Bernd Ladwig, Professor für Politische Theorie und Philosophie am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin, beschäftigt sich in seinem neuesten Buch mit Tierrechten. Im Interview spricht er über Rechte für Nutztiere, ein verfehltes Freiheitsverständnis und warum Tierversuche unmoralisch sind.
Herr Prof. Ladwig, welche Rechte sollten Nutztiere Ihrer Meinung nach bekommen?
Es hängt im Einzelnen davon ab, um welches Tier es sich handelt. Aber generell kann man sagen, dass diejenigen Tiere Rechte erhalten sollten, die etwas empfinden und erleben können und ein Interesse an Wohlbefinden haben. Das schließt dann auch Freiheiten zu bestimmten zuträglichen Aktivitäten ein. Soweit es für sie in irgendeiner Weise aussichtsreich ist, sollten sie ein Recht haben, weiterzuleben. Sofern sie sozial veranlagt sind, auch soziale Beziehungen pflegen können, sollten sie das Recht haben, in Formen zu leben, die zu ihren sozialen Veranlagungen auch passen. Sie sollten in einer Umgebung leben können, die ihre Sinnlichkeit anspricht, dass sie nicht so leben müssen, dass sie vor Langeweile oder sinnlicher Deprivation eingehen. Also alles Dinge, die letztlich dadurch verwehrt werden, dass Tiere als Ressourcen auf engem Raum gehalten werden, kein Sonnenlicht zu sehen bekommen, mit ihren Kindern keinen Umgang pflegen können, keine artgemäßen Gruppen bilden können. Das wären alles Verletzungen der Rechte.
Dürften wir denn Tiere überhaupt nutzen und schlachten?
Schlachten dürfte man meiner Meinung nach nur dann, wenn man mindestens zeigen kann, dass für andere etwas moralisch noch Wichtigeres auf dem Spiel steht. Denn immerhin lässt ein Tier sein eigenes und einziges Leben. Das muss also sehr streng gerechtfertigt werden können. Überall wo Tiere getötet werden, um ihr Fleisch zu verwerten oder weil sie keine rentablen Ei- oder Milchproduzenten mehr sind, ist das aber nicht der Fall. Da werden Tiere nicht nur gefangen gehalten, sondern auch ums Leben gebracht, damit Menschen zu bezahlbaren Preisen Produkte beziehen können, ohne die sie auch gut und gesund leben könnten. Hier scheint mir klar, dass den Tieren ein Unrecht geschieht. In einer Gesellschaft wie unserer, wo wir Tierprodukte nicht zwingend brauchen, um gut und gesund leben zu können, ist Tiernutzung nur dann gerechtfertigt, wenn die Tiere dabei ein anständiges Leben haben. Ich halte aus Sicht der Tiere faire und akzeptable Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens prinzipiell für möglich, aber nur unter sehr viel engeren Bedingungen als sie heute gelten.
Ein langsames Umdenken gibt es ja in unserem Land. Können mehr Rechte für Tiere irgendwann möglich sein?
Ja, wenn man nur auf die Bundesrepublik schaut, glaube ich das schon, weil es bestimmte Großtrends in der Gesellschaft gibt, die die Abkehr von Tierprodukten begünstigen. Es gibt auch einen zunehmenden Einfluss feministischer Werte, wenn man das so sagen kann. Was immer auffällt, ist, dass der Anteil der Frauen, die auf Tierprodukte verzichten, deutlich höher ist, als der Anteil der Männer. Fleischkonsum hat auch mit bestimmten überholten Vorstellungen von richtigem Mannsein zu tun. Diese Vorstellungen sind auf dem Rückzug. Ein weiterer Punkt ist, dass auch technologische Alternativen immer mehr zur Marktreife gedeihen, wie Fleisch aus dem Reagenzglas. Ich möchte noch hinzufügen, dass global gesehen, die Sache natürlich anders aussieht. Deutschland exportiert auch viel Fleisch, vor allem Schweinefleisch, und findet dafür Nachfragen, weil die kaufkräftigen Mittelklassen in anderen Teilen der Welt stärker werden und dort Fleisch als Konsumgut mit einem hohen Prestige gilt. Da steigt leider die Nachfrage nach Tierprodukten.
Die Politik bei uns im Land bewegt sich sehr langsam in Richtung artgerechte Haltung. Woran liegt das?
Was sicherlich eine Rolle spielt, ist ein verfehltes Freiheitsverständnis. Grundsätzlich ist es richtig, wenn man sagt, der Staat soll sich nicht unnötig in die Belange der Bürger einmischen. Wir legen Wert auf Selbstbestimmung und wehren Bevormundung vonseiten des Staates gern ab. Was man in diesem Fall aber sagen muss, ist, dass es nicht um moralisch unschuldige Entscheidungen und Handlungen geht, sondern um die, von denen für Tiere alles abhängt. Es geht ja um Leidzufügung und Tötung empfindsamer Lebewesen. Aber trotzdem glaube ich, dass viele Politiker Angst davor haben, als bevormundend, als Spaßbremsen, als übergriffig zu gelten. Wenn ich zum Beispiel an den Aufruf der Grünen vor ein paar Jahren denke, als sie in ihrem Wahlprogramm einen Veggie-Day hatten. Das war ja eine relativ moderate Vorstellung, aber es galt als Beleg, dass die Partei immer noch auf einem Verbots-Trip wäre. Ein Beispiel für das völlig verfehlte Freiheits-Argument. Dann kommt noch dazu, dass wir nicht im luftleeren Raum agieren, sondern Teil der EU sind. Es gelten bestimmte Freizügigkeits-Regeln auch für Waren, sodass auch auf völkerrechtlicher Ebene sich einiges ändern müsste. Sonst kann man immer das Argument bringen, dass die Produzenten dann ausweichen, und wir aus anderen Ländern Produkte bekommen, die wir hierzulande nicht mehr herstellen dürfen und wir uns dann wirtschaftlich selbst schädigen. Diese Art von Argument zieht natürlich auch immer.
Ein anderes Thema in Sachen Tierrechte sind invasive Tierversuche. Wie beurteilen Sie diese?
Wenn man einen Moment überlegt, welche Gründe für uns dafür sprechen, weshalb wir Versuche an Menschen auf gar keinen Fall zulassen, dann ist nicht ersichtlich, warum wir das Recht haben sollten, stattdessen Tiere als Stellvertreter für uns leiden zu lassen. Die einzige Rechtfertigung, die gegeben werden könnte, ist, dass es halt nur Tiere sind. Aber dass es Wesen einer anderen Art sind, die ein anderes Erbgut haben, ist ja nur eine biologische Tatsache. Daraus geht kein moralischer Rechtfertigungsgrund für eine derart eklatante Ungleichbehandlung hervor. Ich glaube, wenn man diese einfache Überlegung anstellt, kommt man nicht um den Gedanken herum, dass man solche Tierversuche auch ausschließen müsste. Weil sie einzelne Lebewesen schwer schädigen.
Es ist also fragwürdig, ob man andere Lebewesen derart benutzen und ausbeuten darf, nur weil sie uns unterlegen sind. Müssten Tiere im Grunde dann nicht sogar die gleichen Rechte haben wie Menschen? Denn im Grund sind wir ja auch nur Tiere.
Wir sind natürlich diejenigen Tiere, die sich Fragen dieser Art überhaupt stellen können. Wir sind moralfähige, normativ verantwortungsfähige Tiere. Trotzdem glaube ich, dass das kein Grund ist, wenn ein Tier leiden, aber moralisch nicht nachdenken kann, dass wir es dann moralisch nicht berücksichtigen müssen. Wenn ein Tier ähnlich moralisch erhebliche Interessen hat wie wir und wir sagen, diese Interessen schützen wir mit Menschenrechten, dann müssten wir analog die Interessen der Tiere mit Tierrechten schützen. So gesehen ist tatsächlich der moralische Stellenwert eines Lebewesens unabhängig davon, von welcher Art dieses Wesen ist. Wichtig sind dann die Interessen, die für dieses Lebewesen auf dem Spiel stehen. Trotzdem sage ich nicht, dass Tiere eine Gleichbehandlung in jeder Hinsicht erwarten dürfen. Menschen haben anspruchsvollere Fähigkeiten, die auch auf andere Weise verletzt werden können. Eingriffe in unsere Autonomie sind zum Beispiel etwas anderes als Eingriffe in die Bewegungsfreiheit von Tieren. Wenn wir echte moralische Konflikte haben, wenn zum Beispiel Leben gegen Leben steht, dann sollte man ein Tier opfern und nicht einen Menschen. Es geht auch um die allgemeine Achtung, die wir Menschen einander schulden. In einem Fall, wo ohnehin ein Leben verloren geht, sollten wir Angehörige unserer eigenen Art vorziehen. So ein Konfliktfall ist aber so gut wie nie gegeben, wenn Menschen sich herausnehmen, Tiere zu töten oder zu quälen.