Frisch, gut und gesund muss es für Gordon W., den Erschaffer des „W – Der Imbiss", sein. Zu Naan-Pizza, Currys, Lachs oder Dosa Masala gibt’s womöglich gleich eine Performance des kanadischen Besitzers, Künstlers und Hut-Freaks mit dazu.
Der Mann im Safari-Anzug und mit Borsalino greift zur rosafarbenen Südseemuschel: „Wuuuuh. Wuuuuh". Mit einem tiefen Tuten kündigt er an der Bar die Ankunft eines Dosa-Pfannkuchens an unserem Tisch an. Lacht uns unterm Menjou-Bärtchen an, ein Goldzahn blitzt auf. „Here we have the Masala Dosa with Coconut-Curry and pickled drumsticks for you." Gordon W., Zeremonienmeister am Tandoor-Ofen, Erschaffer des „W – Der Imbiss" und „His Royal Tikiness" serviert uns höchstpersönlich das Essen.
Mit so viel ausgelassener Showtime dürfte selbst meine Begleiterin beim dienstlichen Essengehen nicht gerechnet haben. Mit so viel Genuss dagegen schon. Die Begleiterin und ihr Freund hatten Gordons ersten „W – Der Imbiss" in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg entdeckt. Optimal für die beiden ausgehfreudigen Vegetarier mit studentisch überschaubarem Budget. „Da musst du hin, das ist lecker, frisch und günstig", sprachen die inoffiziellen Gastro-Scouts. „Ah, das ist der In-Imbiss, in dem ich mit meiner Freundin am Zionskirchplatz vor 15 Jahren immer eine Lachsschale gegessen habe", entgegnete ich. „Der Laden von dem kanadischen Besitzer mit Hawaiihemd und Hütchen, nicht wahr?" So war’s und so ist es immer noch. Ich nahm Kontakt auf und Gordon lud uns kurzerhand in seinen neuen Imbiss nach Schöneberg ein.
Seit einem knappen Jahr gibt es in der Nollendorfstraße eine größere Filiale. „Tiki muss nicht an der Hauptstraße stattfinden, sondern darf ruhig ein bisschen versteckt sein", stapelt Gordon tief. Die Maaßenstraße, „Rennstrecke" zum Winterfeldtplatz, ist jedoch nur wenige Meter entfernt.
Die von uns in Mitte einst heiß geliebte Lachs-Bowl hat sich inzwischen in einen „Delachs"-Teller verwandelt. Das im Tandoor gegrillte rosa Filet, Reis, Curry-Gemüse, Salat, viele Sprossen, Sesam und die legendäre „Taboo-Sauce" kommen auch auf weißem Porzellan so adrett, delikat und frisch daher wie zuvor. Den neuen Namen hatte uns der aufklappbare Tannenbaum verraten. Pardon, der als Silhouette geschnittene Moai-Kopf. Hallo Rapa Nui! Die Figuren mit lang gezogenen Gesichtern prägen den Gastraum als Statuen, Lampen und Becher. Sogar einen Taschentuch-Spender gibt es, einen Cocktailbecher mit unverkennbar Gordons Antlitz und bunte Stehlämpchen, die seine Künstler-Freundin Laura Kikuaka entwarf. Die geneigte Besucherin fragt sich: Wer oder was ist „Tiki" eigentlich? „Tiki is anything that makes you happy", fasst Gordon zusammen. Auf Englisch. Denn, so sagt er, sein Deutsch sei auch nach 25 Jahren Berlin immer noch „embarassing, peinlich". Tiki sei eine Lebenseinstellung – alles, was froh und glücklich macht. Das fanden die Amerikaner in den 50er-Jahren auch und zwar zunächst auf Hawaii, das erst 1959 Bundesstaat der USA wurde. Skulpturen, Trinkgefäße, Musik und Tätowierungen auch von den vielen anderen Südseeinseln hielten Anfang der 60er-Jahre mit viel Aloha Einzug in die US-Alltagskultur. In den 90ern brachten Künstler wie Gordon W. die verplätscherte Modewelle wieder ins Rollen und sorgten für ein liebevoll subkulturell zelebriertes Revival.
Bevor die Begleiterin, der Fotograf und ich an unseren Strohhalmen über einer mit Mai Thai gut gefüllten „Scorpion Bowl" anfangen „Vini Vini Vana Vana" zu singen und selbst mit den Hüften zu wackeln, essen wir lieber erst einmal das „Masala Dosa" auf. Das Kartoffel-Curry ist mit Kurkuma, Asafoetida und Curry-Blättern gewürzt. Der Pfannkuchenteig ist leicht, von außen knusprig gebräunt, auf der Innenseite eher weich und einen kaum spürbaren Tick säuerlich. Es sei das Kunststück, den Teig so lange ruhen zu lassen, bis er gut aufgegangen ist, verrät Gordon. Das Kokos-Chutney mit gepoppten Senfkörnern, Curryblättern und mildem Chili ergänzt mit cremiger, zurückhaltender Schärfe. Die „Drumsticks", das auch Moringaschoten oder Trommelstöcke genannte südindische Gemüse, sorgt säuerlich eingelegt für den ergänzenden Biss und grüßt aus Bangalore. „Vegan und glutenfrei seit Tausenden Jahren", kommentiert Gordon.
Man täusche sich nicht: So überbordend exzentrisch der „Tiki artist and hat freak" in seinem und dem Styling seines Ladens daherkommt, so sehr legt er Wert auf ausgezeichnete Qualität und saubere Ausführung beim Essen. Deshalb stehen die Pfannkuchen nicht auf der regulären Karte. Sie sind nur donnerstags bis sonntags am Abend zu haben, wenn der Tiki-Großmeister selbst am Tandoor und an den Herdplatten steht. Doch halt: Warum gerade indisches Essen? „Ich koche, was frisch, gut und gesund ist", sagt Gordon, der aus Toronto stammt. Das kann ebenso südindisch wie italienisch oder Tex-Mex sein. In der kanadischen Metropole brachten sich die unterschiedlichsten Zuwanderer-Communities mit ihren Esskulturen ein. „Mein Vater war Foodie, noch bevor das Wort erfunden war. Die einzigen Bücher, die er hatte, waren Kochbücher", erzählt Gordon von der kulinarischen Prägung im Hause W.
„Kunst und essen sind sich ähnlich"
Eigentlich ist Gordon von Haus aus Musiker und „performing artist". 1993 kam er mit einem DAAD-Stipendium (Deutscher Akademischer Austauschdienst) für das Volksbühnen-Projekt „Spätverkauf" als experimenteller Musiker in die Stadt. „Das war mein sehr komfortabler Einstieg in Berlin", sagt er. Trommeln, Theremin-Spielen (ein elektronisches Instrument), Koch-Performances – was Gordon macht, hat gute Chancen, Teil einer spaßig und zwanglos wirkenden, aber dennoch perfekt ausgeführten Inszenierung zu werden. Ob der erste, 2002 an der Kastanienallee eröffnete „W – Der Imbiss" eher als Brotjob oder als Kunstprojekt entstand, verbleibt im Reich der Legende. Gewiss ist: Er war vom Start weg ein „runaway success", ein durchschlagender Erfolg. „Health Drinks" wie der „Apple Grass" aus frischem Weizengras mit Apfelsaft oder der „Apple High" aus Apfelsaft mit Spirulina-Alge standen schon damals auf der Karte, noch bevor irgendjemand den Begriff „Clean Eating" in Berlin zu denken wagte. Gordon ist einfach Avantgarde „by nature".
Mindestens die Herstellung einer „Naan-Pizza" dürfte als „Brotjob" durchgehen. Das gesäuerte, länglich ausgezogene und im Lehmofen gebackene Brot ist der Pizza tatsächlich grundsätzlich ähnlich. Unsere „Paprika-Nut"-Variante ist mit Paprikapaste und Pesto bestrichen, mit Frisée, Radicchio und Tomaten belegt sowie mit Cashews und Walnüssen bebröselt. Versteht sich, dass es ein einfaches „Plain Naan" ebenso wie ein „Dirty Naan" mit Knoblauch, Zwiebeln, Chili und Butter gibt. Die aufwendigeren Versionen sind etwa mit Tapenade, mit Auberginen oder als „Cheese Stuffed Naan" als Freestyle-Tex-Mex-Calzone ausgeführt. Der ins Indische übertragene Bagel findet sich als „Jewish Naan" mit Räucherlachs, roten Zwiebeln, Kapern, Kaviar, Dill und Crème fraîche wieder. Prinzipiell gilt im „W – Der Imbiss": Alles ist vegetarisch; es gibt aber Lachs. Vieles ist in vegan möglich. Die Naan-Pizzen kosten acht bis zwölf Euro, Curry- oder Thali-Gerichte acht bis 13,50 Euro. Und weil eben alles, was glücklich macht, Tiki-Style ist, gibt’s auch ausgewählte Tacos, Burritos und Tortillas für sechs bis zehn Euro.
Gordon „Double U" hat mit seinem Initial und dem zwar zügig, aber immer aus frischen Zutaten hergestellten, Slow Food herkömmliches Schnellfutter aufs Korn genommen: Das gerundete große „W" im Imbiss-Namen erinnert absichtsvoll an das umgedrehte Logo einer internationalen Fast-Food-Kette. Es ist aber ebenso die Abkürzung seines Nachnamens. Sie macht Leben, Kunst und Geschäft einfacher: Gordon hört offiziell auf den Zungenbrecher-Nachnamen Wojcickowski. Das klingt so gar nicht nach Tiki und Easy Listening, und so ist Gordon W. seit Jahrzehnten seine eigene Figur mit eigenem Künstlernamen. Ist der Großmeister einmal nicht im einen oder anderen Imbiss, steht er mit seinem mobilen Tandoor-Ofen möglicherweise für ein Catering auf einem Event oder gastiert mit einer Koch-Performance.
Wo Gordon ist, ist in jedem Fall die Kunst zugegen. „Kunst und Essen sind sich ähnlich", sagt er. Das gilt für die Produktion ebenso wie für die Rezeption. Dennoch wird ein Besuch im „W –
Der Imbiss" keineswegs zwangsläufig zum Happening: Wer nur etwas essen will, der ordert am Tresen und setzt sich an den Tisch. Wer mehr erleben will, kann jederzeit „part of the performance", aktiver Teil der Aufführung, werden. Zumindest immer dann, wenn Gordon in seinem „W – Der Imbiss" ist und womöglich gleich zu einem mehrgängigen Menü an den „Captain’s Table" vor Ofen und Bar lädt.