Manchester City mit Pep Guardiola? Der FC Liverpool mit Jürgen Klopp? Der FC Chelsea mit Thomas Tuchel? Oder doch zwischenzeitlich abgehängte Altmeister wie Manchester United oder der FC Arsenal? Der Meisterkampf in England soll angeblich offener sein als in anderen Ligen.
Die englische Premier League ist die am meisten beachtete Liga der Welt. Wer je zum Beispiel in Asien oder Afrika darauf geachtet hat, in welchen Trikots die Kinder durch die Straßen liefen, der wird erkannt haben: Aus der Bundesliga sieht man mal ein Shirt vom FC Bayern, vielleicht noch eins von Borussia Dortmund. Aus Spanien eigentlich nur welche von Real Madrid oder dem FC Barcelona. Aber aus England ist mindestens ein halbes Dutzend Clubs sehr breitflächig vertreten.
Viele Clubs international vorne
Und in Deutschland schaut man sehr genau auf die Insel. Nicht nur, weil die Premier League in vielerlei Hinsicht ein gutes Beispiel und sehr attraktiv ist. Sondern auch, weil das Spitzentrio der vergangenen Jahre durchweg deutsche Komponenten hat. Da sind alleine schon die Trainer: Vorjahres-Meister Manchester City wird vom langjährigen Bayern-Coach Pep Guardiola trainiert, Vizemeister FC Liverpool von Jürgen Klopp und der Vorjahres-Dritte FC Chelsea von Thomas Tuchel. Die meisten erwarten auch im kommenden Jahr wieder den Zweikampf Pep gegen Klopp, also City gegen Liverpool. Doch Chelsea ist die Wundertüte unter diesen dreien und ganz schwer einzuschätzen. Denn bei den Blues ist seit Kurzem alles anders. Der Club wurde von der Regierung mit Sanktionen belegt und dann von seinem russischen Ex-Inhaber Roman Abramowitsch verkauft. Das neue Führungs-Konsortium um US-Geschäftsmann Todd Boehly tauschte auch in der Führungsetage kräftig Stellen, auch die Sportdirektorin Marina Granowskaja musste gehen. Sie hatte seit 2013 Spieler für jeweils über eine Milliarde pro Jahr geholt und verkauft. Und auch in der Mannschaft tat sich einiges. Nationalstürmer Raheem Sterling kam für 56 Millionen von Man-City, Verteidiger Kalidou Koulibaly für 38 Millionen vom SSC Neapel. Dafür gingen zum Beispiel Stürmer Romelu Lukaku (Inter Mailand), Nationalverteidiger Antonio Rüdiger (Real Madrid) oder dessen Nebenmann Andreas Christensen (FC Barcelona).
Ist Chelsea also stark genug, den beiden Spitzenteams die Stirn zu bieten, nachdem die Londoner im Vorjahr mit 18 beziehungsweise 19 Punkten Rückstand ins Ziel kamen? Nationalspieler Kai Havertz ist sich dessen ziemlich sicher. „Es wird hoffentlich ein ganz besonderes Jahr für uns", sagte der frühere Leverkusener und Siegtorschütze des Champions-League-Finales 2021 gegen Manchester City dem Online-Magazin „The Athletic": „Wir sind eine besondere Gruppe." Eine, die durch den ganzen Wirbel weiter zusammengerückt sei. „Es war eine verrückte Zeit für uns alle", sagte Havertz. „Es gab so viele Veränderungen im Verein, die für uns alle seltsam waren, aber wir haben es überstanden. Wir haben uns in unterschiedlichen und schwierigen Situationen kennengelernt, und haben das gemeinsam durchgemacht. Das hat uns geholfen."
Tuchel ist derweil durch die neue Konstellation mehr denn je eingebunden, aber auch gefordert. Schon Ende Mai ahnte er: „Ich kann keine Ferien machen. Unmöglich. Wir wollen mit Liverpool und Man-City im Rennen bleiben, und sie werden alles dafür tun, um ihre Kader zu vergrößern. Sie setzen den Standard hoch." Die Zielsetzung ist also klar. So sucht Tuchel immer weiter Neuzugänge. Doch sein wichtigster Spieler ist einer, der schon lange da ist. N’golo Kanté, der französische Weltmeister, der wegen Corona und zwei Verletzungen im Vorjahr einige Spiele verpasste. Angesichts dessen sei es „ein Wunder", dass die Blues Dritter wurden, sagte Tuchel: „Er ist unser Schlüssel-, Schlüssel-, Schlüsselspieler. Unser Mo Salah, unser van Dijk, unser De Bruyne, er ist einfach DER Spieler, unser Neymar, unser Mbappé."
Die neue Attraktion der Liga könnte im kommenden Jahr aber Erling Haaland werden. Die norwegische Tormaschine, die in 88 Pflichtspielen für Borussia Dortmund 85-mal traf und in der Champions League bisher 23 Treffer bei nur 19 Einsätzen erzielte, dürfte den Meister normalerweise noch stärker machen. „Er kann uns definitiv zu mehr Toren verhelfen", sagte Guardiola, der nach Aussage von Haaland ein wichtiger Grund für dessen Wechsel war. Doch dabei spielte offenbar auch eine Menge Fußball-Romantik eine Rolle. Denn Haalands Vater Alf-Inge spielte von 2000 bis 2003 ebenfalls für die Citizens. Direkt nach seinem Wechsel postete Erling ein Baby-Foto im viel zu großen City-Trikot. Dass er als Kind schon in Manchester-Bettwäsche geschlafen hat, nimmt man ihm sofort ab. Bei den Skyblues wird er übrigens Teamkollege von Nationalspieler Ilkay Gündogan und vom deutschen Torhüter Stefan Ortega, der von Arminia Bielefeld als Nummer Zwei nach Manchester wechselte.
Haaland hat das Star-Potenzial
In Liverpool spielt nach dem Abgang von Loris Karius mit dem gebürtigen Bochumer Joel Matip nur noch ein Deutscher, dazu ein halbes Dutzend Ex-Bundesliga-Profis. Doch weil Klopp dort Trainer ist, verfolgen die deutschen Fans den Verein sehr genau.
Wie stark das Duell zwischen Manchester und Liverpool im Vorjahr (wieder einmal) war, zeigen die Punkte-Ausbeuten. Die Reds und Klopp holten 2,42 Punkte pro Spiel, rund 0,2 mehr als der FC Bayern bei seinem souveränen zehnten Meistertitel in Deutschland. Doch zur Meisterschaft reichte das nicht. „Da haben wir offensichtlich noch ein bisschen Spielraum", scherzte Klopp, „und den werden wir nutzen." Haaland werde City aber „definitiv nicht schwächen", sagte er ironisch. Es sei ein Transfer, „der neue Maßstäbe setzt", was wohl vor allem auf die Finanzen bezogen war. Aber eben auch deshalb habe er seinen Vertrag entgegen früherer Ankündigungen bis 2026 verlängert. Er habe es getan „in dem Wissen, dass City nicht aufhören würde, sich zu entwickeln". Und an diesem Zweikampf hat Klopp Freude gefunden.
Genau wie die Gegenseite. „Wenn Liverpool nicht da wäre und diesen unglaublichen Fußball spielen würde, dann wäre diese Liga auch nicht so attraktiv", sagte Gündogan, der in der vergangenen Saison in einem Herzschlagfinale den entscheidenden Treffer zum Titel schoss. Guardiola sagte über das Verhältnis zu Klopp etwas kryptisch: „Wir sind keine Freunde, wir sehen uns nie, ich habe seine Nummer, aber ich rufe ihn nicht an. Ich weiß nicht, ob Jürgen mich respektiert, aber Jürgen muss wissen, dass ich ihn sehr respektiere. Er hat mich zu einem besseren Trainer gemacht." Dies sei auf die Idee vom Power-Fußball bezogen: „Seine Mannschaft ist immer da, sie ist immer aggressiv." Es sei „ein Genuss, Liverpool zuzusehen".
„Ein Genuss, Liverpool zuzusehen"
Manchmal führt der nun schon Jahre dauernde Zweikampf aber auch zu Sticheleien. „Jeder in diesem Land ist für Liverpool – auch die Medien, jeder", sagte Guardiola, dessen Verein durch viel Geld aus Abu Dhabi unterstützt wird: „Aber mir ist es egal, dass die Leute es Liverpool mehr gönnen als uns. Es ist kein Problem." Das liege an der „unglaublichen Geschichte in den europäischen Wettbewerben. Nicht in der Premier League, da haben sie nur einen Titel in 30 Jahren gewonnen." City hat dagegen in den vergangenen fünf Jahren viermal triumphiert.
Was auch ein wenig die Legende entzaubert, dass in England fünf bis sechs Teams Meister werden können, auch wenn es 2016 mit dem Triumph von Leicester City eine absolute Sensation gab. Aber im Moment dürften wohl wirklich nur City oder Liverpool als echte Kandidaten gelten – und vielleicht eben Chelsea. Manchester United, zuletzt 2013 Meister, hatte im Vorjahr mit Trainer Ralf Rangnick und Megastar Cristiano Ronaldo als Sechster unglaubliche 35 Punkte Rückstand, der FC Arsenal als Sechster 24 Punkte und die Tottenham Hotspur als Vierter 22. Das sind ganze Galaxien.
Bei den in England so beliebten Wetten steht der Kurs für eine erneute Meisterschaft der Citizens bei durchschnittlich 1,6:1, Liverpool steht bei 3:1, dann kommen Tottenham und Chelsea mit Werten zwischen 15 und 17:1. Und weil sie auf der Insel eben solche Spielchen lieben, wurde ein sogenannter Super-Computer direkt nach dem Erscheinen des Spielplans mit vielen Daten gefüttert, um zu sagen, wie die Saison endet: Er prophezeite, dass Manchester mit einem Punkt Vorsprung auf Liverpool triumphieren wird.