa in einem Artikel auf der eigenen Homepage: „Boom im Frauenfußball – ohne Deutschland?" Und dann schied das DFB-Team bei dieser Weltmeisterschaft vor drei Jahren auch noch im Viertelfinale aus. Und verpasste damit auch die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio. 2016 in Rio hatten die deutschen Frauen noch Gold gewonnen.
Doch wie gesagt: Prinzipiell tut sich gerade viel im Frauen-Fußball. „Ich habe das Gefühl, im Moment kommt so ein positiver Hype auf", sagt Nationalspielerin Laura Freigang: „Ich glaube, dass grundsätzlich in letzter Zeit eine sehr positive Stimmung da ist. Das ist alles eine schöne Entwicklung. Ich glaube, dass auch wir davon profitieren." Aber noch nicht wie gewünscht. „Gefühlt sind volle Stadien in England und Spanien schon normaler geworden – auch in der Liga oder im Pokal. Wir laufen da aktuell etwas hinterher, weil der Prozess in anderen Ländern früher und konsequenter angestoßen wurde", sagt Nationalspielerin Giulia Gwinn im Magazin „Sports Illustrated". In anderen Ländern liege „der Fokus viel mehr auf der gemeinsamen Vermarktung mit den Männern. Da werden kaum Unterschiede gemacht. In Barcelona hängen zum Beispiel im Camp Nou Bilder von Männern und Frauen, da wird auch im Stadion der ganze Verein gelebt."
Grundsätzlich hat man gerade nach der Corona-Pause das Gefühl, dass viele Fans den Frauenfußball bei der Rückkehr in die Stadien als den ursprünglicheren Fußball entdecken und wertschätzen. Doch die entscheidende Frage ist nun: Ist die deutsche Mannschaft bei der EM von Mittwoch, 6. Juli, bis Sonntag, 31. Juli, in England so gut, dass sie auf diesen Zug aufspringen und auch in Deutschland für einen Boom sorgen kann?
Verhaltener Optimismus
„Ich traue der Mannschaft unheimlich viel zu. Das Ziel ist, dass wir ganz weit kommen bei dieser EM", sagt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg zwar. Doch obwohl Deutschland Rekord-Europameister ist, zählt es diesmal nicht zu den Favoriten. Diese sind laut Voss-Tecklenburg Spanien, Frankreich, die Niederlande, England, Schweden, Norwegen und Dänemark. Die Bundestrainerin nennt also gleich sieben Favoriten, davon mit Spanien und Dänemark zwei Gruppengegner. Das klingt dann doch sehr verhalten optimistisch. „Das kann ja vielleicht dazu führen, dass uns der eine oder andere unterschätzt", sagt Voss-Tecklenburg.
Der Grund für den Boom insgesamt liegt daran, dass vor allem die großen Vereine den Frauenfußball für sich entdeckt haben. In der K.-o.-Phase der Champions League standen mit den Bayern, PSG, Real, Barcelona, dem FC Arsenal, Juventus Turin, dem VfL Wolfsburg und Olympique Lyon ausschließlich Vereine, deren Herren-Mannschaften auch schon oft in der Königsklasse zu Gast waren.
Grundsätzlich ist dieser Trend auch in Deutschland durch Gründungen oder Übernahmen längst angekommen. In der abgelaufenen Bundesliga-Saison spielten mit Turbine Potsdam, der SGS Essen und dem SC Sand nur noch drei Clubs, die nicht großen Vereinen angegliedert sind. Sie belegten die Plätze vier, zehn und elf unter zwölf Teams. In der ersten Saison der eingleisigen Bundesliga 1997/98 spielten noch Vereine wie die SG Praunheim, Grün-Weiß Brauweiler, FC Eintracht Rheine, TuS Niederkirchen oder SC Klinge Seckach mit. Der namhafteste Club, der Hamburger SV, wurde damals Letzter. Inzwischen haben auch Borussia Dortmund oder der FC Schalke 04 Frauen-Mannschaften gegründet. Die mussten allerdings ganz unten anfangen und sind trotz Aufstiegen noch weit von der Bundesliga entfernt.
Und auch für die bereits im Frauenfußball etablierten Vereine ist die Sparte weiter ein Zuschuss-Geschäft. Laut offiziellem Report haben die zwölf Erstligisten im vergangenen Jahr 15 statt wie im Jahr zuvor 13 Millionen Euro erwirtschaftet. Ausgegeben haben sie aber 30 Millionen Euro. Was daran liegt, dass Vereine wie der FC Bayern, Wolfsburg oder die TSG Hoffenheim investieren, um mit den internationalen Topclubs Schritt zu halten und irgendwann auch von dem Boom zu profitieren. Für Siggi Dietrich, den Manager des Frauen-Teams von Eintracht Frankfurt und Vorsitzenden des DFB-Ausschusses Frauen-Bundesliga, ist das „ein Investment in die Zukunft", wie er dem „Deutschlandfunk" sagte: „Ich bin davon überzeugt, dass sich die Wirtschaftskraft der Frauen-Bundesliga in den nächsten drei Jahren mindestens verdoppelt." Dietrich zieht diese Überzeugung aus Sponsoren-Gesprächen – und aus der Ausschreibung der TV-Rechte für die Saison 2023/24.
„Ansetzungen sind komplexes Thema"
Doch das Fernsehen ist in Deutschland auch ein wunder Punkt. Jahrelang lief Frauenfußball etwas prominenter, doch die Quoten waren mau. Und so rutschte er immer mehr in die Nischenspalten. Was zum Teufelskreislauf wird, denn so entgeht den Frauen ihre wichtigste Werbefläche. Im April wurde das WM-Qualifikationsspiel in Bielefeld gegen Portugal am Samstag um 16.10 Uhr angepfiffen und übertragen und ging damit in direkte Konkurrenz zur Sky-Konferenz der Männer-Bundesliga. Stürmerin Svenja Huth stellte klar, dass sie sich andere Anstoßzeiten wünsche: „Grundsätzlich natürlich zur Primetime, der Wochentag ist erst mal zweitrangig. Und wir würden uns wünschen, dass die Anstoßzeiten so sind, dass sie nicht unbedingt mit der Männer-Bundesliga kollidieren."
Auch Voss-Tecklenburg hatte das schon einige Male moniert. Und sogar Ex-Weltmeisterin Nia Künzer als ARD-Expertin hatte öffentlich gesagt: „Wir können nicht immer nur darüber reden, dass sich der Frauenfußball weiterentwickeln muss. Da gehören ganz viele dazu, und da muss ich auch mal die ARD nennen: Nationalmannschaftsspiele gehören live übertragen – zu einer vernünftigen Uhrzeit." ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky erklärte daraufhin: „Ansetzungen sind ein komplexes Thema, bei dem verschiedene Interessen berücksichtigt werden müssen. Wir kommen nicht zu jedem Zeitpunkt ins Programm." Und ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann machte klar: „Wir haben den Auftrag, die Vielfalt des Sports zu zeigen. Nicht einzelne Sportarten zu fördern."
Auch das ist nachvollziehbar. Das heißt, der Frauen-Fußball muss sich selbst helfen. Beziehungsweise die Vereine, die sich irgendwann eine große Bühne und Rendite erhoffen. Einzelne Spiele in die großen Arenen zu legen und entsprechend zu bewerben, ist sicher ein Weg. Und gerade in der aktuellen Zeit wäre ein erfolgreiches Abschneiden bei der WM Gold wert. Zumal der Hype in England richtig groß ist und die Spielerinnen direkt spüren können, wie es sich anfühlt, große Spiele vor vollen Arenen zu bestreiten. „Wenn man mitbekommen hat, wie viele Karten schon verkauft sind, dann weiß man auch, dass da was Großes auf uns wartet", sagt Huth. Und Freigang ergänzt: „Das sind genau die Bühnen, die wir uns wünschen."