Bei dem Bau von Windrädern prallen verschiedene Interessen aufeinander, darunter auch Arten- und Klimaschutz. Katharina Stucke, Referentin für Energiewende und Naturschutz beim Nabu, erklärt, warum Naturschützende keine Windradgegner sind.
Im Oktober 2021 veröffentlichte der Bund-Länder-Kooperationsausschuss einen Bericht zum aktuellen Stand der erneuerbaren Energien in Deutschland. Das Ergebnis: Zahlreiche Hemmnisse, die den Ausbau der Windkraft in Deutschland blockieren. Darunter zu wenige rechtswirksam ausgewiesene Flächen und zu lange Planungsverfahren. Nicht zu vergessen seien außerdem der Arten- und Naturschutz, der den Ausbau der Windkraft laut Kritikerinnen und Kritikern oftmals absichtlich hartnäckig blockiere. Aber ist dem wirklich so?
Den Streit zwischen Naturschützenden und Mitgliedern der Windkraft-Lobby gibt es schon lange. In Ausgabe 13/2022 der „Zeit“ stritten sich Heide Naderer, Wissenschaftsmanagerin und Vorsitzende des Naturschutzbundes Deutschland e. V. (Nabu), und Thomas Griese, Vizechef des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW, darüber, was nun mehr Priorität habe: Klima- oder Artenschutz. Wirklich einig waren sich die beiden nur darin, dass erneuerbare Energien dringend ausgebaut werden müssen. Allerdings vertreten beide unterschiedliche Ansichten, wie und wo.
Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck würden andere Schutzgüter wie der Artenschutz nun der Windkraft aufgrund ihres vorrangigen Belanges untergeordnet. Trotzdem kündigten er und die Umweltministerin Steffi Lemke am 4. April an, die Bundesregierung habe entschieden, „die Klimakrise und die Krise des Artenaussterbens gemeinsam energisch anzupacken und für beide großen, existenziellen ökologischen Krisen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten“. Artenschutz und Windkraft seien damit zukünftig „Alliierte“ und keine Gegner.
Geplant sind einheitliche Listen für betroffene Vogelarten, die Vermeidungsmaßnahmen und die jeweiligen Abstände zu Windanlagen vorgeben, sowie hohe Standards für Artenschutz. Zudem will die Bundesregierung zum Populationsschutz gefährdeter Arten ein neues Hilfsprogramm ins Leben rufen, durch Mittel aus dem Bundeshaushalt und Mitfinanzierung vonseiten der Windenergiebetreiber. Der Wiederaufbau und Ersatz von Windenergieanlagen soll durch die Berücksichtigung von Vorbelastungen an Standorten und eine einfachere Prüfung von alternativen Standorten erleichtert werden. Außerdem dürfen jetzt durch eine Änderung des Bundesnaturschutzrechts auch Landschaftsschutzgebiete in die Suche nach Flächen zum Windenergieausbau eingeschlossen werden.
„Es gibt Konkurrenz bei der Flächennutzung“
Katharina Stucke kennt die Vorwürfe, die Naturschützerinnen und Naturschützern üblicherweise gemacht werden. „Alleine die Zahl von 45 Klagen in einem Zeitraum von zehn Jahren macht deutlich – auch wenn man sich ansieht, wie viele Genehmigungen es in diesem Zeitraum gab –, dass man von einer gezielten Verhinderungspolitik durch massive Klagen überhaupt nicht sprechen kann“, erklärt sie. Auch sie weist auf die Problematik der Flächenplanung hin und erklärt, viele Probleme würden gar nicht entstehen, wenn man Interessen vorab sorgfältig prüfen würde.
„Die Flächen haben wir. Wir haben eine gewisse Konkurrenz, was die Nutzung angeht. Und deshalb ist eine gute Flächenplanung so entscheidend, um all den Interessen den Raum geben zu können, der ihnen zusteht. Und dazu zählt auch der Naturschutz“, sagt Katharina Stucke und fügt hinzu: „Wir werben dafür, dass die Projektseite möglichst früh auf die Naturschutzverantwortlichen vor Ort zugeht, damit man hier frühzeitig in den Austausch kommt. Denn diese kennen ihre Natur, und dieses Wissen kann dabei helfen, Lösungen für mögliche Konflikte zwischen Naturschutz und Windplanung zu finden.“ In diesem Zusammenhang spricht sich die Naturschützerin außerdem dafür aus, die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei der Genehmigung von Windkraftanlagen standardmäßig durchzuführen. „Die Frage nach der Notwendigkeit der Umweltverträglichkeitsprüfung ist häufig ein Knackpunkt. Wird bei der Vorprüfung entschieden, dass keine vollständige Prüfung notwendig ist, sich später aber herausstellt, dass die Umweltauswirkungen vor Ort doch so gravierend sind, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig gewesen wäre, dann ist eine Genehmigung hinfällig oder die Prüfung muss nachgeholt werden“, erklärt sie.
Auf der sogenannten Roten Liste der „International Union for the Conservation of Nature and Natural Resources“ (IUCN) werden seit 1966 bedrohte Arten aufgelistet. Auch einzelne Staaten und Bundesländer geben Rote Listen heraus. Doch auch hier scheint Uneinigkeit zu bestehen. So habe die Bundesregierung laut Thomas Griese eine Liste von zehn tötungsgefährdeten Vogelarten, ganz vorne mit dabei der Rotmilan, während Heide Naderer erklärt, der Nabu orientiere sich am Helgoländer Papier der Vogelschutzwarten, das wesentlich mehr auflistet. Allgemein spricht man laut Katharina Stucke von windenergiesensiblen Arten, die aufgrund ihres Verhaltens sensibel auf den Bau oder den Betrieb von Windenergieanalagen reagieren. Viele könnten durch den Bau ihren Lebensraum verlieren oder aber durch Störgeräusche vertrieben werden. Nicht nur Vögel, sondern beispielsweise auch Fledermäuse sind gefährdet, durch Kollision mit den Anlagen verletzt oder sogar getötet zu werden. Die Druckunterschiede der sich bewegenden Rotorblätter können zu inneren Blutungen bei kleinen Säugetieren führen, dem „Barotrauma“. Der Rotmilan ist besonders in der Diskussion, weil er bei der Jagd auf den Boden blickt und nicht nach vorne, wodurch Kollisionen mit Windanlagen wahrscheinlicher werden.
Gleichzeitigkeit von Klima- und Naturkrise
Nach einer Auflistung der Vogelwarte Brandenburg vom 17. Juni ist von deutschlandweit insgesamt 695 durch Windräder zu Tode gekommenen Rotmilanen die Rede. Sie bilden gemeinsam mit dem Mäusebussard (743 tote Exemplare) die beiden häufigsten Schlagopfer. Dazu kämen laut Heide Naderer jährlich eine halbe Million Fledermäuse. Welche Lösungen gibt es also?
Neben der Ausweisung von möglichst naturverträglichen Flächen könnten neue Technologien helfen. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und Katharina Stucke kennen Antikollisionssysteme wie „IdentiFlight“ oder Tools wie „ProBat“ zum Schutz von Fledermäusen. Ersteres soll mittels Kameras und Radarsystemen das Umfeld einer Windenergieanlage scannen und durch Künstliche Intelligenz bestimmte Vögel frühzeitig erkennen. Dann kann die Anlage auf einen „Trudelbetrieb“ verlangsamt und Kollisionen vermieden werden. „ProBat“ dagegen soll mithilfe von komplexen Berechnungsmethoden für eine fledermausfreundliche Abschaltung von Windrädern sorgen. Laut BfN gibt es jedoch noch keine belastbaren Daten für den derzeitigen Einsatz dieser Technologien in Deutschland. Denn sie ist noch nicht soweit, um flächendeckend zur Anwendung zu kommen. Die Referentin für Energiewende und Naturschutz weiß warum: Die Systeme müssten erst einmal lernen, die Vögel rechtzeitig zu erkennen. Erkennt ein System einen gefährdeten Vogel, müssten die Rotorblätter der Windenergieanlage rechtzeitig verlangsamt werden, bevor der Vogel sich im Gefahrenbereich befinde. „Dazu braucht es – je nach Vogelart – einen Mindestabstand von 500 Metern. Das können einige Systeme noch nicht. Denn sie haben eine Erfassungsweite, die nicht ausreichen würde, damit die Anlage rechtzeitig abgeschaltet wird“, erklärt Stucke. Dazu käme, dass das Jagd- und Flugverhalten einer Vogelart nicht ohne Weiteres auf eine andere zu übertragen sei.
Komplexe Probleme erfordern komplexe Lösungen – das zeigt auch der Streit um die Windenergie. Für Katharina Stucke hängen Klima- und Biodiversitätskrise allerdings unmittelbar miteinander zusammen: „Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass wir, wenn wir jetzt wirklich alle dicken Bretter bohren und dabei die Gleichzeitigkeit von Klima- und Naturkrise berücksichtigen, unsere Klimaziele erreichen und die Natur schützen können. Das ist keine Frage des Wollens, sondern wir müssen diese Ziele mit Blick auf zukünftige Generationen erreichen.“