Wer sich über zu wenige E-Ladestationen beklagt, ist noch nie mit einem Wasserstoff-Auto gefahren. Eine Testfahrt im Toyota Mirai, getragen von der Hoffnung, dass die Tankstellen funktionieren.

Es vergeht keine Minute, bis der erste Schaulustige kommt. Kein Wunder, denn die Zapfsäule zischt und gurgelt, als wären wir in einer Großküche. „Was für ein Schiff!", staunt ein älterer Herr, während Wasserstoff mit 700 bar in den Toyota Mirai gepresst wird. Wie sich herausstellt, interessiert sich der Senior weniger für die Technik als fürs Aussehen: „In so ’nem Auto fühlt man sich ja wie Christian Lindner auf dem Weg nach Sylt."
Tatsächlich ist der Toyota Mirai eine fast fünf Meter lange Limousine. Die Sitze sind weich und belüftet, die Scheiben getönt, der blaue Lack glänzt in der Sonne. Doch in Wahrheit ist es nicht das Aussehen, das dieses Fahrzeug zu etwas Besonderem macht. Unter der Motorhaube verbirgt sich eine Brennstoffzelle, die Wasserstoff in Strom umwandelt. Aus dem Auspuff kommen keine Abgase, sondern Wasserdampf. Den Namen „Mirai" hat der Hersteller deshalb ganz bewusst gewählt: Auf Japanisch bedeutet er Zukunft.
Noch ist der Mirai ein absoluter Exot. Laut Kraftfahrtbundesamt waren zum Stichtag am 1. April 2022 gerade einmal 1.426 Brennstoffzellen-Fahrzeuge in Deutschland zugelassen. Neu kaufen kann man außer dem Mirai derzeit nur noch einen SUV, den Hyundai Nexo. Alle anderen Hersteller haben sich aus der Nische zurückgezogen: zu teuer, zu aufwendig, zu wenig nachgefragt. Sind solche Modelle – und die damit verbundene Infrastruktur – also wirklich bereit für den Alltag? Oder gehören sie doch eher ins Reich der Zukunft?
Binnen vier Minuten komplett betankt

Ein kühler Juni-Tag in Bonn. An einer Shell-Tankstelle fülle ich den Mirai das erste Mal auf. Bevor es losgeht, muss man eine Tankkarte in ein Lesegerät stecken und eine Geheimzahl eingeben, fast wie beim Geldabheben. Danach die schwere Zapfpistole ins Auto stecken und auf „Start" drücken. Es knackt und zischt und blubbert – und nach vier Minuten ist alles vorbei. Schnelligkeit ist bei H2-Autos der große Vorteil – so sehen es zumindest die Befürworter dieser Technologie. Während aktuelle E-Autos an der Schnellladesäule locker eine halbe Stunde brauchen, um ihre Akkus zu füllen, bewegen sich Wasserstoff-Modelle eher auf Benziner-Niveau.
Außerdem kommt man weit. Meine 1.000 Kilometer lange Teststrecke von Bonn zur Ostsee sollte theoretisch mit nur einem Tankstopp machbar sein, da der Mirai auf dem Papier 650 Kilometer weit kommt. Ich gehe trotzdem auf Nummer sicher und plane ein paar Stopps mehr ein – Kassel, Halle an der Saale und Berlin. Überhaupt geht ohne sorgfältige Planung nichts, denn aktuell gibt es in ganz Deutschland nur 161 Wasserstoff-Tankstellen. Die „H2 Live"-App verrät, wo sie sich befinden und ob sie funktionieren. Bei meinen Zwischenstopps sieht es gut aus: Alles auf Grün!
Von der Außenwelt bekommt man im Mirai kaum etwas mit. Das Auto ist angenehm ruhig, allenfalls ein paar schwere Laster sind zu hören. Zeit, das Navi zu testen. „Navigiere nach Rügen", instruiere ich den Computer – erfolglos. Um eine Routenplanung zu starten, muss man zunächst das Wort „Ziel" sagen, gefolgt vom Ort und der Straße. Schaut man sich die Sonderziele an, um eine Tankstelle zu suchen, findet man so ziemlich jede Kraftstoffart, von Benzin bis Erdgas. Nur Wasserstoff ist paradoxerweise nicht dabei. Das ist bitter.

Mehr zu sehen gibt es beim Blick nach oben. Dank des Glasdachs lassen sich Wolken und Baumkronen bewundern – zumindest vom Rücksitz aus. Dort sitzen Passagiere ansonsten sehr beengt, was bei einem Fahrzeug dieser Größe überrascht. Der Platzmangel liegt offenbar an den drei Wasserstofftanks, die unter den Sitzen verbaut werden mussten. Auch der Kofferraum fällt mit einem Volumen von 300 Litern unterdurchschnittlich aus.
Das große Zittern beginnt erst auf der Rückfahrt. Zwar ist der Tank noch knapp halbvoll – es sollte also locker reichen, um zur nächsten Tankstelle in Rostock zu gelangen. Doch diese ist außer Betrieb. Schlimmer noch: Die „H2-App" korrigiert das Datum, an dem sie wieder öffnet, fortlaufend nach hinten. Während sich E-Autos im Notfall auch an einer normalen Schuko-Steckdose laden lassen, bleiben H2-Fahrzeuge zwangsläufig liegen. Kein Wasserstoff, keine Weiterfahrt.
Reichweitenangabe stimmt keineswegs
Um nicht komplett zu stranden, rufe ich bei H2 Mobility an. Das Unternehmen, zu dem neben Mineralöl-Konzernen auch Autohersteller gehören, baut und betreibt die Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland. Gibt es vielleicht doch eine Möglichkeit, die Rostocker Anlage wieder flottzukriegen? Die Firma verspricht Abhilfe: „Wenn Sie vor Ort sind, kann ich die Tankstelle kurzfristig freischalten."
In Rostock angekommen, wartet eine Mitarbeiterin bereits. Und tatsächlich: Die Pumpe rattert, die Leitung faucht, und der Wasserstoff fließt. Immerhin halb gefüllt sind die Tanks des Mirai, als der Vorgang abbricht. Das reicht bis zur nächsten Station in Neuruppin, wirft aber ein Licht auf die Schattenseiten dieser Reiseform. Vor allem abseits der großen Ballungsgebiete gibt es immer noch zu wenige Tankstellen. Fällt eine aus, wird’s eng. Wer über zu wenige Ladestationen bei Elektroautos klagt, ist wahrscheinlich noch nie mit Wasserstoff gefahren.

Doch es liegt nicht nur an der Infrastruktur. Was den Verbrauch angeht, bleibt der Mirai ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. So schafft er bei unserer Testfahrt nicht einmal 450 Kilometer mit einer Tankfüllung – obwohl ich wegen der angespannten Tankstellen-Situation maximal 120 km/h fahre. Auch die Treibstoffkosten sind hoch. Für 2.000 Kilometer fallen am Ende knapp 300 Euro an, womit man das Niveau eines Verbrenners erreicht. Im E-Auto würde die Fahrt, je nach Auto und Ladestrom-Anbieter, nur etwa die Hälfte kosten.
Und bei der Umweltbilanz? Hier standen Elektroautos lange in der Kritik, weil die Akku-Herstellung viele Rohstoffe verschlingt und Treibhausgase freisetzt. Neuere Studien sehen jedoch eine Verbesserung: Laut der Nichtregierungsorganisation ICCT werden bei der Akku-Produktion inzwischen zwei Drittel weniger Treibhausgase ausgestoßen als noch vor einigen Jahren. Auch der Ökostrom-Anteil hat sich deutlich erhöht.
Noch aber stammt ein Teil des Stroms, der sowohl zur Betankung von E-Autos als auch zur Produktion von Wasserstoff nötig ist, aus Kohle- und Atomkraftwerken. Wasserstoffautos haben hier einen Nachteil: Ihr Antrieb hat nur einen Wirkungsgrad von bis zu 65 Prozent, während E-Autos auf etwa 90 Prozent kommen. Transport und Lagerung des Gases sind ebenfalls teuer. Am Ende läuft es deshalb vermutlich auf eine Kombination beider Antriebsarten hinaus: E-Autos für kurze und mittlere Strecken, Wasserstoff für große Distanzen und für den Schwerlastverkehr. So hat es vor einigen Jahren eine Studie des Fraunhofer Instituts ISE prognostiziert.
Tankstellennetz nicht existent

„Noch gibt es in Deutschland nicht ausreichend grünen Wasserstoff, um unser Tankstellen-Netz flächendeckend zu versorgen", räumt auch H2 Mobility-Sprecherin Sybille Riepe unumwunden ein. Etwa die Hälfte des Wasserstoffs werde aktuell noch mithilfe von Gas hergestellt. Der Rest komme aus Abfällen der Chemie-Industrie; nur 38 Prozent seien wirklich „grün", wobei das Unternehmen darunter auch Wasserstoff fasst, der mithilfe von Biogasanlagen hergestellt wurde. Trotzdem: Bis 2030 wolle man komplett auf klimaneutralen Wasserstoff umstellen, versichert Riepe. Eine Bezahlung per App soll noch dieses Jahr möglich sein.
Nach meiner einwöchigen Probefahrt bringe ich den Mirai ins Toyota-Werk nach Köln zurück – ein feines Auto, das vor allem durch die bequemen Sitze und zahlreiche Assistenzsysteme punktet. Beim Tanken hört der Komfort allerdings auf – zumal es fraglich ist, ob das Netz wirklich so schnell wächst wie versprochen.
Vor ein paar Jahren hatte H2 Mobility schon einmal eine mutige Ankündigung gemacht: 400 Tankstellen bis 2023. Dieses Ziel wird nicht einmal ansatzweise erreicht. Aber wenigstens im hohen Norden gibt es Hoffnung: In Rostock entsteht derzeit eine zweite Wasserstoff-Tankstelle. Eröffnungsdatum? Sommer 2022. Wenn alles klappt.