Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Bündnis 90/Die Grünen) über die Verkehrswende, Inflation, Energiekrise und wie Politik Vertrauen schaffen könnte.
Herr Wesener, was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Herausforderungen, vor denen Berlin zurzeit steht?
Das sind die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und die anhaltende Corona-Pandemie. Wie anderswo in Deutschland und Europa treibt die Menschen in dieser Stadt zurzeit um, was diese beiden Krisen für ihre eigene wirtschaftliche Situation und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeuten. Hinzu kommt die dritte Menschheitskrise unserer Zeit: die Folgen des Klimawandels. Und natürlich bleiben in einer Metropole wie Berlin auch Themen wie bezahlbares Wohnen, die Verkehrswende und die Situation der Schulen ein Dauerbrenner.
Kürzlich wurde der Doppelhaushaltsplan verabschiedet. Inwiefern bietet er Lösungen für diese Probleme?
Ein Haushaltsplan allein löst kein Problem. Die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen sind das eine, etwas anderes, die Investitionen und Projekte dann auch wirklich umzusetzen. Hier müssen wir in Berlin schneller werden. Das Geld muss auch ausgegeben werden, wenn es die Lebensrealität der Berlinerinnen und Berliner positiv verändern soll. Der Landeshaushalt ist dafür eine sehr gute Grundlage.
Für was konkret werden die Mittel in diesem und nächstem Jahr bereitgestellt?
Das sind vor allem die oben genannten Bereiche: Bei den Verkehrsdienstleistungen von BVG und S-Bahn haben wir 400 Millionen Euro oben draufgelegt für einen besseren und schnelleren ÖPNV – von der Bestellung neuer moderner Wagen bis hin zur Taktverdichtung. Wir investieren weiter in den Schulbau und werden für rund zwei Milliarden Euro neue Schulen bauen, alte sanieren und instandhalten. Wir haben neben all diesen Ausgaben versucht, in herausfordernden Zeiten vorzusorgen. Deshalb haben wir eine sogenannte Resilienzrücklage von 750 Millionen Euro gebildet, um die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise abzufedern. Und es gibt eine Rücklage für steigende Energiekosten. Die treffen auch öffentliche Einrichtungen und die Grundversorgung.
Außerdem wollen wir gezielt denjenigen helfen, die aufgrund explodierender Gas- und Ölpreise in Existenznöte geraten. Diese Rücklage umfasst weitere 380 Millionen Euro.
Ein weiteres Problem dieser Stadt sind bezahlbare Mieten.
Ja. In Berlin gibt es nach wie vor insgesamt zu wenig Wohnraum, und vor allem zu wenig bezahlbaren. Wohnungspolitik bleibt ganz oben auf der Agenda. Deshalb ist der soziale Wohnungsbau mit anderthalb Milliarden Euro auch als einer der größten Posten im neuen Doppelhaushalt abgesichert.
Wie sieht da Ihr Lösungsansatz aus?
Die Kommunal- und Landespolitik muss sich insoweit ehrlich machen, als dass die ganz großen Hebel, gerade was den Mieterschutz im Bestand angeht, beim Bund und dem bundesdeutschen Mietrecht liegen. In der letzten Legislaturperiode gab es ja den Versuch, landesrechtlich einen Mietendeckel einzuziehen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht entscheiden: Das kann man machen, aber eben nicht die Länder selbst, sondern das ist alleine Bundesrecht. Insofern braucht es für eine effektive Begrenzung von Mieten weiterhin die große sozial-ökologische Mietenreform auf Bundesebene.
Was halten Sie von Franziska Giffeys Vorschlag, die Mieten an Einkommen koppeln?
Das kann einer von vielen Ansätzen sein. Bei den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften gibt es diese Regelung ja schon seit Längerem. Das Problem ist, dass eine solche Vereinbarung mit den privaten Vermietern nicht verbindlich ist. Hinzu kommt, dass eine praktische Umsetzung auf Berlins angespanntem Wohnungsmarkt schwierig wird. Wir müssen in der politischen Debatte vor allem aufhören, die eine Maßnahme gegen die andere auszuspielen. Es wird häufig so getan, als würde nur Neubau, nur Mieterschutz oder nur der Ankauf von Wohnungen richtig sein und alles andere falsch. Es braucht alles drei.
Sie plädieren für die Übergewinnsteuer. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür?
Was spricht eigentlich dagegen? Wie kann es sein, dass private wie öffentliche Haushalte erhebliche Mehrkosten schultern müssen und bestimmte Unternehmen gigantische Gewinne einfahren, ohne selbst dazu beigetragen zu haben? Wir reden hier ja über leistungslose Gewinne durch eine radikal veränderte Marktlage, nicht infolge von Innovationen oder sonstigen eigenen Kraftanstrengungen. Was Länder wie England, Frankreich, Italien oder die USA gemacht haben und was überall dort möglich ist, das sollte doch wohl auch in Deutschland kein Ding der Unmöglichkeit sein.
Nach der Corona-Krise haben wir jetzt eine neue Krise mit Krieg und Inflation. Zudem ist immer noch jeder fünfte Berliner arm. Könnte diese Dauerkrise nicht weiter zu Misstrauen in die Politik, wenn nicht gar zu sozialen Verwerfungen führen?
Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt ist in den vergangenen Jahren gut gewesen. Auch die aktuellen Konjunktur- und Steuerdaten lassen darauf hoffen, dass sich Berlin im Bundesländervergleich überdurchschnittlich positiv entwickelt. Aber die hohe Inflation trifft alle, und insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen. Auch die steigenden Zinsen sind eine Riesenherausforderung. Ich sehe kein Misstrauen gegen die Politik, ich sehe berechtigte Sorge. Denn mehr als zwei Jahre Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben natürlich auch finanzielle Auswirkungen: auf Privathaushalte, Gewerbetreibende, Unternehmen und auf die öffentliche Hand. Die Krisen haben uns bereits viel Geld gekostet, denken Sie an die vielen Milliarden für die Corona-Hilfen. Dass der Staat dafür Kredite aufgenommen hat, war richtig, aber diese Schulden müssen auch irgendwann zurückgezahlt werden. Wenn Politik glaubwürdig sein will, darf sie auch mit schlechten Nachrichten nicht hinterm Berg halten. Es ist eine Frage der Ehrlichkeit zu sagen, dass die öffentlichen Haushalte vor großen Belastungen stehen, wenn wir soziale Verwerfungen vermeiden und den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen wollen.
Womit wir bei den Stichworten Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit wären. Karl Lauterbach hat einmal sinngemäß gesagt, dass man von Politikern keine Ehrlichkeit erwarten dürfe. Wie sehen Sie das?
Menschen sind nicht fehlerfrei und können sich irren. Das beginnt mit einer falschen Zahl, die einem rausrutscht, und hört damit auf, dass man in seiner Wahrnehmung oder bei bestimmten Prognosen völlig falsch liegt. Was ist falsch an dem Eingeständnis: Da haben wir einen Fehler gemacht. Zumal echte Lösungen mitunter eben nicht so einfach, sondern meistens schwierig sind und Zeit brauchen. Mein Wunsch wäre, dass es der Politik besser gelingt, das zu erklären. Populismus schafft keine Lösungen.
Haben Sie ein politisches Vorbild?
Ich glaube, dass es in der Politik letztlich darum geht, den eigenen Weg zu finden. Man sollte immer wieder seine individuellen Überzeugungen mit dem abgleichen, was man mit seinem politischen Handeln wirklich tut und bewirkt. Gerade in einem Amt wie dem meinem. Ich habe sieben Jahre für Christian Ströbele gearbeitet. Von dem habe ich viel darüber gelernt, wie man Kompromisse machen kann, die in der Politik immer dazugehören, und sich am Ende dennoch treu bleibt.