Ursprünglich nur in esoterischen Kreisen gepflegt, hat die bewusste und beeinflussende Steuerung des nächtlichen Kopfkinos inzwischen Eingang in die Traumforschung gefunden. Das sogenannte „luzide Träumen" kann man lernen.

Dass das sprichwörtliche Allgemeingut „Träume sind Schäume" längst als überholt angesehen werden kann, kann letztendlich nichts daran ändern, dass die moderne Schlaf- oder Traumforschung noch immer nicht genau erklären kann, warum im Schlaf eigentlich Bilder entstehen oder welche Funktion die Träume für Körper und Psyche haben. Dabei haben sich schon viele kluge Geister seit der griechischen Antike einen Kopf darüber gemacht. Auch Neurobiologen befassen sich bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts intensiv damit. Für Sigmund Freud waren Träume der „Königsweg zum Unbewussten", Hüter des Schlafes und Ausdruck verborgener Wünsche und Ängste. Freuds Schüler Carl Gustav Jung deutete Träume hingegen als Spiegel der Seele. Auch wenn Freud das Verdienst zugesprochen werden kann, Träume und Traumarbeit auf wissenschaftlichen Boden gestellt und gesellschaftsfähig gemacht zu haben, so gelten seine Deutungsansätze heute längst als überholt. Allerdings konnte sich die Forschung bislang nicht auf eine verbindliche Theorie-Alternative zur Funktion des Träumens einigen. Es gibt diverse Erklärungsversuche: Träume als Spiegelung von Alltagserfahrungen, als Zufallsprodukt des Schlafs, als Mittel zur Verarbeitung von Gefühlen oder auch als Instrument zur Erprobung heikler Lebensaufgaben.
Obwohl die Traumforschung diesbezüglich also noch etwas im Dunkeln tappt, haben sich spezialisierte Neurologen oder Psychologen längst auf den Weg gemacht zu erkunden, ob und mit welchen Maßnahmen sich die menschlichen Träume beeinflussen und bewusst steuern lassen. Dabei muss als grundlegende Vorbedingung bei einer betreffenden Person die Fähigkeit vorhanden sein, während des Schlafs ganz klar den Zustand des Träumens selbst erkennen zu können. Dafür hatte sich der Fachterminus „Klartraum" eingebürgert, wovon schon Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. erstmals berichtet hatte. Im Jahr 1913 hatte der niederländische Psychologe Frederik van Eeden in seinem Artikel „A Study of Dreams" für das Fachmagazin „Proceedings of the Society for Psychical Research" dann den Begriff „Lucid Dreaming" geprägt, der heute meist anstelle von „Klartraum" benutzt wird. Die Bedeutung des Begriffs „luzides Träumen" wurde über das Bewusstsein des Träumenden, sich in einem Traumzustand zu befinden, hinaus dank der entsprechenden Definition des aus dem saarländischen St. Wendel stammenden Paul Tholey (1937–1998) erweitert. Der Psychologe und Traumforscher galt neben dem amerikanischen Psychologen Stephen LaBerge (Jahrgang 1947) als weltweit führender Forscher und als absolute Koryphäe in Sachen luzides Träumen. Laut Tholey, der in St. Wendel und in Gronau bei Bad Vilbel lebte und dessen Forschungen von seinen beiden renommierten Schülern, dem Sportwissenschaftler und Traumforscher Prof. Daniel Erlacher von der Universität Bern und der österreichischen Psychotherapeutin Dr. Brigitte Holzinger fortgeführt werden, hatte unter anderem folgendes seitdem maßgebliche Kriterium für luzides Träumen festgelegt: Die Träumenden sind sich bewusst darüber, dass sie gerade träumen. Die Träumenden können bewusste Entscheidungen innerhalb des Traumgeschehens treffen, dieses verstehen und interpretieren und dieses dadurch schließlich willentlich steuern. Während des Träumens ist das Bewusstsein klar und nicht verwirrt. Die Träumenden können sich während und auch nach dem Erwachen an das Traumgeschehen erinnern.
Selbstoptimierung im Traum ist laut einer Studie möglich
Spätestens an dieser Stelle könnte man natürlich die – eigentlich viel zu selten formulierte – ketzerische Frage stellen: Wozu ist luzides Träumen eigentlich gut? Hat diese angeblich von jedem durch Beherrschen gewisser Techniken erlernbare Fähigkeit wirklich einen persönlichen Nutzwert? Oder soll man besser ganz die Finger davon lassen und stattdessen doch lieber auf einen möglichst erholsamen Schlaf ohne aktives Eingreifen in das Traumgeschehen setzen? Die überzeugendsten Argumente für den Klartraum beziehungsweise das luzide Träumen neben dem vermeintlich inspirierenden und unterhaltsamen Wert von in Eigenregie gelenktem Kopfkino oder dem von den Psychologen erhofften besseren Verständnis des menschlichen Bewusstseins sind eigentlich immer die gleichen. Traumforscher versprechen sich einen hohen Nutzen davon zur Behandlung von immer wiederkehrenden Albträumen, Ängsten, Traumata oder Psychosen. Auch Betroffene, die an einer Schizophrenie leiden, könnten in leichten Phasen ihrer Krankheit das Klarträumen erlernen, um in akuten Phasen besser zwischen Realem und Irrealem unterscheiden zu können. Sogar Leistungssportler sollen von luziden Träumen profitieren können, weil das gezielte gedankliche Üben eines komplizierten motorischen Bewegungsablaufs im Klartraum-Zustand laut einer von Prof. Daniel Erlacher 2005 durchgeführten Studie möglich sein soll. Ein Lernen oder sogar eine Selbstoptimierung auch noch im Traum scheint daher möglich, weil es offenbar machbar ist, gewisse Sachverhalte, die während des Klartraums gedanklich bearbeitet wurden, auch im späteren Wachzustand abzurufen. Allerdings ist noch ungeklärt, welche Auswirkungen die Manipulation der Träume in der traumintensiven Rem-Phase, in der die Trauminhalte in der Regel sehr emotional sind – in der Non-Rem-Phase sind sie eher sachlicher Natur, weshalb man sich meist nicht daran erinnert – auf die Gesundheit und Erholsamkeit des Schlafes haben können.

Beim Klartraum oder beim luziden Träumen ist das Stirnhirn, der sogenannte präfrontale Kortex, deutlich aktiver als im gewöhnlichen Schlaf. Diese Hirnregion ist für die kritische Bewertung und Reflexion von Geschehnissen verantwortlich und schwingt als sogenannte Gammawellen in einem Frequenzband von um die 40 Hertz. Während man im normalen Schlaf also gar nicht dazu fähig ist, ein Traumerlebnis zu hinterfragen, ist dies im Klartraum-Zustand durchaus möglich. In einem Schlaflabor-Experiment an der Universität Göttingen konnte die Diplom-Psychologin Dr. Ursula Voss von der Frankfurter Goethe-Universität 2014 bei Probanden im Rem-Schlaf luzide Träume durch den Einsatz von auf Frequenzen von 40 Hertz eingestellten Elektroden an Stirn und Hinterkopf künstlich auslösen. Fast zwei Drittel der Probanden berichteten nach dem Aufwachen von einem Klartraum, bei mehreren Personen hatte sich offensichtlich ihr kritisches Bewusstsein in die Träume eingeschlichen. „Der Schlafende wird sich darüber bewusst, dass er träumt", so Dr. Ursula Voss, „während der Traum weiterläuft. Manchmal erlangt der Träumer dann sogar die Kontrolle über seinen Traum und schlägt etwa einen Angreifer in die Flucht." Laut Dr. Ursula Voss könnte die transkranielle, sprich durch den Schädel erfolgende Wechselstrom-Stimulation eine Erlösung werden, besonders für Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung, die häufig in wiederkehrenden Träumen an das fatale Erlebnis erinnert werden. „Unsere Ergebnisse demonstrieren erstmals einen veränderten Bewusstseinszustand durch induzierte Gamma-Schwingungen im Schlaf", so Dr. Ursula Voss.
Aber auch ohne technische Hilfsmittel sind Klarträume, denen Hollywood mit dem Science-Fiction-Thriller „Inception" im Jahr 2015 ein Leinwand-Denkmal gesetzt hat, gar nicht mal so selten. Laut einer Studie des Mannheimer Traumforschers Prof. Michael Schredl hatte etwa die Hälfte der von ihm Befragten mindestens einmal im Leben bewusst geträumt, jeder Fünfte gab an, dieses Phänomen häufiger registriert zu haben. Aber weniger als ein Prozent der Menschen haben Prof. Schredls Untersuchungen zufolge mehrmals pro Woche luzide Träume. Zu ähnlichen Ergebnissen waren britische Forschende in einer 2016 veröffentlichten Meta-Studie gekommen, rund ein Viertel aller Menschen träumen demnach mindestens einmal pro Monat luzide. Klarträumer „sind sich während des Schlafens darüber bewusst, dass sie träumen", so Dr. Brigitte Holzinger, die Leiterin des Wiener Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung, „sie können in ihrem Traum Entscheidungen treffen und ihn frei gestalten." Bei Experimenten in Schlaflabors hat sich die Praxis von Stephen LaBerge in Gestalt von mit den Probanden vor dem Einschlafen abgesprochenen Augensignalen zur Verifizierung eines Klartraum-Beginns durchgesetzt. In der Regel lassen sich dann genau diese Augenbewegungen von den Wissenschaftlern am schlafenden Körper feststellen, was auch Rückschlüsse auf das gleichzeitige Vorhandensein von Tiefschlaf und Bewusstsein zulässt.
„Mit Gelassenheit und ohne Zwang trainieren"
Jeder Mensch ist theoretisch dazu in der Lage, luzides Träumen zu erlernen. Es sind dafür keinerlei Vorerfahrungen oder natürliche Veranlagungen nötig. Kindern scheint das Klarträumen noch sehr leicht zu fallen, was mit den Jahren aber abnimmt. Wobei es unter den verschiedenen Techniken keine Königsdisziplin gibt. Man muss vielmehr individuell herausfinden, welche Methode am erfolgreichsten anschlägt. Als hilfreicher Einstieg sollte man versuchen, sich die eigenen Träume besser merken zu können. Das Führen eines Traum-Tagebuchs beispielsweise kann helfen, die flüchtigen Erinnerungen festzuhalten. Bei der sogenannten Dream Sense Memory handelt es sich um eine Technik, bei der es darum geht, nach dem Aufwachen den Inhalt des Traums noch einmal möglichst nachzuverfolgen. Sich dabei nicht nur die Bilder, sondern auch sämtliche sinnliche Eindrücke nochmals bewusst zu machen. Wer diese beiden Tipps einige Wochen lang umsetzt, soll relativ schnell einen Traum pro Nacht rekapitulieren können – kaum jemand schafft es, alle Träume einer Nacht zu behalten. „Wichtig ist es", so Dr. Brigitte Holzinger, „mit Gelassenheit und ohne Zwang zu trainieren".
Wissenschaftler der australischen University of Adelaide hatten 2017 in einem zweiwöchigen Experiment mit 169 Probanden die drei gebräuchlichsten Trauminduktionstechniken auf den Prüfstein gestellt, die allesamt zu den sogenannten DILD-Techniken („Dream Induced Lucid Dream") zählen. Bei diesen trauminduzierten Klarträumen wird sich der Träumende des Traums bewusst und kann ab diesem Zeitpunkt die Kontrolle über das Geschehen übernehmen. Das Experiment zeigte, dass die größten Erfolge bei einer Kombination aller drei Methoden erzielt werden konnten.

Am vergleichsweise schlechtesten schnitt der sogenannte Realitätstest ab. Bei dieser Übung stellt man sich schon tagsüber im Wachzustand immer wieder die Frage: Bin ich gerade wach oder träume ich? Die Idee dahinter ist, dass man sich an diese Routine so sehr gewöhnt, dass man sich auch im Traum die Frage stellen, beantworten und bei Erkennen des tatsächlichen Zustandes einen luziden Traum auslösen kann. Bei der zweiten Technik handelt es sich um die sogenannte Wake-Back-To-Bed-Methode, bei der man den Schlaf gezielt nach etwa fünf bis sechs Stunden unterbricht. Danach gilt es, eine kurze Zeit wach zu bleiben, um die mentale Aufmerksamkeit zu verbessern und dann gleich beim neuerlichen Einschlafen schneller in einen Zustand des Rem-Schlafes zu kommen, der für die Entstehung eines Klartraums besonders günstig ist. Die dritte Methode ist die sogenannte Mild-Technik, die auch als mnemonische Induktion von luziden Träumen („Mnemonic Induced Lucid Dream") bekannt ist. Auch bei dieser Technik wird der Schlaf nach fünf oder sechs Stunden unterbrochen, allerdings wird dann vor dem erneuten Einschlafen mantraähnlich ein Satz als Gedächtnisstütze aufgesagt: „Wenn ich das nächste Mal träume, werde ich mich daran erinnern, dass ich träume." Diese Technik war bei dem australischen Experiment zum Auslösen eines Klartraums am erfolgreichsten und wird gemeinhin als die vielversprechendste Klartraum-Induktionsmethode angesehen. Für Menschen, die unter Albträumen leiden, hat sich die sogenannte Imagery Rehersal Therapie am wirkungsvollsten erwiesen. Dabei wird ein Traumbericht verfasst und dieser an den bedrohlichen Stellen umgeschrieben oder zu einem Happy End abgewandelt. Durch das ständige Lesen dieses umgeschriebenen Traumberichts soll das Gehirn quasi auf diese neue Geschichte umgepolt werden und auch die Traumhandlung genauso ablaufen. Eher was für Profis oder Fortgeschrittenen ist die sogenannte Wild-Methode („Waking Induced Lucid Dream"), bei der man direkt aus der Einschlafphase in einen Klartraum gelangt.