Bei einem sogenannten Eco-Training pirschen Natur- und Tierbegeisterte in Afrika zu Fuß durch den Busch und lernen das richtige Verhalten gegenüber Löwen, Elefanten und Co.
Raus aus dem Alltag – kein Internet, kein Computer, keine Werbung, keine weltpolitischen Krisen, kein Konsumüberangebot, keine ständige Erreichbarkeit. Auf mich warten Natur pur, wilde Tiere und eine kleine Gruppe Gleichgesinnter. Gebucht habe ich einen Kurs, der mich fit machen soll für Begegnungen mit Büffeln, Elefanten, Löwen, Nilpferden, Leoparden, Hyänen und anderen potenziell gefährlichen Tieren. Ich lerne ihre Spuren lesen, gehe auf Pirschgänge, studiere ihr Verhalten, ihre Reaktionen und angemessene Verhaltensweisen darauf. Dabei tauche ich ein in ein mir fremdes Ökosystem und lerne Möglichkeiten zu dessen Schutz und Nutzung kennen. Obendrein will ich bei all den Aktivitäten die unberührte Natur genießen.

Ein Shuttle-Service bringt uns von Johannesburg in den Norden der Limpopo Provinz in Südafrika. Die Zivilisation endet am Tor zu meinem Glück: dem Pafuri Gate am Kruger-Nationalpark. Hier begrüßen uns zwei Naturführer, die uns im offenen Geländewagen in unser Zuhause für die nächste Woche bringen: das „EcoTraining Camp“ in der Makuleke Konzession, einem Refugium für Wildtiere und Wildnis. Es liegt im Norden des Nationalparks im Pafuri-Gebiet, das sich über 24.000 Hektar erstreckt. Natürlich begrenzt wird es durch die Flüsse Limpopo im Norden und Luvuvhu im Süden. Makuleke ist zwar das abgelegenste, aber dafür auch landschaftlich schönste Gebiet im Park. Bekannt ist es für seinen Vogelreichtum und die höchste biologische Vielfalt.

Ein großes Schild auf dem Parkplatz vorm Camp weist uns darauf hin, dass wir den Anweisungen des Personals unter allen Umständen Folge leisten müssen – da unser Überleben davon abhängen kann. Ab hier beginnt mein Abenteuer Wildnis. Wir übernachten in Zelten, die auf Stelzen stehen – als Extraschutz vor Elefanten und anderen Tieren. Feste Strukturen, zum Beispiel Häuser, gibt es nicht. Im Sinne des Naturschutzes sollen keine sichtbaren Spuren menschlicher Behausung zurückbleiben, falls die Zelte eines Tages abgebaut werden.

Kaum haben wir die Koffer abgestellt, bekommen wir unser erstes Sicherheitsbriefing. Um das Camp gibt es keinen Zaun, und wir erkunden den Lebensraum der wilden Tiere zu Fuß. Unsere sechsköpfige Gruppe wird von zwei Naturführern mit Gewehren begleitet. Im Kurs lernen wir, wie wir uns verhalten müssen, damit wir die Tiere so wenig wie möglich in ihrer natürlichen Lebensweise stören – hier sind wir die Eindringlinge. Wir fügen uns ein in die Natur, sind ein winziger Teil von ihr. Dadurch machen wir uns verwundbar. Das ist für mich ein völlig anderes Erleben als die Tierbegegnungen, die ich bislang vom vermeintlich sicheren Geländewagen aus hatte.
Die ungewohnten Geräusche in der ersten Nacht im Zelt halten mich wach. Ich höre das Lachen der Hyänen, das mich frieren lässt, jaulende Schakale und den rauen, tiefen Ruf eines Leoparden. Ein Tier schreit auf in Todesnot und verliert seinen Überlebenskampf. Lange vor dem Weckruf bin ich auf den Beinen. Endlich malt die Morgenröte Pastelltöne an den Himmel, am Horizont steigt feuerrot die Sonne auf zu einer neuen Runde am Firmament. Ich bewege mich zum Gemeinschaftsdeck auf einen Tee und Kekse. Frühstück gibt es erst nach der Wanderung.

Goldenes Licht hüllt die Landschaft ein und lässt sie magisch leuchten. Zu den Klängen des allmorgendlichen Vogelorchesters brechen wir im Gänsemarsch vom Camp auf, begleitet von zwei Rangern mit Gewehren. Mit zunehmender Helligkeit werden auch die Vogelstimmen lauter. Nach kurzer Zeit kenne ich die Namen der einzelnen Akteure.

Interessantes verspricht der Blick in den Sand. Ich lerne ihn zu lesen wie ein Buch und kann aus den Spuren der vergangenen Nacht für die Wanderung wichtige Schlüsse ziehen. Neben meinem Zelt sind frische Löwenspuren. Gut, dass ich es in der Dunkelheit nicht verlassen habe. Eine Hyäne trabte gemächlich am Camp vorbei. Impalas und weitere Antilopen waren aktiv, und eine Herde Elefanten frühstückte unweit unserer Zelte an Mopane-Sträuchern.
Den Sand lesen lernen wie ein Buch
Alle Sinne sind gefragt auf einer Wanderung in der Wildnis, denn wir wissen nie, wer uns begegnet. Aus der Umgebung bekomme ich weitere wichtige Hinweise auf tierische Gesellschaft. Hinterlassenschaften wie Dung oder verstreut liegende Zweige verraten, wer vor mir gegangen ist oder gefressen hat. Der Stand der Sonne ist wichtig: blendet sie mich, habe ich keine gute Sicht. Wenn möglich, gehe ich so, dass sie mir nicht in die Augen scheint. Auch die Windrichtung spielt eine wichtige Rolle. Wilde Tiere haben über viele Jahrtausende bedrohliche Erfahrungen mit Menschen gesammelt. Trägt der Wind unseren Geruch in ihre Nasen, sind sie möglicherweise weg, bevor wir sie sehen oder greifen – je nach gefühlter Bedrohungslage – an.

Morgens ist es überraschend kalt, die Temperaturen sind im einstelligen Bereich. Im Lauf des Vormittags wird es heißer, die Zikaden übernehmen den Gesang, und die ersten Zwiebelschichten der Kleidung fallen. Außer Kondensstreifen von Flugzeugen am intensiv blauen Himmel sehen wir weit und breit keine weiteren menschlichen Spuren aus der Gegenwart. Hin und wieder stoßen wir auf Zeugnisse längst vergangener Kulturen: Tonscherben, Mahlsteine für Getreide und Pfeilspitzen. Erste Besiedlungsspuren datieren weit über eine Million Jahre zurück. Für alle Objekte, über die wir stolpern, gilt: Sie bleiben an Ort und Stelle, genauso wie Steine, Pflanzen, Tiere und Knochen. Die Mitnahme aus einem geschützten Gebiet wäre Wilderei und damit strafbar.
Das Pafuri-Gebiet war über Jahrhunderte die Heimat der Makuleke. 1968 vertrieb die damalige Regierung die Menschen und verleibte das Gebiet dem Nationalpark ein. Nach dem Ende der Apartheid forderten die Makuleke vor Gericht erfolgreich ihr Land zurück. Seit 1998 ist es wieder in ihrem Besitz. Zugunsten des Schutzgebiets und des Erhalts der Wildnis verzichteten sie auf eine erneute Besiedlung. Stattdessen entwickelte die Gemeinde ein Konzept für ökotouristische Nutzung. Heute verwaltet eine kommunale Grundstücksgesellschaft, die Communal Property Association (CPA), zusammen mit der South-African-National-Parks-Verwaltung das Gebiet.
Insgesamt nur drei Konzessionen hat die CPA im Schutzgebiet zur Bewirtschaftung vergeben: zwei an Lodges im Hochpreissegment und eine an Eco-Training, das verschiedene Kurse und Ausbildungen für Naturführer und Naturinteressierte anbietet. Aus dem erwirtschafteten Geld finanziert die CPA Infrastruktur und Maßnahmen im Gesundheits- und Bildungsbereich. Sie vergibt Stipendien an interessierte Makuleke, die in Tourismus und Naturschutz Fuß fassen möchten. In den vergangenen Jahren haben so verschiedene einheimische Ranger erfolgreich ihre Abschlüsse erworben. Die Camps bieten außerdem wichtige Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung aus den Gemeinden. Zugänglich ist die Makuleke-Konzession nur für Übernachtungstouristen in den beiden Lodges und Kursteilnehmer von Eco-Training-Kursen.

Inzwischen schlagen wir uns durch das dichte Ufergestrüpp am Limpopo, direkt auf ein von Palmen gesäumtes Feuchtgebiet zu. Seit einigen Minuten bilde ich das Schlusslicht der Gruppe. Das Gelände ist etwas unübersichtlich, dichte Palmblätter reichen bis zum Boden. Die beiden Gewehrträger sind für meinen Geschmack zu weit weg. Fast alle haben den engen Korridor vorbei an den Palmen passiert – plötzlich ist links von mir ein Tumult im Gebüsch: Ein Tier springt auf, Erde spritzt. Mir fährt die Angst durch Mark und Bein. Adrenalin pulst in meinen Adern, ich bin hellwach. Noch habe ich keine Ahnung, was sich neben mir gestört fühlt. Löwe, Leopard, Hyäne? Es grunzt – zum Glück „nur“ ein Warzenschwein, das es bei akustischer Empörung belässt. Die Ranger sind auch etwas blass geworden. Hätten sie es im Ernstfall rechtzeitig bis zu mir geschafft? Ich dränge diese Gedanken ganz weit an den Rand meines Bewusstseins.
Später im Camp erfahre ich, dass Eco-Training in den fast 25 Jahren seines Bestehens keine schwerwiegenden Zwischenfälle mit Wildtieren zu verzeichnen hatte. Nach der Wanderung genießen wir einen üppigen Brunch. Täglich gibt es nach dem Essen eine Vorlesung zu unterschiedlichen Themen – zum Beispiel Ökologie, Gesteinskunde, Botanik, Warnsignale potenziell gefährlicher Tiere und weitere. Während der größten Hitze ist Ruhe im Camp. Am Nachmittag brechen wir auf zu einer weiteren Wanderung.

Vorbei geht es an felsigen Hügeln mit uralten Affenbrotbäumen, die auch als Baobabs bekannt sind. Sie gibt es reichlich in Makuleke. Auf mich wirken sie beruhigend – genauso wie langsam dahinziehende Elefanten. Beide verleihen der Landschaft ein archaisches Flair. Wir stapfen durch fast mannshohes Gras zu einem natürlichen Damm, in dem Nilpferde leben. Keines der Tiere zeigt sich – nur Wasserkringel an der Oberfläche verraten, wo sie stecken. Die Sonne sinkt, und am Wasser ist viel los um diese Zeit. Zahlreiche Vögel stillen ihren Durst. Auf Elefanten, Löwen oder Leoparden warten wir heute vergeblich. Ich genieße die Abendstimmung und sauge Farben und Geräusche in mich auf.
Der Rückweg ist weit, wir brechen auf. Im glutroten Licht der Sonne vor uns sehen wir Staub aufwirbeln. Büffel bewegen sich müde und mit gesenktem Haupt auf die Wasserstelle zu. Unsere Ranger sind jetzt besonders wachsam, denn mit Büffeln ist nicht zu spaßen. Wir umrunden die Herde, halten in einiger Entfernung zu den Tieren an und setzen uns auf die Erde. Das lässt uns weniger bedrohlich erscheinen. Längst haben uns die Büffel gesehen. Wie eine furchterregende Wand hat sich ein Tier neben dem anderen aufgebaut. Sie starren uns an, bewegen sich aber nicht. Schnell wird es dunkler – wir müssen zurück zum Camp. Die Büffel lassen uns nicht aus den Augen, bis wir aus ihrem Blickfeld verschwunden sind. Erst dann setzen sie ihren Weg zum Wasser fort.
Fast zehn Kilometer sind wir an diesem Tag gewandert und haben uns das Abendessen redlich verdient. Später am Lagerfeuer werden abenteuerliche Geschichten ausgetauscht. Aber niemand bleibt lange wach – der Tag war anstrengend, und weitere Tage voller Abenteuer warten auf uns.

Sieben Tage verbringe ich im EcoTraining-Camp, dann heißt es Abschied nehmen für mich. In dieser Woche haben sich alle meine Erwartungen erfüllt: Ich habe auf den Wanderungen zahlreiche Begegnungen mit Elefanten, Büffeln, Antilopen und vielen anderen Tieren erlebt. Durfte inmitten atemberaubender Landschaft faszinierende Sonnenuntergänge sehen. Habe mir ein fremdes Ökosystem erschlossen auf die meiner Meinung nach beste Art und Weise: zu Fuß. Ich bin eingetaucht mit allen Sinnen in diesen ganz besonderen Lebensraum und verstehe, warum es so wichtig ist, dieses Kleinod, diese Wildnis zu schützen. Einen weiteren positiven Effekt hatte meine Reise in den Busch: Bereits nach wenigen Tagen bin ich ihn los, den Großstadtstress. Meine Sinne sind wieder wach. Entspannt bin ich, und ich bin glücklich, dass ich Zeit an diesem magischen Ort verbringen konnte.