Exit Deutschland hilft Neonazis, die aus der rechtsradikalen Szene raus wollen. Dr. Bernd Wagner, einer der Gründer, spricht im Interview über die Beweggründe von Aussteigern, ideologische Gedankengebäude und die Gefährlichkeit seiner Arbeit.
Herr Wagner, wie sind Sie dazu gekommen, sich um Aussteiger aus der rechten Szene zu kümmern?
Bei mir fing das bereits in meiner Zeit als Polizeibeamter an. Da gab es bei Verhören immer mal wieder Leute, die gefragt haben: Können Sie mir helfen – ich muss da raus!
Was sind die häufigsten Bewegründe?
Den Aussteigewilligen geht es oft persönlich nicht gut, weil sie zum Beispiel moralische Bedenken plagen. Denn natürlich sind bei Weitem nicht alle Rechtsextremisten unmoralisch oder ohne Gewissen. Da gibt es viele emphatische Menschen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen und nach Visionen suchen. Die haben sich quasi in der falschen Landschaft verirrt, im falschen ideologischen Gebäude.
Was geht in diesen Menschen vor?
Sie können häufig schlecht mit den menschenverachtenden Konsequenzen dieser Ideologie leben und merken irgendwann, sie sind im falschen Film. Wir wollen denen, die sich mit dem inneren Normgefüge dieser Szene auf Dauer nicht arrangieren können und Zweifel kriegen, die Möglichkeit geben, auszusteigen.
Sie sprachen vom ideologischen Logik-Gebäude. Wie sieht das aus?
Die Logik des Gebäudes entspringt aus einer „rassischen Weltsicht“. Das ist für Rechtsextremisten des Pudels Kern. Die Weltgeschichte als Rassenkampf – daraus kann sich, aus ihrer Sicht, alles entspinnen: Die Rasse bedingt die Familie, die Familie den Stamm, der Stamm die Nation, die Nation das Reich und so weiter.
Wie bringt man dieses Gebäude ins Wanken?
Wir versuchen dem Ganzen das Fundament zu entziehen mit dem Thema „Kulturalismus“. Das klingt erstmal etwas theoretisch, dahinter steckt aber die Frage: Was bestimmt Kultur? Wir bestreiten dabei in der Argumentation nicht die Unterschiedlichkeit von Menschen oder Kulturen, was ja für Rechtsradikale eine wichtige Argumentationslinie ist. Doch wir betonen dabei die Gleichwertigkeit von Menschen und Kulturen, und dass Kultur nicht monokausal aus der Rasse entspringt.
Wenn das Gebäude bröckelt, was muss dann passieren?
Die Aussteiger brauchen einen inneren Weg und neue weltanschauliche Angebote. Neue Haltegriffe im Gehirn sozusagen. Mit kosmopolitischen Ideen zu argumentieren, ist da eher schwierig. Entscheidender Punkt bei unserer Arbeit: die Deutung der Kultur. Und die Deutung der Nationen. Wo kommt das geschichtlich her, wo führt das hin. Dazu kommt noch die Gleichwertigkeit des Individuums, die wir betonen.
Eine Ihrer Kampagnen baute auf dem Begriff der individuellen Freiheit auf. Ist das ein wirkungsvoller Hebel?
Ja, denn Mitglieder von rechtsextremistischen Gruppen spüren ja auch, dass ihre Freiheit deutlich eingeschränkt wird. Das sind auf jeden Fall Bruchmotive. Wenn sie innerhalb der Gruppe oder der Bewegung bestimmte Sachen nicht mehr sagen dürfen, wenn es eine innere Zensur gibt. Auf Dauer entfremdet das und macht viele Mitglieder unzufrieden.
Fehlende persönliche Freiheit – eines der stärksten Ausstiegsmotive?
Auf jeden Fall. Dazu kommt noch das Gefühl, die Grundidee des Ganzen ist doch falsch. Trotzdem geht das Leben in der rechten Bewegung für solche Mitglieder oft noch lange weiter. Viele Aussteiger sprechen davon, dass sie am Ende nur noch funktioniert haben, um nicht aufzufallen. Das geht bis hinein in die Führungsebenen.
Was hält diese Menschen beim Rechtextremismus?
Viele sagen: Das ging so lang, weil ich nichts anderes hatte! Und da versuchen wir natürlich anzusetzen. Dafür gibt es uns.
Wie kann Exit Deutschland an diesem Punkt helfen?
Wir versuchen, diese Gefühlslagen der Aussteiger aufzugreifen und Szenarien zu entwickeln. Zum Beispiel, wie sie mit einem Leere-Gefühl umgehen können, wie sie mit den neuen Lebensumständen klarkommen können. Dabei versuchen wir die Situation zu rationalisieren und zu verbildlichen. Was erlebt die betreffende Person innerhalb ihres Lebensumfeldes, was möchte sie erreichen, was möchte sie nicht mehr haben, weil es sie stört. Daraus versuchen wir positive Perspektiven zu entwickeln. Am Ende muss natürlich jeder selbst entscheiden und handeln.
Neben dem eigenen Team arbeiten Sie auch mit externen Kräften?
Wir haben ein Team hier bei uns, das heißt "Diagnostisch-Therapeutisches-Netzwerk-Extremismus" mit psychotherapeutischen und psychiatrischem Hintergrund. Bei psychischen Erkrankungen greifen wir natürlich auch auf externe Hilfe zurück. So wenig Verluste wie möglich, ist dabei unser Motto. Wir helfen aber auch, wenn es „nur“ um das Jobcenter oder andere Dinge geht. Dabei gehen wir nicht allein voran und schleppen die Menschen hinter uns her, sondern achten auf Eigeninitiative. Das ist uns wichtig.
Gab es bereits Versuche, Exit Deutschland zu unterlaufen?
Ja, diese Versuche gab es durchaus von vermeintlichen Aussteigern, die wieder in die Szene zurückgekehrt sind. Das sind auch Versuche, uns zu ergründen und Dossiers über uns zu erstellen. Es gab einmal den Fall, dass ein Gericht einen rechtsextremen Straftäter dazu verurteilt hat, sich bei Exit zu melden. Der hat sich dann einen Spaß daraus gemacht und bei mir angerufen. Es stellte sich heraus, dass er alles über mich wusste – wann ich geboren war, beruflicher Werdegang, was ich für ein Typ bin und so weiter. Das zeigt aber auch: Wir werden beachtet und sind keine unbekannte Größe in der rechten Szene.
Wie gefährlich ist Ihre Arbeit?
Die ist nicht komplett ungefährlich. Wir müssen schon, wie ich es nenne, die Gefahr bilanzieren. Schauen, in welchen Räumen wir uns wie bewegen. Bei Veranstaltungen funktioniert der Schutz durch den Staat oft ganz gut, bei der unmittelbaren Aufstiegsbetreuung leider weniger. Da fühlen wir uns vom Staat auch oft allein gelassen. Sicherheit, Freiheit und Menschenrechte macht unser Staat zu oft nach Kassenlage. Das muss ich leider hier so deutlich sagen.